Rz. 19

[Autor/Stand] Die gesetzlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Steuerrechts stehen daher in einem erheblichen Spannungsverhältnis zu dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit. Zur Lösung dieser Konfliktsituation bieten sich grds. mehrere Möglichkeiten an[2]. Denkbar ist es, die steuerlichen Mitwirkungspflichten gänzlich außer Kraft zu setzen, wenn das Ermittlungsverfahren wegen einer Steuerstraftat eingeleitet ist oder der Stpfl. sich bei Erfüllung seiner Pflichten selbst belasten müsste[3]. Auch wäre es möglich, die Mitwirkungspflichten fortbestehen zu lassen, aber auf die Anwendung von Zwangsmitteln in diesem Zusammenhang zu verzichten. Des Weiteren kann man an der Erzwingbarkeit der Mitwirkungspflichten festhalten, aber die strafrechtliche Unverwertbarkeit der offenbarten Angaben festlegen[4]. Schließlich käme in Betracht, das rechtsschutzschwächere Besteuerungsverfahren bis zur Entscheidung über das rechtsschutzintensivere Strafverfahren auszusetzen[5].

 

Rz. 20

[Autor/Stand] Der Gesetzgeber hat sich mit der Regelung in § 393 AO für eine Kombination i.S.d. 2. und 3. Alternative entschieden. § 393 Abs. 1 AO versucht, den Konflikt zwischen der Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafverfahren und den Interessen des Fiskus an einem vollständigen Steueraufkommen durch einen Kompromiss zu lösen. Der Gesetzgeber hat dabei den Nemo-tenetur-Grundsatz nicht unbeschränkt in die AO übernommen, wozu er unter Abwägung der Belange der Beteiligten berechtigt wäre[7]. Grundsätzlich bleibt der Stpfl. auch bei einem parallel laufenden Steuerstrafverfahren im Besteuerungsverfahren auskunfts- und mitwirkungspflichtig[8]. Die AO geht damit prinzipiell von der Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit beider Verfahren aus[9] (s. Rz. 31 f. m.w.N.). Hierfür sprechen auch die im Kern identischen Verfahrenszwecke, die auf die Sicherung des staatlichen Anspruchs auf das vollständige Steueraufkommen gerichtet sind.

 

Rz. 21

[Autor/Stand] Ein Zugeständnis an das Selbstbezichtigungsverbot räumen § 393 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO nur insoweit ein, als bei Gefahr der Selbstbelastung wegen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit steuerliche Zwangsmittel unzulässig sind. Die AO gewährt dem Beschuldigten im Steuerstrafverfahren also nur ein punktuelles Schweigerecht, d.h. die steuerlichen Erklärungs- und Mitwirkungspflichten bleiben – selbst bei Gefahr der Selbstbezichtigung – bestehen, allein sie können nicht mehr mit steuerlichen Zwangsmitteln erzwungen werden (s. Rz. 55 ff.).

 

Rz. 22

[Autor/Stand] Durch die Belehrungspflicht (Abs. 1 Satz 4) soll sichergestellt werden, dass der Stpfl. von seinem Mitwirkungsverweigerungsrecht Gebrauch machen kann. Sie ist trotz der §§ 136, 163a StPO nicht überflüssig, da diese Regelungen erst nach der Einleitung des Strafverfahrens wirksam werden.

 

Rz. 23

[Autor/Stand] Im Interesse der Steuergerechtigkeit soll mit der in § 393 Abs. 1 AO getroffenen Regelung verhindert werden, dass der steuerunehrliche dem ehrlichen Stpfl. gegenüber ungerechtfertigt bessergestellt wird[13]. Das in § 393 Abs. 2 AO enthaltene Verwertungsverbot soll das Steuergeheimnis auch bzgl. der Angaben gewährleisten, durch deren pflichtgemäße Offenbarung sich der Stpfl. allgemeiner Straftaten bezichtigen müsste[14].

 

Rz. 24

[Autor/Stand] Die Regelung des § 393 AO stellt den Versuch dar, die sich im Hinblick auf das Nemo-tenetur-Prinzip ergebenden Konfliktmöglichkeiten auszuschalten oder doch auf ein Mindestmaß zu beschränken[16]. Dies ist aber nicht in vollem Umfang gelungen. Zum einen bestehen Lücken im persönlichen und sachlichen Geltungsbereich des Zwangsmittelverbots nach § 393 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO (s. z.B. Rz. 64, 84, 96), die nur im Wege der Auslegung geschlossen werden können[17]. Zum anderen stellt sich wegen der Möglichkeit der Durchbrechung des Steuergeheimnisses gem. § 393 Abs. 2 Satz 2 AO die berechtigte Frage nach der Verfassungswidrigkeit der Regelung[18] (s. Rz. 242 ff. m.w.N.). Auch die Meldepflichten der FinB bei Verdacht der Geldwäsche und illegaler Beschäftigung (vgl. §§ 31, 31a und 31b AO)[19] und Bestechungsfällen nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG[20] sind in dieser Hinsicht äußerst problematisch (s. dazu Rz. 48, 205 ff., 242 ff., 248). Auch Abs. 3 der Vorschrift wirft Auslegungsfragen auf (s. Rz. 260 ff.).

 

Rz. 25

[Autor/Stand] Die durch § 393 Abs. 1 Satz 1 AO abstrakt vorgegebene Unabhängigkeit des Besteuerungs- und des Steuerstrafverfahrens voneinander bereitet in der Praxis große Schwierigkeiten, die in der Doppelzuständigkeit der Ermittlungs- und Fahndungsbehörden begründet sind.

Eine sachliche Überschneidung ergibt sich bereits aus den identischen Untersuchungsgegenständen, die sowohl als Besteuerungsgrundlage als auch für die Feststellung des objektiven Tatbestands eines Steuerdelikts erheblich sind. Die verfahrensrechtliche Gemengelage wird dadurch verschärft, dass die ermittelnden Amtsträger identisch sind, es deshalb für den betroffenen Stpfl. nicht ohne weiteres erkennbar ist, in welcher Richtung die Beamten e...

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