Leistungsklage auf Zahlung eines Erstattungsbetrags

Eine Leistungsklage auf Zahlung eines Erstattungsbetrags nach einer Aufrechnung ist unzulässig, wenn sie erhoben wurde, bevor ein bestandskräftiger Abrechnungsbescheid in Höhe des begehrten Zahlungsanspruchs vorliegt.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Nach § 40 Abs. 1 FGO kann durch Klage die Aufhebung, in den Fällen des § 100 Abs. 2 auch die Änderung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) oder zu einer anderen Leistung begehrt werden.

Sachverhalt: Rechtsschutzbedürfnis als Sachentscheidungsvoraussetzung

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A GmbH. Der A GmbH stand ein Erstattungsanspruch nach dem Luftverkehrsteuergesetz für die Kalenderjahre 2011 und 2012 zu. Gleichzeitig schuldete sie Luftverkehrsteuern für den Zeitraum 19.12.2012 bis 31.12.2012, fällig am 20.1.2013, und für den Zeitraum 1.1.2013 bis 31.1.2013, fällig am 20.2.2013.

Im Jahr 2013 beantragte die A GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Mit Beschluss des Amtsgerichts wurde das vorläufige Insolvenzverfahren angeordnet und der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt.

Mit Schreiben vom x.x.2013 erklärte das Hauptzollamt (HZA) gegenüber dem Kläger die Aufrechnung der Forderung auf Entrichtung der Steuern für die Zeiträume 19.12.2012 bis 31.12.2012 und 1.1.2013 bis 31.1.2013 gegenüber dem Erstattungsanspruch für die Kalenderjahre 2011 und 2012.

Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss des AG vom x.x.2013 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Schreiben vom 19.8.2015 teilte das HZA dem Kläger mit, dass nach Aufrechnung ein Erstattungsanspruch bestehe. Der Kläger ging hingegen von der Unwirksamkeit der Aufrechnung aus.

Am 23.12.2016 erhob der Kläger beim Finanzgericht (FG) Leistungsklage.

Das HZA zahlte den aus seiner Sicht bestehenden Erstattungsanspruch am 6.3.2017 aus.

Auf klägerischen Antrag hin erteilte das HZA am 25.9.2017 einen Abrechnungsbescheid, in dem ein Resterstattungsanspruch/Reststeueranspruch in Höhe von 0 EUR ausgewiesen wurde. Der Einspruch des Klägers gegen den Abrechnungsbescheid wurde mit Einspruchsentscheidung vom 27.4.2018 zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 23.5.2018 hat der Kläger beim FG die Erledigung des Rechtsstreits in Höhe des vom HZA erstatteten Betrages erklärt. Die Erledigungserklärung ist dem HZA unter Hinweis auf die Rechtsfolge des § 138 Abs. 3 FGO am 4.6.2018 zugestellt worden. Der Kläger führte im Schriftsatz vom 23.5.2018 weiter aus, dass er "an der erhobenen Leistungsklage festhält" und "[r]ein vorsorglich […] hilfsweise beantragt", den Abrechnungsbescheid aufzuheben. Es stehe nach der ergangenen Einspruchsentscheidung unzweifelhaft fest, dass ihm ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der erhobenen Leistungsklage zukomme und es aus prozessökonomischen Gründen nicht sachgerecht sei und einer geradezu querulatorischen Förmelei gleichkomme, ihn nunmehr auf eine neue Anfechtungsklage gegen den Abrechnungsbescheid des HZA vom 25.9.2017 zu verweisen.

Das FG wies die Klage mit Urteil vom 30.10.2019 ab, da sie nach ihrem Hauptantrag, der Verurteilung des HZA zur Zahlung, unzulässig sei. Eine auf Zahlung gerichtete Leistungsklage könne wegen § 218 Abs. 2 AO erst dann erhoben werden, wenn durch einen Abrechnungsbescheid über das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs entschieden worden sei.

Die am 23.12.2016 erhobene Leistungsklage könne nicht aufgrund des gegen den nach Klageerhebung ergangenen Abrechnungsbescheid vom 25.9.2017 durchgeführten Einspruchsverfahrens in eine Anfechtungsklage umgedeutet werden. Denn der anzufechtende Bescheid müsse bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung erlassen worden sein.

Die Klage sei auch nach ihrem Hilfsantrag, der Aufhebung des Abrechnungsbescheids vom 25.9.2017, unzulässig.

Entscheidung: BFH teilt die Auffassung des FG

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klage sowohl nach ihrem Hauptantrag, der Verurteilung des HZA zur Zahlung eines Erstattungsbetrages, als auch nach ihrem Hilfsantrag, mit dem der Kläger die Aufhebung des Abrechnungsbescheids vom 25.9.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.4.2018 beantragt hat, unzulässig ist.

