I. Inhalt der Regelung

 

Rz. 836

[Autor/Stand] § 371 Abs. 4 AO ordnet an, dass ein Dritter, der die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen nicht oder nicht ordnungsgemäß abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt werden kann, sofern ein anderer die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsgemäß erstattet.

Der Inhalt des § 371 Abs. 4 AO lässt sich daher nur bestimmen, wenn er im Zusammenhang mit § 153 AO gesehen wird (s. dazu ausführlich § 370 Rz. 334 ff.). § 153 AO begründet kurz zusammengefasst in seinen drei Absätzen drei unterschiedliche Erklärungspflichten, die dem Stpfl., seinem Gesamtrechtsnachfolger sowie den nach §§ 34, 35 AO für den Stpfl. oder seinen Gesamtrechtsnachfolger handelnden Personen obliegen, nachdem sie die Unrichtigkeit der Erklärung nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkannt haben:

  • Anzeige und Berichtigung von Erklärungsfehlern im Besteuerungsverfahren, insb. in der Steuererklärung (Abs. 1),
  • Pflicht zur Meldung nachträglich eingetretener Veränderungen bei Steuervergünstigungen (Abs. 2),
  • vorherige Anzeige der zweckwidrigen Verwendung von Sachen, die der Verbrauchsteuer unterliegen (Abs. 3).

Die Verletzung dieser Erklärungspflichten ist als Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbewehrt (s. § 370 Rz. 334 ff.).

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.10.2021

II. Rechtsnatur und Zweck

 

Rz. 837

[Autor/Stand] Die Vorschrift hat mit der Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1, 2 AO nur wenig gemeinsam und wirkt deshalb an dieser Stelle des Gesetzes wie ein Fremdkörper. Die Fremdanzeige i.S.d. § 371 Abs. 4 AO bewahrt Steuerhinterzieher vor Strafverfolgungsmaßnahmen, die hierfür im Gegensatz zu § 371 Abs. 1 AO keinen eigenen Beitrag geleistet zu haben brauchen. Nur wenn der Dritte, dem die Anzeige zugute kommt, zum eigenen Vorteil gehandelt hat, muss er entsprechend § 371 Abs. 3 AO die verkürzte Steuer und die Hinterziehungszinsen nachzahlen. § 371 Abs. 4 AO stellt ein Strafverfolgungshindernis dar, das zwar im Ergebnis auch zur Straffreiheit führt, sich aber nur prozessual und nicht – wie die Selbstanzeige als Strafaufhebungsgrund – materiell auf die Strafbarkeit selbst auswirkt[2]. Dass die begünstigende Wirkung nicht beim Anzeigeerstatter, sondern bei einem Dritten eintritt, versteht sich wegen der Straflosigkeit des Anzeigeerstatters von selbst. § 371 Abs. 4 AO kennt zudem nur einen Ausschlussgrund: Die begünstigende Wirkung entfällt nur dann, wenn dem Dritten zuvor die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben wurde.

 

Rz. 838

[Autor/Stand] Der rechtspolitische Grund dieser Regelung besteht darin, die in § 153 AO genannten anzeigepflichtigen Personen vor dem Vorwurf der Denunziation zu bewahren, der sich für sie daraus ergeben würde, wenn sie mit der Erfüllung der in § 153 AO vorgesehenen Anzeigepflichten einen anderen der Gefahr einer strafrechtlichen Verurteilung aussetzen würden[4].

 

Rz. 839

[Autor/Stand] Zweck des § 371 Abs. 4 AO ist es also – insofern ergibt sich eine Gemeinsamkeit mit der Selbstanzeige –, den Anzeigepflichtigen aus steuerpolitischen Gründen von Hemmungen zu befreien, die ihn davon abhalten könnten, durch Erstattung der in § 153 AO vorgeschriebenen Anzeige dem Staat eine bisher verborgene Steuerquelle zu erschließen.

 

Rz. 840

[Autor/Stand] Während die Tatbestandsvoraussetzungen des § 371 Abs. 4 AO weitgehend unproblematisch sind (s. nachst. Rz. 841 ff.), ist der Umfang der strafbefreienden Wirkung der Fremdanzeige äußerst umstritten (s. Rz. 851 ff.). Insbesondere wird der enge praktische Geltungsbereich der gegenwärtigen Gesetzesfassung kritisiert[7].

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.10.2021
[2] H.M., vgl. Joecks in JJR8, § 371 AO Rz. 401; Boelsen, 1994, S. 13; Scheurmann-Kettner in Koch/Scholtz5, § 371 AO Rz. 42.
[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.10.2021
[4] Begr. RegE AO 1974, BT-Drucks. VI/1982, 195; vgl. auch Brauns, wistra 1985, 171 (174); Kemper in Rolletschke/Kemper, § 371 AO Rz. 525.
[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.10.2021
[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.10.2021
[7] Vgl. Beckemper in HHSp., § 371 AO Rz. 209 ff.; Wassmann, Die Selbstanzeige im Steuerrecht, 1991, S. 114.

III. Voraussetzungen

 

Rz. 841

[Autor/Stand] Der Tatbestand des § 371 Abs. 4 AO setzt im Einzelnen Folgendes voraus:

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.10.2021

1. Berichtigungspflicht gem. § 153 AO

 

Rz. 842

[Autor/Stand] Es muss eine Berichtigungspflicht nach § 153 AO (s. Rz. 836) entstanden und durch rechtzeitige und ordnungsgemäße Erstattung der in § 153 AO vorgesehenen Anzeige von einem Anzeigepflichtigen erfüllt worden sein.

 

Rz. 843

[Autor/Stand] Wegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 153 AO wird auf die Kommentierungen zu dieser Bestimmung und auf die Erl. in § 370 Rz. 334 ff. verwiesen. Der Anzeigeerstatter muss Anzeigepflichtiger i.S.d. § 153 AO sein (s. § 370 Rz. 344 ff.).

 

Rz. 844

[Autor/Stand] Abzugrenzen ist die Fremdanzeige gem. § 371 Abs. 4 AO damit von der vertretungsweise für den Stpfl. abgegebenen Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO (s. vorst. Rz. 84 ff. und nachst. Rz. 852 ff.) sowie von der (Straf-)Anzeige eine...

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