Tenor

Die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 3 RVO beginnt bei Rentenansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sofern dem Antrag keine materiell-rechtliche Bedeutung zukommt, mit der Entstehung des Rentenanspruchs.

 

Gründe

I

Die 1913 geborene Klägerin des beim 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) schwebenden Ausgangsverfahrens beantragte im Dezember 1967 Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres 1943 verstorbenen Ehemannes. Die Rente wurde vom 1. Dezember 1963 an gewährt. Für die Zeit davor wurde der Anspruch wegen „Verwirkung” abgelehnt. Auf die dagegen erhobene Klage wurde der Klägerin die Rente ab 1. Januar 1957 zugesprochen. Während des Berufungsverfahrens erhob die Beklagte zusätzlich die Einrede der Verjährung. Sie führte ein Vorverfahren durch und erließ 1969 einen für die Klägerin negativen Widerspruchsbescheid Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Abänderung des SG-Urteils und der beiden Bescheide die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides über den streitigen Anspruch für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 30. November 1963 verurteilt. Dabei war es der Auffassung, daß der Lauf der Verjährungsfrist nicht erst mit der Antragstellung, sondern bereits mit der Entstehung des Anspruchs begonnen habe. Die vorgebrachter Gründe rechtfertigten jedoch die Erhebung der Verjährungseinrede nicht. Da nicht feststehe, ob die Beklagte sämtliche, für eine solche Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Gesichtspunkte beachtet und bewertet habe, sei der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif. Mit der zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, sie habe ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt.

Der 5. Senat möchte entscheiden, daß der streitige Rentenanspruch für eine Zeit vor der Antragstellung verjährt sei, weil die Verjährungsfrist nicht erst mit der Antragstellung, sondern grundsätzlich bereits mit dem Eintritt der materiellen Anspruchsvoraussetzungen beginne. An dieser Entscheidung sieht er sich durch die seitherige Rechtsprechung des BSG, insbesondere durch die Urteile des 4. Senats von 25. Juni 1964 – 4 RJ 151/63 – und vom 2. Dezember 1964 – 4 RJ 185/61 – sowie durch das Urteil des 11. Senats vom 4. Mai 1965 – 11 RA 356/64 – gehindert, nach denen die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 3 RVO erst mit der Antragstellung beginnt.

Der 5. Senat hat deshalb nach vorherigen (formlosen) Anfragen beim 4. und 11. Senat in seiner Sitzung vom 29. Juli 1971 beschlossen, dem Großen Senat nach § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorzulegen:

Beginnt die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bei Rentenansprüchen aus der Rentenversicherung der Arbeiter grundsätzlich mit der Entstehung des Rentenanspruchs oder erst mit der Antragstellung?

Der 4. Senat hat in der Sitzung vom 16. September 1971 seine bisherige Auffassung (BSG 21, 162) nicht mehr aufrechterhalten. Die gleiche Entscheidung hat auf die Anfrage des 5. Senats vom 1. November 1971 auch der 12. Senat in der Sitzung vom 1. Dezember 1971 hinsichtlich seines Urteils vom 28. August 1964 (SozR Nr. 6 zu § 29 RVO) getroffen. Der 11. Senat hat sich dagegen in seiner Sitzung vom 21. Oktober 1971 dafür entschieden, an seiner seitherigen Rechtsprechung (BSG 23, 62) festzuhalten.

II

Die Vorlage an den Großen Senat ist zulässig.

a) In den Gründen des Vorlagebeschlusses ist ausgeführt, daß sich erst nach der positiven Beantwortung der Frage nach der Verjährung die – weitere – Frage ergebe, ob sich der Versicherungsträger nach seinem pflichtgemäßen Ermessen auf eine eingetretene Verjährung berufen dürfe; dies hänge von den Besonderheiten des Einzelfalles ab. – Da insoweit schon das LSG ausreichende „für die Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Gesichtspunkte” vermißt und deshalb die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides verpflichtet hatte, ist aus den Gründen des Vorlagebeschlusses zu entnehmen, daß der 5. Senat das mit der Revision angefochtene Urteil aufzuheben und zur Prüfung der Frage, ob die Einrede der Verjährung wirksam erhoben oder etwa rechtsmißbräuchlich ist, an das LSG zurückzuverweisen gedenkt. Mit Beschluß des 5. Senats vom 29. Oktober 1971 wurde dies nachträglich klargestellt. – Eine solche Zurückverweisung setzt aber notwendigerweise voraus, daß im vorliegenden Fall tatsächlich die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Somit hängt der Ausgang des Rechtsstreits von der Beantwortung der vorgelegten Rechtsfrage ab. Daran ändert der Umstand nichts, daß der 5. Senat mangels ausreichender Feststellungen über die Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht durchentscheiden kann. Denn die streitige Rechtsfrage, wegen der die Revision zugelassen worden ist – das LSG ist insoweit von der Rechtsprechung des BSG abgewichen (vgl. LSG-Urteil S. 19) – muß vor der Zurückverweisung der Sache an das LSG entschieden werden. Dabei handelt es sich somit nicht lediglich um beiläufige Bemerkungen, sondern um die Entscheidung einer Rechtsfrage, auf der die Zurückverweisung beruht. Damit ist die vorgelegte Rechtsfrage für den Ausgang des Rechtsstreits von wesentlicher (tragender) Bedeutung (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Anm. zu § 42 SGG S. 94/30 – 7 – und RGZ Bd. 134 S. 17, 22). Gegen die Zulässigkeit der Vorlage bestehen daher aus diesem Gesichtspunkt keine Bedenken.

b) Der 11. Senat hat allerdings als möglich unterstellt (vgl. Schriftsatz vom 26. Oktober 1971), daß der 5. Senat in der Beurteilung der Ermessensausübung zu der gleichen Auffassung wie das LSG gelangen könnte, was dann zur Folge habe, daß die Revision in jedem Falle – d. h. auch ohne anderweitige Entscheidung der vorgelegten Rechtsfrage – zurückgewiesen werden müßte. Auch in einem solchen Fall könnte aber nichts anderes gelten, es sei denn, der 5. Senat könnte die Rechtsfrage dahingestellt sein lassen. Das trifft hier aber, wie bereits dargelegt, nicht zu.

