a) Wiederaufnahme des Verfahrens

 

Rz. 840

[Autor/Stand] Die Wiederaufnahme des Verfahrens dient der Beseitigung fehlerhafter rechtskräftiger Urteile oder Strafbefehle (vgl. §§ 359, 373a StPO). Sie ist kein ordentliches Rechtsmittel, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf, weil eine Durchbrechung der Rechtskraft erfolgt.

Wurde das Strafverfahren aus Opportunitätsgründen nach den §§ 153 ff. StPO eingestellt (s. Rz. 559 ff.), ist eine Wiederaufnahme nach überw. Ansicht hingegen ausgeschlossen[2].

aa) Wiederaufnahmegründe

 

Rz. 841

[Autor/Stand] Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist nur bei Vorliegen bestimmter Wiederaufnahmegründe (§§ 359, 362 StPO) zulässig. Sie findet zugunsten wie zuungunsten des Verurteilten statt (§ 359 Nr. 1–3 StPO und § 362 Nr. 1–3 StPO):

  • wegen einer für die Entscheidung erheblichen Urkundenfälschung;
  • wegen einer falschen Aussage von Zeugen oder Sachverständigen;
  • wegen Richterdelikten (Rechtsbeugung, Bestechung).

Voraussetzung ist allerdings, dass es wegen jener Straftaten zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist (§ 364 Satz 1 StPO).

 

Rz. 842

[Autor/Stand] Sie findet nur zugunsten des Verurteilten statt:

  • wegen Aufhebung eines Zivilurteils, auf welches das Strafurteil gegründet ist, § 359 Nr. 4, § 262 StPO (dazu gehören u.a. auch Urteile der Finanz- und Verwaltungsgerichte, nicht hingegen aufgehobene Verwaltungsakte[5]);
  • wenn neue für den Verurteilten günstige Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind (§ 359 Nr. 5 StPO);
  • wenn der EGMR eine Menschenrechtsverletzung festgestellt hat und das Strafurteil auf dieser Verletzung beruht (§ 359 Nr. 6 StPO)[6].
 

Rz. 843

[Autor/Stand] Sie kommt nur zuungunsten des Angeklagten in Betracht, wenn dieser freigesprochen worden ist, danach aber ein glaubwürdiges gerichtliches oder außergerichtliches Geständnis abgelegt hat (§ 362 Nr. 4 StPO).

Die Wiederaufnahme ist allerdings ausgeschlossen, wenn sie lediglich bezweckt, eine andere Strafzumessung aufgrund desselben Strafgesetzes oder eine Strafmilderung wegen verminderter Schuldfähigkeit herbeizuführen (§ 363 Abs. 1 und 2 StPO). Kein Ausschlussgrund ist die erfolgte Strafvollstreckung oder der Tod des Verurteilten (§ 361 StPO).

 

Rz. 844

[Autor/Stand] Im Steuerstrafverfahren ist an ein Wiederaufnahmeverfahren vor allem zu denken, wenn nach einem rechtskräftigem Strafausspruch (durch Urteil oder Strafbefehl) später im noch anhängigen Besteuerungsverfahren in derselben Steuersache ein divergierendes Finanzgerichtsurteil ergeht. De lege lata ist aber nach überw. Ansicht weder ein Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 4 StPO noch nach § 359 Nr. 5 StPO gegeben (zum Meinungsstreit s. § 396 Rz. 81 ff. m.w.N.).

 

Rz. 845

[Autor/Stand] Gleiches gilt für die unzähligen Verdikte des BVerfG, die eine Unvereinbarkeitserklärung von Steuern mit der Verfassung enthalten (s. § 370 Rz. 1475 ff. m.w.N.)[10]. Eine Wiederaufnahme abgeschlossener Strafverfahren nach § 79 Abs. 1 BVerfGG, demzufolge gegen ein rechtskräftiges Urteil, das auf einer mit dem GG für unvereinbar erklärten Norm beruht, die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig ist, ist nach höchstrichterlicher Rspr. in diesen Fällen ausgeschlossen, da das BVerfG ganz überwiegend zugleich die zeitlich befristete Weitergeltung der jeweiligen Steuergesetze angeordnet hat. Die einfachgesetzliche Vorschrift des § 79 Abs. 1 BVerfGG wird nach Ansicht von BGH und BFH von der vom BVerfG ausgesprochenen und nach § 31 Abs. 2 BVerfGG ebenfalls mit Gesetzeskraft ausgestatteten Weitergeltungsanordnung als neuerer und speziellerer gesetzlicher Vorschrift gleichen Rangs verdrängt, ohne dass es insoweit auf die vom BVerfG angeführte Begründung für die Weitergeltungsanordnung ankomme[11].

Daher können Vorschläge, de lege ferenda in diesen Fällen die Aufhebung rkr. Verurteilungen zuzulassen[12], nach diesseitiger Ansicht nur befürwortet werden.

 

Rz. 846

[Autor/Stand] Etwas anderes gilt aber bei festgestellter Nichtigkeit des Steuergesetzes (z.B. betr. die Spekulationssteuer in den Jahren 1997/1998, s. § 370 Rz. 1504, 1505 m.w.N.). Dann ist eine Wiederaufnahme gem. § 79 Abs. 1 BVerfGG i.V.m. §§ 359 ff. StPO zulässig.

 

Rz. 847

[Autor/Stand] Für Strafverfahren vor deutschen Gerichten ist nach § 359 Nr. 6 StPO eine Wiederaufnahme von Verfahren nur dann möglich, wenn das entsprechende Urteil des EGMR auf einer Verletzung der EMRK selbst beruht (s. Rz. 919), auch wenn nicht schon jeder Verstoß gegen die EMRK, etwa gegen das Beschleunigungsgebot des Art. 6 EMRK (s. dazu Rz. 1373 ff.), eine Verfahrenswiederaufnahme rechtfertigt[15].

 

Rz. 848

[Autor/Stand] Rechtskräftige Strafbefehle können nachträglich bei Verdacht eines Verbrechens angefochten werden (§ 373a StPO). Nach Aufhebung des Verbrechenstatbestands des § 370a AO scheidet diese Möglichkeit im Steuerstrafrecht aus.

 

Rz. 849

[Autor/Stand] Zur Wiederaufnahme des Verfahrens bei einer Verfahrenseinstellung gem. § 398a Abs. 3 AO s. § 398a Rz. 35 ff.

bb) Verfahren

 

Rz. 850

[Autor/Stand] Das Wiederaufnahmeverfahren gliedert sich in 3 Abschnitte: Nach der Prüf...

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