Rz. 1

§ 102 FGO ergänzt die Regelungen in §§ 100, 101 FGO. Das Gericht überprüft eine Ermessensentscheidung der Behörde nicht nur darauf, ob der Verwaltungsakt bzw. seine Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig war und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, weil die vom Gesetz aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind oder die angeordnete Rechtsfolge vom Gesetz nicht vorgesehen ist. Das Gericht prüft gem. § 102 S. 1 FGO "auch", ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, ob also ein Ermessensfehler vorliegt.[1] Nach § 102 S. 2 FGO kann die Behörde ihre Ermessenserwägungen bezüglich des zu überprüfenden Verwaltungsakts bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen (erster Rechtsgang vor dem FG), jedoch nicht mehr vor dem BFH.

§ 102 FGO gilt nur für die gerichtliche Überprüfung von Verwaltungshandeln, und zwar in Verfahren sowohl vor den FG als auch vor dem BFH, jeweils in Urteils- und auch in Beschlusssachen.[2]

 

Rz. 2

I. d. R. handelt es sich bei den Normen des Steuerrechts um gebundenes Recht. Räumt der Gesetzgeber der Verwaltung jedoch ein Ermessen ein, ist die Behörde bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich frei, welche von mehreren durch das Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen sie anordnet. Das Gericht prüft nicht nur das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Eingriffs- bzw. Anspruchsnorm und die Einhaltung der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen, sondern auch die Beachtung der Ermessensgrenzen für die behördliche Entscheidung.[3] Vollen Umfangs überprüfbar durch das Gericht ist in einer ersten Stufe der Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung der Behörde vorgelegen haben und ob die Behörde eine vom Gesetz vorgesehene Rechtsfolge angeordnet hat. Ist das nicht der Fall und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt, ist der Verwaltungsakt als rechtswidrig aufzuheben. Nur eingeschränkt überprüfen – nämlich nur auf Ermessensfehler hin – kann das Gericht dagegen auf einer zweiten Stufe der Prüfung die eigentliche Ermessensentscheidung der Behörde.[4] Zu dieser zweiten Stufe der Überprüfung kommt das Gericht allerdings erst, wenn nicht schon die erste Stufe die Rechtswidrigkeit der Behördenentscheidung ergeben hat. In der Rspr., insbesondere zu §§ 163, 227 AO, wird diese Unterscheidung jedoch nicht unbedingt eingehalten.[5]

Es geht, wie immer im finanzgerichtlichen Verfahren, aus Gründen der Gewaltenteilung allein um eine Rechtmäßigkeitskontrolle der Behörde durch das Gericht, nicht um eine Kontrolle der Zweckmäßigkeit von Verwaltungshandeln.[6]

 

Rz. 3

Das FG ist nicht berechtigt, eigenes Ermessen auszuüben und an die Stelle des Ermessens der Finanzbehörden zu setzen.[7] Es hat deshalb auch nicht nachzuprüfen, ob die Ermessensentscheidung richtig oder angebracht ist oder ob sie sich aus anderen als den der Ermessensentscheidung der Finanzbehörde zugrunde liegenden Erwägungen als richtig erweist.[8] Es ist regelmäßig unzulässig, wenn das FG die angefochtene Ermessensentscheidung mit Erwägungen rechtfertigt, auf die sich die Finanzbehörde in ihrer Entscheidung nicht gestützt hat.[9] Die Begründung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung, die einzelfallabhängig ist, spielt daher im Rahmen der Überprüfung durch das Gericht eine wesentliche Rolle.[10]

 

Rz. 4

§ 102 FGO gilt nur für die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Behörden, nicht für die Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen. Hat das FG eine Ermessensentscheidung zu treffen und ist dies im Rahmen einer Beschwerde zu prüfen, fungiert der BFH als Beschwerdegericht als Tatsacheninstanz und ist deshalb gehalten, eigenes Ermessen auszuüben.[11] Dann kann der BFH sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des FG setzen und eigene Zweckmäßigkeitsüberlegungen anstellen.[12] Dagegen überprüft der BFH prozessleitende Ermessensentscheidungen des Gerichts im laufenden Verfahren, gegen die ein selbstständiges Rechtsmittel nicht zulässig ist, im Rahmen des Rechtsmittels im Hauptverfahren nur auf Ermessensfehler.[13]

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