c) Der Vorlagebeschluß des 5. Senats, der bereits die wesentlichen Einzelheiten enthielt, ist durch den vollbesetzten Senat ergangen. Das gleiche gilt für die späteren Entschließungen des 4., 11. und 12. Senats vom 16. September, 21. Oktober und 1. Dezember 1971. Allerdings ist die dem Vorlagebeschluß vorausgegangene Anfrage des 5. Senats vom 30. April 1971 an die Vorsitzenden des 4. und 11. Senats, ob sie an ihrer Rechtsprechung festhalten, durch den Vorsitzenden des 5. Senats erfolgt. Das SGG bietet keinen Anhalt dafür, daß eine solche Anfrage – oder auch die Antwort – vom Senatsvorsitzenden allein gestellt – oder abgegeben – werden dürfte. Wie ein Vergleich mit den Vorschriften der §§ 110112 SGG (i.V.m. §§ 153 Abs. 1, 165 SGG) oder den Vorschriften des § 155 i.V.m. § 165 SGG bzw. § 164 Abs. 1 Satz 2 SGG ergibt, stehen dem Vorsitzenden allein nur dann selbständige Funktionen zu, wenn dies im Gesetz ausdrücklich geregelt ist. Dazu gehören solche Anfragen und Antworten nicht. Im vorliegenden Fall wurde die Anfrage des 5. Senats jedoch von den übrigen drei Berufsrichtern des Senats gegengezeichnet. Das gleiche gilt für die spätere Anfrage des 5. Senats vom 1. November 1971 an den 12. Senat. Die frühere Anfrage wurde dann zwar auch nur von den Vorsitzenden des 4. und 11. Senats (Schreiben vom 15. und 16. Juli 1971) beantwortet. Aus dem Inhalt der genannten Schreiben der Vorsitzenden des 4. und 11. Senats ergibt sich jedoch, daß sie ebenfalls nicht die Ansicht des jeweiligen Vorsitzenden allein, sondern die der „Berufsrichter des 4. Senats” und die der vier Berufsrichter des 11. Senats enthalten. Geben somit die Anfragen und Antworten die Rechtsauffassung aller Berufsrichter der beteiligten Senat wieder, so ist eine solche Verfahrensweise nicht zu beanstanden. Dabei kann hier dahinstehen, ob die Mitwirkung dreier Berufsrichter ausgereicht hatte, was von Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd. I S. 190 w IX bejaht und von Mellwitz verneint wird. (NJW 1962, 1143).

Friederichs (Sozialgerichtsbarkeit 1960, 227, 228) und Mellwitz (NJW 1962, 1143) halten allerdings auch bei solchen Anfragen und Beantwortungen die Beiziehung der Bundessozialrichter (Laienrichter) für notwendig, wenn auch die Endentscheidung in solcher Besetzung getroffen werden müßte. Nur diese Fälle sind hier von Interesse. Dabei wird jedoch nicht genügend beachtet, daß im Zeitpunkt der Anfrage noch nicht feststeht, ob es tatsächlich zu einer Anrufung des Großen Senats kommt. Denn der anfragende Senat kann im Zeitpunkt der Anfrage noch nicht übersehen, wie die Antwort des befragten Senats ausfallen wird. Gibt dieser seine Rechtsprechung auf, so entfällt von vornherein die Anrufung des Großen Senats. Aber auch wenn der andere Senat an seiner Rechtsauffassung festhält, wird sich der anfragende Senat erst nach Eingang der Antwort des anderen Senats darüber schlüssig werden, ob er mit Rücksicht auf die Stellungnahme des anderen Senats und dessen etwaige Begründung nunmehr den Großen Senat anrufen oder von seinem Vorhaben Abstand nehmen soll. Daraus wird deutlich, daß es sich bei der Anfrage nur um einen Vorgang handelt, der dem eigentlichen Verfahren nach § 42 SGG vorausgeht und zunächst nur der Klärung dient, ob es überhaupt der Anrufung des Großen Senats bedarf. Dabei hat die Anfrage nicht die Bedeutung einer Revisionsentscheidung. Wollte man in diesem formlosen nur vorbereitenden Verfahren, dessen nähere Einzelheiten der Geschäftsordnung überlassen werden können (vgl. auch Baumbach/Lauterbach, aaO, Anm. 1 zu § 137 GVG), immer die Bundessozialrichter beiziehen, obwohl möglicherweise der Große Senat gar nicht angerufen wird, so würde ein recht umständlicher und zeitraubender Weg beschritten, ohne daß man durch Verfahrensvorschriften hierzu genötigt wäre. Darüber hinaus würden dann die Bundessozialrichter zweimal herangezogen werden, einmal im vorbereitenden Verfahren und ein zweites Mal bei der Anrufung des Großen Senats. Eine solche doppelte Heranziehung der Bundessozialrichter zu der gleichen Sache ist weder sinnvoll noch aus irgendwelchen Verfahrensgrundsätzen geboten. Demgemäß vertreten auch Peters/Sautter/Wolff aaO S. 94/30 – 6 und 7 – die Auffassung, daß bei der Entscheidung über die Anfrage (und die Beantwortung der Anfrage) nur die Berufsrichter mitwirken müssen. Im Kommentar zur VwGO von Eyermann/Fröhler aaO S. 84 Anm. 3 zu § 11 VwGO wird die Besonderheit dieses vorbereitenden und noch unverbindlichen Verfahrens zutreffend, durch die Worte gekennzeichnet: Der Vorsitzende des Senats, der abweichen will, wird sich mit den Vorsitzenden des anderen Senats „ins Benehmen zu setzen haben”. Soweit von anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes, bei denen ausnahmsweise oder wie beim Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Regel ehrenamtliche Richter mitwirken, zum Teil anders verfahren wird, ist einerseits zu bedenken, daß für das formlose Anfrageverfahren weitgehend rein interne Regelungen gelten, die sich deshalb einer systematischen Würdigung entziehen. Andererseits ist zu beachten, daß sich die für die ehrenamtlichen Richter geltenden Verfahrensvorschriften von denen des SGG teilweise erheblich unterscheiden. So kann z. B. das Armenrecht nach § 20 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen vom 21. Juli 1953 (BGBl I 667) mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nur unter Mitwirkung der landwirtschaftlichen Beiseitzer versagt werden (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. mit § 2 Abs. 2), während es nach dem SGG in diesem Fall der Zuziehung der Bundessozialrichter nicht bedarf (§ 167 SGG, § 126 Abs. 1 und 2 ZPO). Andererseits wirken die landwirtschaftlichen Beisitzer (Oberste Landwirtschaftsrichter) – wiederum im Gegensatz zu der im SGG getroffenen Regelung – im Großen Senat des Bundesgerichtshofs für Zivilsachen gar nicht mit (vgl. Pritsch, Kommentar zum gerichtlichen Verfahren in Landwirtschaftssachen 1955, Anm. VIII zu § 20, S. 252). Nach dem Sinn und Zweck der im SGG geregelten Verfahrensvorschriften ist sonach aus den oben dargelegten Gründen bei der formlosen Anfrage eine Beteiligung der Bundessozialrichter nicht erforderlich. Die Anfragen des 5. Senats sind sonach verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.

