Rz. 107

Von praktischer Bedeutung sind nicht so sehr die Fälle eines entgeltlich bestellten Nießbrauchs, sondern für die Praxis wichtig ist der unentgeltlich bestellte Nießbrauch an Kapitalvermögen, ausgelöst durch den Gedanken der Quellenübertragung auf niedrig besteuerte Familienangehörige. Früher wurde der Wertpapier-Nießbrauch[1] nicht nur zivilrechtlich, sondern auch steuerrechtlich anerkannt, was dazu führte, daß der Nießbraucher die ihm gebührenden Erträge des Rechts als eigene Einkünfte zu versteuern hatte.

 

Rz. 108

Die Wende kam mit BFH v. 14.12.1976 (VIII R 146/73, BStBl II 1977, 115). Der BFH hatte folgenden Sachverhalt zu beurteilen:

Ein Vater war Eigentümer von Pfandbriefen, Obligationen und Aktien. Er bestellte seiner 19jährigen Tochter unentgeltlich und zivilrechtlich wirksam den Nießbrauch an einem genau bezeichneten Teil dieser Wertpapiere auf die Dauer von knapp 6 Jahren. Seinem 13 1/2jährigen Sohn bestellte er den unentgeltlichen Nießbrauch an anderen, ebenfalls genau bezeichneten Papieren auf die Dauer von knapp 11 Jahren. Die Laufzeit des Nießbrauchs war so festgelegt, daß sie kurz nach Vollendung des 24. Lebensjahres der Kinder enden sollte. Die Kinder verwendeten die ihnen kraft des Nießbrauchsrechts zufließenden Erträge nicht für den gewöhnlichen Unterhalt, sondern bestritten damit über den gewöhnlichen Unterhalt hinausgehende Aufwendungen. Der Leitsatz des BFH lautet wie folgt:

"Ein unentgeltlicher Nießbrauch an Wertpapieren ändert die Zurechnung der Wertpapiererträge als Einkünfte des Wertpapierinhabers aus Kapitalvermögen nicht. Die Einnahmen sind von dem Wertpapierinhaber mit ihrem Zufluß beim Nießbraucher bezogen."

Der BFH stützte seine Entscheidung insbesondere darauf, daß der unentgeltliche Nießbrauch an Wertpapieren einer Vorausabtretung künftiger Forderungen gleichzusetzen sei, die einkommensteuerrechtlich auch nicht zur Annahme einer verminderten Leistungsfähigkeit des Stpfl., mithin nicht zur Verlagerung einer Einkunftsquelle führten. Nach Auffassung des BFH erzielt Einkünfte aus Kapitalvermögen nur derjenige, der selbst Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt. Dies sei der Wertpapierinhaber, nicht jedoch der Nießbrauchsberechtigte, der nur Erträge kassiere.

 

Rz. 109

In Literatur und Rechtsprechung ist das Urteil des BFH vom 14.12.1976 (a.a. O.) teils auf schroffe Ablehnung[2], teils auf Zustimmung gestoßen[3].

 

Rz. 110

Während die Finanzverwaltung zunächst zu einer vorbehaltlosen Anwendung des BFH v. 14.12.1976 (a.a. O.) auf alle Fälle der unentgeltlichen Einräumung eines Nießbrauchs sowie auch auf Fälle des Vorbehalts- oder Vermächtnisnießbrauchs tendierte[4], wurde später eine differenziertere Haltung eingenommen. Nach dem BMF v. 23.11.1983 (BStBl I 1983, 508, 512) wird das Urteil des BFH v. 14.12.1976 (a.a. O.) für Fälle der unentgeltlichen Bestellung eines Zuwendungsnießbrauchs (z. B. an Aktien, Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Beteiligungen als stiller Gesellschafter, Darlehensforderungen) angewandt, während ein Quellenübergang auf den Nießbraucher dann angenommen wird, wenn der Nießbrauch aufgrund eines Vermächtnisses oder als Vorbehaltsnießbrauch bestellt worden ist. Gestützt werden kann diese Auffassung auf zwei nicht veröffentlichte Entscheidungen des BFH. In seiner nicht veröffentlichten Entscheidung vom 8.6.1977 (II R 79/69) hat der BFH entschieden, daß das Urteil vom 14.12.1976 (a.a. O.) auf Fälle von Nießbrauchsvermächtnissen nicht zutreffe. Der mit einem Nachlaßnießbrauch belastete Erbe würde nach Auffassung des BFH den Nießbrauch nicht unentgeltlich bestellen, sondern aufgrund der Verpflichtung, die ihm durch letztwillige Verfügung auferlegt sei. Der ihm zufallende Nachlaß sei von vornherein mit der Vermächtnisverpflichtung belastet. In dem weiteren nicht veröffentlichten Urteil vom 28.11.1978 (VIII R 98/76) kommt der BFH zum Ergebnis, daß ein Eigentümer einer nießbrauchsbelasteten Sache seine Zahlungen dann nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG als dauernde Last abziehen könne, während die Nießbraucherin sie gemäß § 22 Nr. 1 EStG als wiederkehrende Bezüge zu versteuern habe, wenn der Nießbrauch der Mutter in der Weise durchgeführt werde, daß der Eigentümer Vermieter geworden sei und die Mieteinnahmen bezogen, der nießbrauchsberechtigten Mutter jedoch die jährlichen Mietüberschüsse ausgekehrt habe.

 

Rz. 111

Wegen der vom BFH durch seine Entscheidung vom 14.12.1976 (a.a. O.) vollzogenen Abkehr von seiner früheren Auffassung und der dieser Auffassung folgenden Praxis erließ die Finanzverwaltung eine Reihe von Übergangsregelungen. In dem BMF-Schr. v. 21.7.1978 (BStBl I 1978, 315) wurde angeordnet, daß das BFH-Urt. v. 14.12.1976 nicht auf Altfälle des Zuwendungsnießbrauchs an Wertpapieren angewendet werden solle (Bestellung des Nießbrauchs vor dem 1.4.1977) und ebenfalls keine Anwendung finden solle auf Fälle des Vorbehalts- und Vermächtnisnießbrauchs. Ebenso wie für den Nießbrauch bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung wurde im Anschluß d...

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