Rz. 34

Die "erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht" nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. b ErbStG ist in ihren Auswirkungen der unbeschränkten Steuerpflicht nach Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. b der Vorschrift gleichgestellt. Sie betrifft deutsche Staatsangehörige als Erblasser bzw. Schenker und Erwerber, die sich nicht länger als 5 Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben. Die Vorschrift setzt einen früheren inländischen Wohnsitz voraus; ein früherer gewöhnlicher Aufenthalt genügt nicht.[1] Eine auch nur kurzzeitige Begründung eines inländischen Wohnsitzes nach dem Fortzug lässt die Frist von Neuem laufen. Verfassungsrechtlich ist dies unbedenklich.[2]

 

Rz. 35

Die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht ist zumindest insoweit mit Unionsrecht vereinbar, als eine Doppelbesteuerung vermieden wird.[3] In dem Urteil des EuGH in der Sache van Hilten billigte der EuGH eine Vorschrift des niederländischen Rechts, die im Erbfall eine auf 10 Jahre nach dem Wegzug befristete erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht in den Niederlanden vorsah. In der Sache Margarete Block[4] führte der EuGH zur Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer aus, dass die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts vorbehaltlich dessen Beachtung über eine gewisse Autonomie in diesem Bereich verfügen und deshalb nicht verpflichtet sind, ihr eigenes Steuersystem den verschiedenen Steuersystemen der anderen Mitgliedstaaten anzupassen, um namentlich die sich aus der parallelen Ausübung ihrer Besteuerungsbefugnisse ergebende Doppelbesteuerung zu beseitigen. Aus dem Unionsrecht folgt kein Anspruch auf steuerneutrale Wohnsitzverlagerung in einen anderen Mitgliedstaat.[5]

 

Rz. 36

Die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht bei ins Ausland verzogenen Staatsangehörigen kollidiert häufig mit der Wohnsitzbesteuerung eines ausländischen Staats und führt dann zu einer Doppelbesteuerung. Führt die Doppelbesteuerung zu einer konfiskatorischen Besteuerung, können Billigkeitsmaßnahmen geboten sein.[6]

 

Rz. 37

Durch Aufgabe des Wohnsitzes oder der deutschen Staatsangehörigkeit lässt sich die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht zwar vermeiden, doch darf zum einen weder auf Erwerberseite noch aufseiten des Erblassers oder Schenkers eine unbeschränkte Steuerpflicht fortbestehen oder aus anderem Grund begründet werden, wofür der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland bereits ausreicht.[7] Die deutsche Staatsangehörigkeit kann unter bestimmten Umständen aufgegeben werden. Die Voraussetzungen regelt das Staatsangehörigkeitsgesetz.[8] Gem. § 17 StAG geht die Staatsangehörigkeit unter den jeweils genannten Voraussetzungen verloren durch

  • Entlassung[9],
  • den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit[10],
  • Verzicht[11],
  • Annahme als Kind durch einen Ausländer[12],
  • Eintritt in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staats[13],
  • Erklärung[14],
  • Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts.[15]

Zu beachten ist dabei, dass auch die beschränkte Steuerpflicht[16] sowie die erweiterte beschränkte Steuerpflicht nach § 4 AStG vermieden werden müssen.[17]

 

Rz. 38

Der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen auch Doppelstaater mit (auch) deutscher Staatsangehörigkeit, selbst wenn diese ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ausschließlich im Ausland haben. Für eine Einschränkung aus Billigkeitsgründen gibt es angesichts des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes keinen Anlass.[18] Wer in einer solchen Konstellation an der deutschen Staatsangehörigkeit festhält, kann nicht nur die Vorteile hieraus beanspruchen.

 

Rz. 39–49

einstweilen frei

[1] Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 21; beim Wegzug in die USA gilt seit dem 15.12.2000 gem. Art. 3 G v. 15.9.2000, BStBl I 2001, 110, eine Frist von 10 Jahren; zur rechtstechnischen Umsetzung im Zustimmungsgesetz zum DBA-USA zu Recht krit. Jülicher, in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 24.
[2] BFH v. 19.6.2013, II R 10/12, BStBl II 2013, 746; a. A. wegen der damit verbundenen Inländerdiskriminierung Schaumburg, RIW 2001, 161, 165.
[3] EuGH v. 23.2.2006, C-513/03 (van Hilten-van der Heijden), BFH/NV Beilage 2006, 229; vgl. dazu Jochum, ZEV 2006, 463; a. A. Wachter, ZErb 2005, 104, 108 f. Ebenso FG München v. 3.7.2019, 4 K 1286/18, EFG 2020, 684, Rev. anh. II R 5/20, für das Zusammentreffen von inländischer Schenkungsteuer und schweizerischer Vermögensteuer.
[5] Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 2018, § 2 Rz. 14.
[8] StAG v. 22.7.1913, RGBl 1913, 583, i. d. F. des Art. 2 G v. 22.11.2011, BGBl I 2011, 2258, zuletzt geändert durch Art. 1 Viertes Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes v. 12.8.2021, BGBl I 2021, 3538.
[18] A. A. aber Jülicher, in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 22.

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