Allgemeine Leistungsklage i.S.d. § 40 Abs. 1 Alt. 3 FGO

Die erhobene Zahlungsklage des Klägers ist eine allgemeine Leistungsklage i.S.d. § 40 Abs. 1 Alt. 3 FGO.

§ 40 Abs. 1 Alt. 3 FGO benennt als Klagemöglichkeit die Klage auf Erlangung einer "anderen Leistung". Sie ist im Gegensatz zu den beiden anderen in § 40 Abs. 1 FGO genannten Klagen, der Anfechtungs- und der Verpflichtungsklage, nicht verwaltungsaktbezogen, sondern richtet sich auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen der beklagten Behörde, also auf bloßes Verwaltungshandeln. Systematisch hat sie die Funktion einer Auffangklage, um im Hinblick auf eine fehlende Verwaltungsaktqualität keine Rechtsschutzlücke zu hinterlassen.

Die Klage ist im Hauptantrag nicht auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet, sondern auf ein Handeln der Behörde, nämlich auf die Zahlung eines Geldbetrages. Der Kläger hat im Streitfall somit eine Leistungsklage im Sinne von § 40 Abs. 1 Alt. 3 FGO erhoben.

Abrechnungsbescheid erforderlich

Der Kläger hätte vor der Erhebung der Zahlungsklage zunächst den Erlass eines bestandskräftigen Abrechnungsbescheids mit einem dem Antrag in der Leistungsklage entsprechenden Erstattungsbetrag erstreiten müssen.

Wenn dem angestrebten Realakt ein Verwaltungsakt vorauszugehen hat, ist nämlich die allgemeine Leistungsklage gegenüber der Verpflichtungsklage und der Anfechtungsklage subsidiär. Eine Klage ist subsidiär, wenn zur Erreichung des Klageziels eine andere Klageart beziehungsweise ein anderes Verfahren zur Verfügung steht.

Die allgemeine Leistungsklage kommt somit bei Vorrangigkeit des Ergehens eines Verwaltungsakts erst dann in Betracht, wenn dieser tatsächlich bestandskräftig erlassen worden ist und die Verwaltung sich lediglich weigert, die danach vorzunehmende Handlung auszuführen.

Entscheidung über Erstattungsanspruch durch Abrechnungsbescheid

Dies gilt auch bei einem Streit über das Entstehen und über das (teilweise) Erlöschen eines Erstattungsanspruchs wie bei einem Streit um die Wirksamkeit einer Aufrechnung gemäß § 226 AO. Denn nach § 218 Abs. 2 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten betreffend einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) durch Verwaltungsakt, dem Abrechnungsbescheid. Gegenstand des Abrechnungsbescheids ist nur die Feststellung, inwieweit die in einem Steuerbescheid ausgewiesenen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis noch bestehen oder bereits erfüllt beziehungsweise erloschen sind.

Die Aufrechnungserklärung der Finanzbehörde ist selbst kein Verwaltungsakt. Der Steuerpflichtige muss bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung und somit über die Frage, ob und inwieweit ein gegebenenfalls zunächst bestehender Erstattungsanspruch erloschen ist, erst den Erlass eines Abrechnungsbescheids beantragen, der als (sonstiger Steuer-)Verwaltungsakt seinerseits mit dem Einspruch und gegebenenfalls mit der Anfechtungsklage angefochten werden kann.

Verweigerung des Abrechnungsbescheids

Verweigert die Finanzbehörde einen Abrechnungsbescheid, kann der Steuerpflichtige diesen nur durch eine Verpflichtungsklage erstreiten. Erst wenn die Behörde trotz Abrechnungsbescheids die Erstattung unterlässt, tritt an die Stelle der Verpflichtungsklage eine auf Zahlung gerichtete Leistungsklage. Eine auf Zahlung gerichtete Leistungsklage kann somit nur dann Erfolg haben, wenn aufgrund eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens der geltend gemachte Anspruch durch den Abrechnungsbescheid festgestellt ist und nur seine Verwirklichung (Erfüllung) i.S. von § 218 Abs. 1 AO noch aussteht. Die Wirksamkeit der Aufrechnung selbst kann dagegen aufgrund von § 218 Abs. 2 AO nicht im Rahmen einer unmittelbar erhobenen Leistungsklage überprüft werden.

Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis

Einer vor Bestehen eines bestandskräftigen Abrechnungsbescheids erhobenen Leistungsklage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine ungeschriebene Sachentscheidungsvoraussetzung, die für alle gerichtlichen Verfahren gilt und beruht auf dem Grundgedanken, dass das Gericht vor einer Arbeitsbelastung geschützt werden soll, die nicht zum Schutz subjektiver Rechte nötig ist oder diesem Zweck jedenfalls nicht dienstbar gemacht wird.