Nach Anrufung des Großen Senats haben der 4. und 12. Senat ihre seitherige Rechtsprechung aufgegeben. Da diese Entschließungen – wie diejenige des 11. Senats vom 21. Oktober 1971 – unter Mitwirkung der Bundessozialrichter zustandegekommen sind, bestehen insoweit ebenfalls keine verfahrensrechtlichen Bedenken.

Die Vorlage ist demnach zulässig und das bisherige vorbereitende Verfahren nicht zu beanstanden.

III

Die Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegte Rechtsfrage beruht auf folgenden Erwägungen:

1.) Auszugehen ist von der Vorschrift des § 29 Abs. 3 RVO, die auch für die Hinterbliebenenrenten gilt (BSG 21, 162) und die seit Inkrafttreten der RVO vom 19. Juli 1911 bis heute unverändert geblieben ist. Nach dieser Vorschrift verjährt der Anspruch auf Leistungen der Versicherungsträger in vier Jahren nach der Fälligkeit, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt. „Anspruch auf Leistungen” bedeutet den Anspruch auf die einzelnen (monatlichen) Rentenleistungen, nicht den Anspruch auf Versicherungsleistungen schlechthin, d. h. nicht das „Recht auf Rente”, das als solches unverjährbar ist (vgl. Mitglieder-Kommentar zur RVO, Bd. I 1927, Anm. 3 zu § 29 RVO; BSG 21, 162 sowie BSG in SozR Nr. 5 zu § 29 RVO). Darüber bestehen keine Meinungsverschiedenheiten.

Die RVO sagt jedoch nichts darüber, wann diese Leistungen „fällig” werden, und dies ist die eigentliche Ursache für die im vorliegenden Fall bestehende Divergenz.

a) Der 4. Senat hat am 25. Juni 1964 – 4 RJ 151/63 – (BSG 21, 162 = SozR Nr. 4 zu § 29 RVO) entschieden, daß ein Anspruch auf Leistungen aus der Rentenversicherung frühestens mit der Antragstellung fällig werde. Für diese Rechtsauffassung war die Erwägung maßgebend, daß der Antragsteller (vgl. § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO) vor der Anmeldung gegenüber dem Versicherungsträger die Zahlung nicht fordern und der Versicherungsträger andererseits die sofortige Zahlung vor Antragstellung verweigern könne. Dies schließe die Fälligkeit eines solchen Anspruchs aus. Hieran änderten § 1290 Abs. 1 Satz 1, der den Beginn der Rente regele, und § 1297 RVO, der die Art der Rentenzahlung festlege, nichts. Auch aus der Vorschrift des § 220 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sei nichts Gegenteiliges herzuleiten, weil diese nichts darüber enthalte, welche Bedeutung der Antragstellung für die Frage der Fälligkeit eines Anspruchs zukomme (vgl. hierzu auch die Entscheidung des 4. Senats vom 2. Dezember 1964 – 4 RJ 185/61 – in SozR Nr. 5 zu § 29 RVO).

b) Der 11. Senat hat in Anlehnung an die Entscheidungen des 4. Senats sowie unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des 1. und 12. Senats mit Urteil vom 4. Mai 1965 – 11 RA 356/64 – (BSG 23, 62) ausgesprochen, daß sich die „Fälligkeit” des Anspruchs auf Leistungen der Versicherungsträger (§ 29 Abs. 3 RVO, § 205 AVG) nach dem Zeitpunkt bestimme, in dem die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und der Rentenanspruch von dem Berechtigten gegenüber dem Versicherungsträger geltend gemacht, d. h. der Antrag auf Leistung bei den Versicherungsträger gestellt ist. Die Fälligkeit richte sich nach dem Zeitpunkt, in dem der materiell-rechtlich begründete Antrag auf Leistung beim Versicherungsträger gestellt sei. Da der Berechtigte, der eine öffentlich-rechtliche Leistung begehre, zunächst die Verwaltung zum Tätigwerden veranlassen müsse und vor Abschluß des Verwaltungsverfahrens die Leistung nicht fordern könne, trete die Fälligkeit – anders als in der Regel im bürgerlichen Recht – nicht zu dem Zeitpunkt ein, in dem der Anspruch „entstanden” sei. Insoweit sei es unerheblich, ob es sich um Ansprüche handele, für die der Antrag materiell-rechtliche Voraussetzung des Anspruchs sei, oder ob dies nicht der Fall sei. Das „Geltendmachen” des Anspruchs auf Rente habe sowohl materiell-rechtliche als auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Von verfahrensrechtlicher Bedeutung sei es auch in den Fällen, in denen – wie bei den vorliegend streitigen Ansprüchen – der Antrag nicht materiell-rechtlich bedeutsam sei. Die Fälligkeit trete andererseits nicht erst mit der „Feststellung” der Leistungen in Rentenbescheid ein, weil der Bescheid nur im Einzelfall feststelle, was nach Meinung der Verwaltung bereits kraft Gesetzes rechtens sei. – Der 11. Senat führt anschließend einschränkend aus, der Berechtigte könne, wenn er seine Ansprüche nicht oder nicht rechtzeitig betreibe, Ansprüche auf Einzelleistungen für zurückliegende Zeiten, möglicherweise sogar das „Stammrecht”, verwirken.

