Rz. 851

[Autor/Stand] Das Strafverfolgungshindernis des § 371 Abs. 4 AO kommt nach dem Gesetzeswortlaut einem Dritten zugute, der "die in § 153 bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat". Der Bedeutungsgehalt dieser Bezugnahme auf § 153 AO und damit der persönliche und sachliche Umfang der strafbefreienden Wirkung ist äußerst umstritten. Fraglich ist, wer als "Dritter" anzusehen ist, wobei die unterschiedliche Interpretation der Wendung "die in § 153 bezeichneten Erklärungen" eine entscheidende Rolle spielt.

 

Rz. 852

[Autor/Stand] Zunächst ergibt sich aus dem Charakter der Regelung als Strafverfolgungshindernis zweifelsohne, dass sich der Dritte durch seine Pflichtverletzung strafbar gemacht haben muss. Worin allerdings das pflichtwidrige Verhalten des Dritten zu sehen ist, gibt der Gesetzeswortlaut nicht eindeutig zu erkennen. Zur Veranschaulichung soll folgendes Beispiel dienen:

 

Beispiel 1

Die X-GmbH hat drei Geschäftsführer. Geschäftsführer G 2 erkennt nachträglich, dass der für die Steuerangelegenheiten zuständige Geschäftsführer G 1 eine unrichtige Steuererklärung abgegeben hat. G 1 hat damit eine (versuchte) Steuerhinterziehung durch Handeln (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) begangen. G 2 unternimmt gleichwohl nichts (Steuerhinterziehung durch Unterlassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 153 AO). Erst als der dritte Geschäftsführer G 3 davon erfährt, gibt er daraufhin unverzüglich beim FA eine Berichtigungserklärung gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 34 AO ab.

Bleibt nur G 1, nur G 2 oder bleiben beide infolge der Anzeige des G 3 gem. § 371 Abs. 4 AO von der Strafverfolgung verschont?

Drei Deutungen sind möglich[3]: Das Prozesshindernis erstreckt sich

  • auf die durch die Abgabe der unrichtigen Ursprungserklärung begangene Steuerhinterziehung des Dritten (im Beispiel G 1) oder
  • auf die durch Verstoß gegen die nachträgliche Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 AO begangene Steuerhinterziehung durch Unterlassen (des G 2)
  • oder auf beide Fälle (G 1 und G 2).

Die Auslegung ist von erheblicher praktischer Bedeutung insofern, als bei extensiver Auslegung im Sinne der letztgenannten Alternative die Ausschlussgründe des Abs. 2 der Selbstanzeige weitgehend unterlaufen werden können. So kann durch Einschaltung eines Dritten der Täter über § 371 Abs. 4 AO auch dann noch Straffreiheit erlangen, wenn bei ihm selbst bereits die Steuerprüfung begonnen hat[4].

 

Rz. 853

[Autor/Stand] Samson[6] hält aufgrund des Gesetzeswortlauts und der Systematik der Regelung den Verursacher der fehlerhaften Ursprungserklärung für den Begünstigten (im Beispiel G 1). Die zweifache Bezugnahme des § 371 Abs. 4 AO auf § 153 AO und die identische Unterscheidung zwischen "Anzeige" und "Erklärungen" lege einen einheitlichen Sprachgebrauch beider Vorschriften nahe. Der Begriff der "Erklärung" in § 153 AO sei jedoch nur für die fehlerhafte Ursprungserklärung reserviert (§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Für diese Interpretation spreche auch, dass eine unrichtige oder unvollständige Abgabe bei der bloßen "Anzeige" des § 153 AO schwer vorstellbar sei. Andererseits werde das Unterlassen (so aber § 371 Abs. 4 AO) einer Ursprungserklärung gerade nicht von § 153 AO erfasst, was gegen seine bisherige Auslegung des Wortlauts sprechen würde. Dieses Dilemma lässt sich nach Samson nur dadurch lösen, dass sowohl die Ursprungserklärung als auch die Anzeige als "Erklärungen" i.S.d. § 371 Abs. 4 AO anzusehen seien[7]. Dieses "brüchige Ergebnis" rechtfertigt Samson mit dem rein fiskalischen Interesse der Vorschrift.

 

Rz. 854

[Autor/Stand] Joecks[9] pflichtet der Interpretation Samsons bei und hält die infolgedessen sich eröffnenden "Gestaltungsmöglichkeiten" für den Steuerhinterzieher, der eine Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO wegen bereits laufender Betriebsprüfung (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a bzw. c AO) nicht mehr wirksam abgeben könne, nach der Gesetzesfassung des § 371 Abs. 4 AO nicht für rechtsmissbräuchlich. Zu erwägen sei allenfalls in derartigen Fällen einer "Anstiftung zur Fremdanzeige" ein Vorrang des § 371 Abs. 1 AO und damit auch der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO vor der Wirkung des § 371 Abs. 4 AO[10].

 

Rz. 855

[Autor/Stand] Nach anderer Auffassung betrifft § 371 Abs. 4 AO nur den Dritten, der seiner in § 153 AO bezeichneten nachträglichen Anzeige- und Berichtigungspflicht nicht nachgekommen ist und sich erst damit wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht hat[12]. Im vorstehenden Beispielsfall wäre also nur G 2 vor Strafverfolgung geschützt, nicht aber G 1.

 

Beispiel 9

Die Angeklagten hatten als Verantwortliche eines Vereins in mehreren Fällen vorsätzlich unrichtige Lohnsteueranmeldungen beim zuständigen FA abgegeben. Die neue geschäftsführende Direktorin des Vereins, Frau R., erstattete auch namens der angeklagten Vorstandsmitglieder eine Selbstanzeige. Das LG hatte wegen des Verfolgungshindernisses des § 371 Abs. 4 AO einen Teil der Anklagepunkte nicht zur Hauptverhandlung zugelassen.

Das OLG S...

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