Rz. 241

[Autor/Stand] § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genügt nach der höchstrichterlichen Rspr.[2] verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Ausnahmen vom Steuergeheimnis sind jedoch im Lichte verfassungsrechtlicher Anforderungen an den Schutz individualisierter und individualisierbarer steuerlichen Daten auszulegen[3]. Zur Auslegung von § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO durch die Finanzverwaltung vgl. BMF AEAO zu § 30 Nr. 11[4].

 

Rz. 242

[Autor/Stand] Die Verwertungsbefugnis gem. § 393 Abs. 2 Satz 2 AO hält die h.M. in der Literatur dagegen mit Recht wegen Verstoßes gegen das Nemo-tenetur-Prinzip für verfassungswidrig und nicht verfassungskonform auslegbar[6]. Die Annahme, das Problem sei in der Praxis wenig relevant[7], da sich wohl kaum ein Stpfl. bei Betriebsprüfungen selbst schwerer Wirtschaftsvergehen bezichtigen werde, trifft angesichts der vielfachen gesetzlichen Mitteilungspflichten der FinB bei Verdacht der Korruption (§ 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG)[8], illegaler Beschäftigung und Subventionsbetrug[9] (§ 31a AO, s. Rz. 252) und Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung (§ 31b AO) nicht mehr zu. Es ist von erheblicher Brisanz[10].

 

Rz. 243

[Autor/Stand] Auch das LG Göttingen vom 11.12.2007[12] (in nachst. Beispiel) hatte Bedenken bzgl. der Verfassungsgemäßheit des § 393 Abs. 2 Satz 2 AO und hat dem BVerfG die Frage im Wege eines Normenkontrollverfahrens gem. Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorgelegt.

 

Beispiel

In dem Verfahren des LG Göttingen ging es um ein Vergehen nach § 266a StGB. Eine GmbH beschäftigte Asiaten im Rahmen von "Werkverträgen" mit der Geschlechtsbestimmung von Eintagsküken (sog. Kükensortierer). Das FA führte zunächst bei der GmbH eine reguläre Betriebsprüfung betreffend die Körperschaft-, die Gewerbe- und die Umsatzsteuer und später zudem eine Lohnsteueraußenprüfung durch. Im Rahmen dieser Prüfungen erstellte die Betriebsprüferin eine Liste von Unterlagen, die sie benötigte, um sich ein Bild von den Unternehmensumständen zu machen. Sie erhielt daraufhin von den Angeschuldigten einen Ordner, in dem die Rahmenwerkverträge abgeheftet worden waren. In diesem Ordner befand sich eine Aktennotiz, derzufolge diese Verträge in der Praxis nicht angewendet worden seien. Auf Nachfrage zu diesem Schriftstück erläuterte der Geschäftsführer der Betriebsprüferin den Inhalt der Anmerkung. Die Betriebsprüferin schaltete den Zoll mit ein, der wegen des Verdachts des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen in Millionenhöhe gegenüber der Einzugsstelle ermittelte. Die Ermittlungen führten schließlich zur Anklage vor dem LG. Das LG hat das Verfahren aufgrund von Bedenken bzgl. der Verfassungsmäßigkeit des § 393 Abs. 2 Satz 2 AO ausgesetzt und dem BVerfG vorgelegt.

 

Rz. 244

[Autor/Stand] Diese Richtervorlage hat das BVerfG mit Beschluss vom 27.4.2010[14] wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen, da das LG sich nicht mit allen relevanten Gesichtspunkten auseinandergesetzt habe.

Das BVerfG hat jedoch zur Verwertbarkeit der vom Stpfl. offenbarten Erkenntnisse einige allgemeingültige Anmerkungen getroffen (s. dazu Rz. 243). Bei den einzelnen Mitwirkungshandlungen müsse differenziert werden. Gesetzliche Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten beträfen den Kernbereich der grundgesetzlichen Selbstbelastungsfreiheit auch dann nicht, wenn die zu erstellenden oder vorzulegenden Unterlagen auch zur Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen. Vielmehr können solche anderweitigen Mitwirkungspflichten nach der Rspr. des BVerfG[15] namentlich zum Schutz von Gemeinwohlbelangen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Eine ähnliche Unterscheidung habe auch der EGMR[16] vorgenommen. Das LG hätte zwischen der Übergabe der Rahmenwerkverträge samt Aktennotiz durch den Geschäftsführer und seinen Auskünften zu diesen Unterlagen unterscheiden müssen. Bereits die Aushändigung der Akten hätte sicherlich ein Ermittlungsverfahren nach sich gezogen. Die mündlichen Erklärungen seien nicht mehr ausschlaggebend gewesen. Zudem seien die Mitwirkungshandlungen – wenn überhaupt – allenfalls erzwingbar gewesen, ihre Vornahme tatsächlich aber nicht durch Androhung oder Anwendung von Zwangsmitteln erzwungen worden.

 

Rz. 245

[Autor/Stand] Auch der BGH hat mit derselben Begründung nach Art der Mitwirkungshandlung differenziert. Danach sind Kontrollmitteilungen von im Rahmen einer Außenprüfung in Erfüllung der Mitwirkungspflichten aus § 200 AO vorgelegten Unterlagen, die aufgrund gesetzlicher Aufzeichnungspflichten erstellt wurden, zulässig und im Strafverfahren verwertbar, ebenso die Vernehmung der Außenprüferin[18]. Etwas anderes könne allenfalls gelten für Erkenntnisse, die auf Angaben des Beschuldigten selbst beruhten, die dieser während der Außenprüfung gemacht habe.

 

Rz. 246

[Autor/Stand] Eine Sachentscheidung des BVerfG steht damit weiterhin aus[20]. Die Offenbarung seiner Angaben an die Strafverfolgungsbehörden gem. § 393 Abs. 2 Satz 2 AO kann der Stpfl. demnach weiter nicht ausschließen. Er kann allenfalls versuchen, eine Weitergabe durch einen A...

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