c) Nachdem der 5. Senat in seinem Vorlagebeschluß dargelegt hatte, weshalb nach seiner Auffassung bei der hier gebotenen, die Besonderheiten des öffentlichen Rechts berücksichtigenden entsprechenden Anwendung des bürgerlichen Rechts (§§ 198, 209-211, 220 und 271 BGB) davon ausgegangen werden müsse, daß die Verjährung – in Fällen der hier streitigen Art – mit dem Eintritt der materiellen Anspruchsvoraussetzungen beginne, hat sich der 4. Senat dahin geäußert, daß unter den jetzt wieder normalisierten Lebensverhältnissen mit einem überschaubar gewordenen Rentenrecht in Zukunft die Frage des Beginns der Verjährung weder für die Versicherten noch für die Versicherungsträger besondere Bedeutung habe. Für die künftigen Fälle dieser Art möge eine engere Auslegung des § 29 Abs. 3 RVO die – was für den Verwaltungsablauf wünschenswert erscheine – zur rechtzeitigen Antragstellung zwinge, angebracht sein. Deshalb habe der Senat beschlossen, an seiner bisherigen Auffassung nicht mehr festzuhalten. Durch einen Wandel in der Rechtsprechung dürften jedoch diejenigen Rentenbewerber nicht benachteiligt werden, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen seien.

2. Zusammenfassend ist somit zunächst festzustellen, daß die Divergenz nur diejenigen Fälle betrifft, in denen der Rentenantrag – anders als etwa in den Fällen der §§ 1248 Abs. 2 und 3, 1290 Abs. 5 RVO (vgl. BSG 23, 62, 64) – keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Rentenanspruchs darstellt. Es bestehen keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß der nach § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO (§ 1613 RVO), d. h. im verfahrensrechtlichen Teil der RVO, geregelte Antrag kein solcher materiell-rechtlich bedeutsamer Antrag ist und daß es sich in dem vom 5. Senat zu entscheidenden Fall bzw. in den diesem Fall vergleichbaren Fällen von Witwenrentenansprüchen um einen solchen allein verfahrensrechtlich bedeutsamen Antrag nach § 1264 RVO handelt. Es besteht auch kein Streit darüber, daß die materiell-rechtlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift – ebenso wie in dem vom 11. Senat in BSG 23, 62, 63 entschiedenen Fall – hier schon am 1. Januar 1957 vorgelegen haben.

3. Aus der Entstehungsgeschichte bzw. den Gesetzesmaterialien des seit Inkrafttreten der RVO unverändert gebliebenen § 29 Abs. 3 RVO ergibt sich folgendes:

a) Nach dem Bericht der 16. Kommission über den Entwurf einer Reichsversicherungsordnung, Reichstags-Drucksache Nr. 340, Band I S. 28 (vgl. auch Liebe, SozVers 1963 S. 353/354) lautete die ursprüngliche Fassung dieser Vorschrift (im Entwurf § 26 bzw. 26 a RVO): „Der Anspruch auf Leistungen der Versicherungsträger verjährt in zwei Jahren nach der Fälligkeit”. Dagegen hatten die Vertreter der verbündeten Regierungen geltend gemacht, bisher habe eine besondere Verjährung nur für die Krankenversicherung bestanden. Für die Invaliden- und Unfallversicherung habe daher die vierjährige Verjährungsfrist des Bürgerlichen Gesetzbuches gegolten. Eine Abkürzung auf eine zweijährige Verjährungsfrist nach dem Antrage werde also eine Schlechterstellung der Versicherten bedeuten. Ein Kommissionsmitglied trug vor, diese Verschlechterung des geltenden Rechts bedeute „besonders für die Invalidenversicherung eine empfindliche Benachteiligung”. Bei Ansprüchen auf Krankengeld und Unfallrenten komme es nicht vor, „daß die Zahlung einer fälligen Rente nicht rechtzeitig beansprucht werde”, wohl aber könne dies bei der Invalidenversicherung der Fall sein. So komme es z. B. gar nicht selten vor, daß bei besonders pflichttreuen und arbeitsamen Personen, die sich scheuten, die Wohltaten der Invalidenversicherung unnötig oder zu frühzeitig in Anspruch zu nehmen, bei einer aus irgendeinem Anlaß, z. B. einer Krankheit, notwendig werdenden ärztlichen Untersuchung der untersuchende Arzt feststelle, daß die betreffende Person schon seit 3 bis 4 Jahren invalide sei. Wenn man dem Antrage stattgebe, so könne diese Person für die rückwärtige Zeit einen Anspruch auf Rente wegen der zweijährigen Verjährungsfrist nicht mehr erheben (S. 28). Von anderer Seite wurde darauf hingewiesen, man müsse zwischen der Ausschlußfrist (die hier aber nicht in Frage stehe) und der „Verjährung des Anspruchs auf eine bereits festgestellte und fällig gewordene Rente unterscheiden”. Es müsse also heißen: „Der Anspruchauf festgestellte Leistungen”. Im übrigen solle man die für die Verjährung geltenden Grundsätze des BGB nicht unnötig durch Spezialgesetze abändern und so die wohlerwogenen allgemein gültigen Rechtsgrundsätze des BGB durchbrechen (S. 29). Daher wurde der Antrag gestellt: „Der Anspruch auf festgestellte Leistungen der Versicherungsträger verjährt in vier Jahren nach der Fälligkeit” (S. 29). Dabei sollten die Bestimmungen über den Beginn der Verjährung sich nach den Vorschriften des BGB richten.