Es ist gegeben, wenn der Rechtssuchende ein berechtigtes Interesse an der Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe hat und sein angestrebtes Ziel nicht auf einfacheren oder kostengünstigeren Wegen erreichen kann. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage ist demgemäß nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf wesentlich einfacherem Wege, insbesondere im Wege der Anfechtungsklage erreichen kann.

Zentrale Zulässigkeitsvoraussetzung

Als Sachentscheidungsvoraussetzung stellt das Rechtsschutzbedürfnis eine zentrale Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage dar; seine Prüfung erfolgt im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit einer Klage.

Die Sachentscheidungsvoraussetzungen sind Zulässigkeitsvoraussetzungen. Sie müssen erfüllt sein, damit das Gericht in die Sachprüfung eintreten und ein Sachurteil erlassen kann. Die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen gelten für jedes Verfahren. Fehlt auch nur eine Voraussetzung, ist die Klage unzulässig. Sie ist durch Prozessurteil abzuweisen.

Keine Entscheidung über den materiell-rechtlichen Streitgegenstand

Die Rechtskraft eines Urteils, mit dem ausschließlich über die Zulässigkeit entschieden worden ist, erstreckt sich nur auf die darin entschiedenen Sachentscheidungsvoraussetzungen und nicht auf den materiell-rechtlichen Streitgegenstand. Eine Entscheidung in der Sache selbst wird nicht getroffen. Die Rechtskraft eines Prozessurteils steht damit einer erneuten Entscheidung, in der erstmals in der Sache entschieden wird, nicht entgegen.

Würde eine trotz fehlendem Abrechnungsbescheid erhobene Leistungsklage hingegen als unbegründet angesehen, wäre über den Leistungsanspruch auf Zahlung des gegebenenfalls zu erstattenden Betrages bereits rechtskräftig entschieden worden.

BFH präzisiert Aussage

Soweit frühere Entscheidungen in der Weise verstanden werden könnten, dass eine Leistungsklage, die erhoben wurde, bevor ein bestandskräftiger Abrechnungsbescheid gem. § 218 Abs. 2 AO vorliegt, nicht begründet/unbegründet wären (Urteile v. 12.6.1986, VII R 103/83, BStBl II 1986, 702 und v. 30.11.1999, VII R 97/98, BFH/NV 2000, 412; Beschlüsse v. 7.7.1998, VII B 312/97, BFH/NV 1999, 150 und v. 10.5.2007, VII B 195/06), präzisiert der BFH diese nunmehr dahingehend, dass eine solche Leistungsklage unzulässig ist.  

Nach diesen Maßstäben fehlt im Streitfall für die Zahlungsklage, mit der die Unwirksamkeit der vom HZA erklärten Aufrechnung und das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO geltend gemacht wird, das Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger dieses Ziel durch einen Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids nach § 218 Abs. 2 AO mit anschließendem Einspruch und Anfechtungsklage hätte erreichen können und insoweit die Leistungsklage subsidiär ist. Soweit sich der Kläger auf das Vorliegen des Abrechnungsbescheids beruft, fehlt es an einer Feststellung des begehrten Erstattungsanspruchs, da der Bescheid auf 0 € lautet. Das Rechtsschutzbedürfnis lässt sich nämlich nicht allein aus dem Erlass eines Abrechnungsbescheids herleiten.

Klage auch nach dem Hilfsantrag unzulässig

Ein Kläger kann grundsätzlich in einem laufenden Klageverfahren ein weiteres Begehren geltend machen; auch eine eventuelle Klagehäufung durch einen Hilfsantrag ist insoweit grundsätzlich möglich. Allerdings müssen dann die Voraussetzungen einer Klageänderung nach § 67 FGO erfüllt sein. Dies ist hier nicht der Fall.

Klageänderung

Eine Klageänderung liegt unter anderem vor, wenn durch Erweiterung des Klageantrags im Rahmen einer nachträglichen objektiven Klagehäufung (§ 43 FGO) ein weiterer Klagegegenstand in das Verfahren eingeführt wird. Wird das neue Klagebegehren hilfsweise geltend gemacht, so tritt eine Klageänderung im Wege der eventuellen Klagehäufung ein.

Eine Klageänderung ist nur zulässig, wenn sowohl für das ursprüngliche als auch das geänderte Klagebegehren die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen stehen nicht zur Disposition der Beteiligten; sie dürfen daher durch die Klageänderung nicht unterlaufen werden.

Da bereits die ursprüngliche Klage im Streitfall mangels Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers unzulässig ist, ist eine zulässige Klageänderung ausgeschlossen.

BFH, Urteil v. 12.12.2023, VII R 60/20; veröffentlicht am 21.3.2024

Alle am 21.3.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen




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