Dieser Antrag wurde jedoch nicht angenommen. Vielmehr wurde vorgeschlagen, dem § 26 folgenden Absatz 3 anzufügen: „Der Anspruch auf Leistungen der Versicherungsträger verjährt in vier Jahren nach der Fälligkeit, soweit dieses Gesetz nichts anderes vorschreibt”. Diesem Vorschlag wurde zugestimmt (vgl. Bericht der 16. Kommission, Band II, Zusammenstellung S. 11), nachdem ein Kommissar des Bundesrats zum letzten Halbsatz dieser Vorschrift eine Erklärung abgegeben hatte.

b) Danach ist zunächst festzustellen, daß nach den Vorstellungen der damaligen Gesetzgebungskommission die Fälligkeit des Anspruchs keineswegs erst mit der Antragstellung (oder gar der Feststellung der Leistungen) eintreten sollte. Denn wenn in dem damals vorgetragenen Beispiel der untersuchende Arzt als Nebenbefund feststellte, daß der Patient schon seit 3 bis 4 Jahren invalide sei, und daraus gefolgert wurde, in diesen Fällen könne der Berechtigte bei nur zweijähriger Verjährungsfrist für die volle rückliegende Zeit einen Anspruch auf Rente nicht mehr erheben, so wurde dabei vorausgesetzt, daß bei dem beabsichtigten und später Gesetz gewordenen Wortlaut dieser Vorschrift die Fälligkeit mit dem Eintritt der Invalidität, d. h. bereits mit dem Entstehen des materiellen Anspruchs beginnt. Daß dies die mehrheitliche, wenn nicht – bei diesem Wortlaut – einhellige Auffassung der 16. Kommission gewesen sein muß, ergibt sich auch daraus, daß schon damals versucht wurde, diese Vorschrift zugunsten der Rentenberechtigten anders zu fassen, nämlich zu sagen: „Der Anspruch auffestgestellte Leistungen der Versicherungsträger verjährt in vier Jahren nach der Fälligkeit …” (vgl. Kommissionsbericht S. 29). Die Auffassung, daß die Fälligkeit etwa mit der Antragstellung eintreten könnte, stand damals überhaupt nicht zur Debatte. Wäre die vorgeschlagene Änderung Gesetz geworden, so wäre diese Vorschrift einerseits klarer und müßte andererseits der Auffassung des 11. Senats insoweit gefolgt werden, als er ausführte: „Der Anspruch auf Rentenleistungen ist nicht… schon dann „fällig”, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind…” (BSG 23, 62, 63). Aus dem Umstand, daß dieser Änderungsantrag nicht angenommen worden ist, ergibt sich, daß sich die Kommission schon damals gegen eine Lösung ausgesprochen hat, die den Beginn der Verjährung auf einen Zeitpunkt nach der Entstehung der Anspruchsvoraussetzungen verlegen wollte. Ein klärender Zusatz, daß sich der Beginn der Verjährung im übrigen nach den Vorschriften des BGB richten sollte, unterblieb offensichtlich nur deshalb, weil die Kommission als selbstverständlich davon ausging, daß die für die Verjährung geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze des BGB anzuwenden seien, wie sich auch aus dem Kommissionsbericht mit hinreichender Deutlichkeit ergibt. Zweifel erschienen insoweit auch deshalb nicht begründet, weil das Reichsversicherungsamt (RVA) bereits vor Inkrafttreten der RVO in der Revisionsentscheidung des Erweiterten Senats Nr. 1511 vom 25. Juni 1910 (AN 1910, 644) entschieden hatte, daß Rückstände von Invalidenrenten der vierjährigen Verjährungsfrist des § 197 BGB unterliegen. Hier wurde die frühere Rechtsauffassung, die in der Rekursentscheidung vom 7. März 1892 Nr. 1232 (AN 1893, 179) vertreten worden war, daß nämlich der „Einwand” der Verjährung auf dem Gebiet der Unfallversicherung nicht wirksam erhoben werden könne, weil es hierfür an einer reichsgesetzlichen Bestimmung fehle, nicht mehr aufrechterhalten. Das RVA hat hier aus der Erwägung, es könne nicht im Sinne des Gesetzgebers gelegen haben, die Ansprüche auf Rückstände von Invaliden-, Alters- und Unfallrenten ohne jede Zeitschranke zuzulassen, die Vorschriften des bürgerlichen Rechts ergänzend, und zwar § 197 (Verjährung der Ansprüche auf Rückstände von Renten in vier Jahren), angewandt. Diese Entscheidung ist insofern für die Erörterung der vorgelegten Rechtsfrage von wesentlicher Bedeutung, als sie zeigt, daß auf dem Rechtsgebiet der damaligen gesetzlichen Invalidenversicherung trotz des Umstandes, daß eine Verjährung der Ansprüche auf solche Sozialversicherungsleistungen gesetzlich nicht bestimmt gewesen ist, die entsprechende Anwendung der kurzen (vierjährigen) bürgerlich-rechtlichen Verjährungsvorschriften für unbedingt erforderlich gehalten worden ist, weil es einfach nicht denkbar erschien, daß solche Ansprüche „ohne jede Zeitschranke” sollten geltend gemacht werden können. Hier kommt ein Grundgedanke zum Ausdruck, der unsere gesamte Rechtsordnung, jedenfalls soweit es sich um regelmäßig wiederkehrende Leistungen handelt (vgl. § 197 BGB), beherrscht. Nachdem das RVA dies in der Entscheidung vom 25. Juni 1910 ausdrücklich klargestellt hatte, bestand auch für die 16. Kommission keine Veranlassung, an der gebotenen entsprechenden Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Verjährungsvorschriften zu zweifeln. Insoweit gibt es auch heute in Rechtsprechung und Schrifttum keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten (vgl. hierzu auch BSG 21, 163; 23, 64; BSG in SozR Nr. 5 und 6 zu § 29 RVO); vielmehr besteht Einigkeit darüber, daß die Vorschriften des BGB – wenn auch nicht alle oder nicht ohne gewisse Abwandlungen – auf Ansprüche des öffentlichen Rechts und damit auch auf § 29 Abs. 3 RVO analog anzuwenden sind (vgl. auch Haueisen, Die Ortskrankenkasse 1965, 201).

c) Die hier zu entscheidende Rechtsfrage, ob die Verjährung bereits mit der Entstehung des materiellen Anspruchs beginnt, ist – wie dargelegt von der 16. Kommission dadurch bejaht worden, daß der auf den späteren Beginn der Verjährung abzielende Änderungsantrag verworfen und beispielhaft dargelegt wurde, daß die Fälligkeit bereits mit der Invalidität eintritt. Es kommt zwar grundsätzlich nicht entscheidend darauf an, welche Vorstellungen die Kommissionsmitglieder oder etwa nur eines von ihnen (vgl. LSG Essen, RzW 1971, 47) gehabt haben, sondern nur darauf, welche Regelung sich aus dem Wortlaut des Entwurfs ergibt, der schließlich Gesetz geworden ist. Diese Prüfung führt aber hier deshalb nicht weiter, weil das Gesetz zu der Frage, wann nun im Einzelfall die Fälligkeit beginnt, schweigt. In einem solchen Fall muß aber den Vorstellungen der Gesetzgebungskommission jedenfalls dann, wenn sie insoweit – wie hier – unwidersprochen geblieben sind, entscheidendes Gewicht beigemessen werden.

d) Im übrigen wäre bei anderer Auslegung nicht recht erkennbar, welchen Sinn es gehabt haben sollte, ausdrücklich eine allgemeine Verjährungsfrist einzuführen, gleichzeitig aber davon auszugeben, daß die Verjährung frühestens mit der Antragstellung beginne. Denn eine Verjährung würde bei solcher Betrachtung im Regelfall deshalb nicht eintreten können, weil – wie der 4. Senat im Urteil vom 2. Dezember 1964 (SozR Nr. 5 zu § 29 RVO) zutreffend ausgesprochen hat – die mit der Antragstellung beginnende Verjährung gleichzeitig durch diese Antragstellung wieder unterbrochen würde (vgl. § 210 BGB, ferner die oben zitierte Entscheidung des RVA vom 25. Juni 1910 – AN 1910, 644, 647 und BSG 19, 93, 97). Damit wäre die Verjährungsvorschrift des § 29 Abs. 3 RVO praktisch, d. h. für den Regelfall, ohne jede Bedeutung (vgl. Koch/Hartmann, AVG 1967, Band V, § 29 Anm. IV 2 b S. K 57 und Liebe, SozVers 1963, 353). Dieser Erkenntnis konnte sich auch Barth (SozVers 1962, 289) nicht verschließen, der „unter diesem Aspekt” zu der Auffassung gelangte, es lasse sich nur schwer vertreten, § 29 Abs. 3 RVO überhaupt noch anzuwenden. – Das würde aber bedeuten, daß der Gesetzgeber eine allgemein geltende Verjährung eingeführt und sie gleichzeitig – ganz allgemein – praktisch wieder beseitigt hätte. Eine Rechtsansicht, die zu solchen Schlußfolgerungen gelangt, kann aber den Sinn des § 29 Abs. 3 RVO kaum zutreffend erfaßt haben. Insbesondere ist weder aus den Gesetzesmaterialien ersichtlich noch sonst erkennbar, daß der Gesetzgeber eine solche überflüssige und unverständliche allgemeine Regelung gewollt haben könnte.

e) Es mag freilich Fälle geben, in denen § 29 Abs. 3 RVO bei solcher Auslegung noch eine unbedeutende Rolle spielen könnte, so etwa, wenn der Berechtigte sich nach der Antragstellung nicht mehr um die Sache kümmert und außerdem der Versicherungsträger innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren auch keinen Bescheid erteilt. Daß § 29 Abs. 3 RVO nur solche und ähnliche extrem seltene Fälle im Auge gehabt habe, kann bei der allgemein gehaltenen Fassung dieser Bestimmung und ihrer Stellung unter dem Abschnitt „Gemeinsame Vorschriften” der RVO nicht angenommen werden. Selbst in solchen seltenen Ausnahmefällen würde sich überdies der Versicherungsträger nicht auf eine Verjährung berufen können, wenn er aus Unachtsamkeit, Nachlässigkeit oder Willkür innerhalb der verflossenen vier Jahre keinen Bescheid erlassen hätte. Denn dann könnte er nach Treu und Glauben diese Einrede nicht erheben (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 23. Aufl., Überblick vor § 194 Anm. 3; BSG 19, 88, 93). Auch diese Erwägungen verbieten die Annahme, der Gesetzgeber habe mit der allgemeinen Vorschrift des § 29 Abs. 3 RVO die Verjährung erst mit der Antragstellung eintreten lassen wollen.

f) Schließlich bietet such der letzte Halbsatz des § 29 Abs. 3 RVO: „soweit dieses Gesetz nichts anderes vorschreibt” keine Handhabe, um zu einem abweichenden Ergebnis zu gelangen. Würde sich allerdings aus sonstigen Vorschriften der RVO ergeben, daß die Fälligkeit von Sozialversicherungsleistungen dort immer erst mit der Antragstellung eintritt, so könnte daraus unter Umständen ein Rechtsgrundsatz hergeleitet werden, der geeignet wäre, die vom 11. Senat vertretene Auffassung zu stützen. Der 11. Senat hat in BSG 23, 63 als sonstige Vorschriften § 223 Abs. 1 und § 411 Abs. 3 RVO erwähnt. § 223 Abs. 1 RVO lautet: „Ansprüche auf Kassenleistungen verjähren in 2 Jahren nach dem Tage der Entstehung”. § 411 Abs. 3 RVO betrifft das Ausscheiden der Krankenkasse aus dem Kassenverband, also keinen Anspruch auf eine Sozialversicherungsleistung, und muß sonach aus der Betrachtung ausscheiden. Das gleiche gilt für die inzwischen weggefallene Vorschrift des § 907 RVO, wonach die Ersatzansprüche der Genossenschaft grundsätzlich in 18 Monaten nach Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils verjährten. Wohl aber könnte die Vorschrift des § 223 Abs. 1 RVO, da sie Versicherungsleistungen betrifft, vergleichsweise herangezogen werden. Sie vermag aber allenfalls die Auffassung des Großen Senats zu stützen, da sie den Beginn der Verjährung ausdrücklich mit „dem Tage der Entstehung” des Anspruchs eintreten läßt. Dies war auch schon der 16. Kommission bewußt. Denn die heutige Fassung des § 29 Abs. 3 RVO wurde – wie es in Band II, Zusammenstellung S. 11 des Kommissionsberichts heißt – angenommen, nachdem ein Kommissar des Bundesrats erklärt hatte, der Zusatz: „soweit dieses Gesetz nichts anderes vorschreibt”, sei erforderlich, weil z. B. nach § 233 die Ansprüche auf Leistungen der Krankenkassen bereits in zwei Jahren verjährten, was aufrechterhalten bleiben müsse. Die Vorschrift des § 233 des Entwurfs lautete aber schon damals (wie § 223 Abs. 1 RVO): „Ansprüche auf Kassenleistungen verjähren in zwei Jahren nach dem Tage der Entstehung” (vgl. Kommissionsbericht, Band II, Zusammenstellung S. 88). „Aufrechterhalten” blieb damit die zweijährige (gegenüber der in § 29 Abs. 3 RVO geregelten vierjährigen) Frist; nur insoweit wurde hier etwas „anderes” vorgeschrieben, nachdem in § 29 Abs. 3 RVO zum Beginn der Fälligkeit nichts bestimmt worden ist. Die Mitglieder der Kommission konnten darin ihre zu § 29 Abs. 3 RVO vertretene Auffassung daß die Fälligkeit mit dem Entstehen des materiellen Anspruchs beginnt, bestätigt finden; jedenfalls war insoweit ein einheitlicher Grundsatz ersichtlich.

4. Obwohl somit nach den Gesetzesmaterialien nicht zweifelhaft sein konnte, wann die Verjährung beginnt, ist die Rechtsprechung des RVA zu dieser Frage nicht einheitlich. In einer Reihe von maßgebenden RVA-Entscheidungen ist aber die Vorschrift des § 29 Abs. 3 RVO im wesentlichen in gleichem Sinne verstanden worden wie sie nunmehr vom Großen Senat ausgelegt wird.

a) In BSG 21, 162 sind insoweit AN 10, 644, 646 und Breithaupt 13, 251 zitiert. Das RVA hat sich in AN 1910, 644 der Auffassung des Reichsgerichts angeschlossen, wonach der Beginn der kurzen Verjährung rückständiger Unterhaltsleistungen (das gleiche gelte für Rückstände von Renten) deren rechtsgeschäftliche oder richterliche Feststellungnicht voraussetze. Zu der hier zu erörternden konkreten Rechtsfrage hat es sich nicht näher geäußert, was deshalb einleuchtend ist, weil zu jener Zeit § 29 Abs. 3 RVO noch nicht galt und weil außerdem § 41 Abs. 3 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899, wie das RVA in dieser Entscheidung mit Recht betonte, damals bestimmte, daß für Zeiten, die beim Eingang des Antrags auf Bewilligung einer Rente länger als ein Jahr zurückliegen, die Rente nicht gewährt wird. Diese Frist wurde als Ausschlußfrist angesehen, wobei es auf die Gründe der Verspätung (verschuldet oder unverschuldet) oder darauf, ob diese durch Verschulden dritter Personen verursacht worden ist, nicht ankam und auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschied (vgl. Weymann, Kommentar zum Invalidenversicherungsgesetz 1902, Anm. 5 zu § 41 – S. 145 –). Damit bestand damals für die Invalidenversicherung eine Sonderregelung, die für den Regelfall die Anwendung der allgemeinen Verjährungsvorschriften des BGB ausschloß.

b) Diesen Umstand hat das RVA wohl nicht gebührend berücksichtigt, als es in der vorerwähnten späteren Entscheidung vom 7. November 1923 (Breithaupt 13, 251) unter Hinweis auf die angebliche „ständige Rechtsprechung” des RVA, darunter auch auf die alten Entscheidungen AN 1893 S. 142 Nr. 289 und 1897 S. 274 Nr. 555, die Auffassung vertrat, daß die Verjährung einer Rentenleistung aus der Invalidenversicherung nach § 29 Abs. 3 RVO „frühestens erst mit der Stellung des Antrages beginnen” könne. Im übrigen hat die Entscheidung Nr. 555 (AN 1897 S. 274) zu einem Anspruch i. S. des § 29 Abs. 3 RVO bzw. zur Frage der Verjährung nicht Stellung genommen. Die weiter in der RVA-Entscheidung vom 7. November 1923 genannten Entscheidungen AN 1914 S. 694 (Nr. 1895) und 1916 S. 425 (Nr. 2177) betreffen den Begriff der „häuslichen Gemeinschaft” in den §§ 1302, 1303 RVO und die Erbfolge bei nicht vorhandenen Bezugsberechtigten (Nr. 1895) bzw. die Frage, ob ein Anspruch auf Waisenrente nur vererblich ist, wenn er zu Lebzeiten der Waise erhoben wurde (Nr. 2177). Die RVA-Entscheidung vom 7. November 1923 hat sonach offenbar allein wegen des Umstandes, daß die Leistungen auf Antrag festzustellen sind, kurzerhand und ohne nähere Prüfung angenommen, daß damit auch frühestens die Verjährung beginne. Ihr kann daher schon aus diesem Grund kein besonderes Gewicht beigemessen werden, obwohl sich der Mitgliederkommentar zur RVO Band I 1930 S. 37 auf sie bezieht.

c) Hingegen hat das RVA davor, nämlich am 21. Juni 1913, in einem Fall, in dem es um die Gewährung von Invalidenrente ging, ausgesprochen, daß § 29 Abs. 3 RVO in der Hauptsache den §§ 197, 198 BGB entspreche. Hiernach besage Fälligkeit in § 29 Abs. 3 RVO, daß die Verjährung mit der Entstehung des Anspruchs beginne. Entstanden sei der Anspruch zu dem Zeitpunkt, in dem seine materiellen Voraussetzungen erfüllt seien, zu dem er also hätte geltend gemacht werden können (vgl. Archiv für Reichsversicherung 1914, 73 und Schmidinger, SozVers 1969, 203, 205, 6). Ebenso hat das RVA danach, und zwar am 17. Oktober 1930 (AN 1930, 482) entschieden, daß ein Anspruch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen fällig ist, sobald der Berechtigte die Leistung fordern kann. Demgemäß sei der Abfindungsanspruch, der ein selbständiger Anspruch der Witwe sei, mit dem Vorliegen seiner tatsächlichen Voraussetzungen, also dann fällig, wenn die pensionsberechtigte Witwe wieder heirate. Die Fälligkeit des Anspruchs auf Abfindung sei nicht durch die Stellung eines entsprechenden Antrages beim Versicherungsträger bedingt, weil er selbst keine rechtsbegründende Voraussetzung sei, sondern die Vorschrift nur eine verfahrensrechtliche Bedeutung habe, wofür auch ihre Stellung in dem Abschnitt „Feststellung der Leistungen” spreche. Beide Entscheidungen geben im wesentlichen die hier zu beachtenden Gesichtspunkte wieder. In ähnlichem Sinne ist auch die Grundsätzliche Entscheidung des RVA Nr. 2875 (AN 1916, 456) zu würdigen, in der ebenfalls darauf abgestellt werden ist, wann der Anspruch geltend gemacht werden „konnte”.

d) In diesem Zusammenhang ist ferner auf die Entscheidung des RVA vom 3. Dezember 1932 (EuM 33, 314,316) hinzuweisen, die Ausführungen enthält, die den Sinn und gesetzgeberischen Zweck der Verjährungsvorschrift des § 29 Abs. 3 RVO hervorheben. Hier heißt es: „Wie die Verjährung im allgemeinen der Rechtssicherheit dient, so soll auch auf dem Gebiet der Sozialversicherung durch die Verjährungsvorschriften verhütet werden, daß die Versicherungsträger durch Nachzahlungen für weit zurückliegende Zeiten eine unvorhergesehene Belastung erfahren”. Das RVA führte weiter aus, der Anspruch auf Kinderzuschuß sei ohne weiteres am 1. April 1927 fällig geworden, nachdem er von diesem Zeitpunkt an durch das Gesetz vom 8. April 1927 eingeführt worden sei. Daß der Kläger etwa davon keine Kenntnis gehabt habe, habe den Beginn der Verjährung nicht gehindert. Denn nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften des bürgerlichen Rechts sei die Kenntnis eines Rechts nicht Voraussetzung für den Beginn seiner Verjährung. Unterbrochen worden sei die Verjährung erst durch die Geltendmachung des Anspruchs am 2. April 1932. Obwohl diese Entscheidung insofern einen Sonderfall betraf, als es nur um die Gewährung eines Kinderzuschusses zu einer bereits laufenden Invalidenrente ging und der Kinderzuschuß nach Auffassung des RVA keine „besondere Art von Rente, sondern lediglich eine Erhöhung der Invalidenrente” darstellte, sind in dieser Entscheidung doch wesentliche Gedanken enthalten, die bei der Frage der Verjährung beachtet werden müssen.

5. a) Mit § 29 Abs. 3 RVO sind die Leistungen der Versicherungsträger ausdrücklich der Verjährung unterworfen worden. Ebenso hätte eine Bestimmung dahin getroffen werden können, daß nicht nur das Stammrecht, sondern auch die einzelnen Sozialversicherungsleistungen unverjährbar sind. Es war also der Entschliessung des Gesetzgebers überlassen, ob er Ansprüche auf Leistungen der Versicherungsträger etwa aus sozialen Gründen oder deswegen, weil es sich bei den Berechtigten oft um pflichttreue Personen handelt, die sich scheuen, die Wohltaten der Invalidenversicherung unnötig in Anspruch zu nehmen (vgl. Bericht der 16. Kommission aaO), schlechthin von der Verjährung ausnehmen wollte. Nachdem dies weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik und auch nicht in der Zeit bis zur Gegenwart für geboten erachtet wurde, es vielmehr zweckmäßig und billig erschien, kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die allgemein für Ansprüche auf Rückstände von Renten geltende vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB auch in der gesetzlichen Rentenversicherung maßgebend sein zu lassen, kann das Argument, das Rechtsinstitut der Verjährung habe eigentlich im Sozialrecht überhaupt keinen Platz, nicht als überzeugende Begründung für die gegenteilige Auffassung dienen. Auch in einem sozialen Rechtsstaat ist die Verjährung, die insbesondere der Rechtssicherheit dient, durchaus notwendig und auch bei öffentlich-rechtlichen Ansprüchen vermögensrechtlicher Art grundsätzlich anzuerkennen (vgl. BSG 19, 92). In der Sozialversicherung kann die Erhebung der Einrede der Verjährung durch den Versicherungsträger grundsätzlich ebenfalls nicht als unsozial angesehen werden (Schmidinger, SozVers 1969, 205). Da der Gesetzgeber auch hier die Verjährung eingeführt und bis zum heutigen Tage beibehalten hat müssen, bei der Lösung der vorliegenden Rechtsfrage der Sinn und gesetzgeberische Zweck der Verjährung sowie die Verjährungsgrundsätze des bürgerlichen Rechts gebührend berücksichtigt werden.

b) Der gesetzgeberische Grund für die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB ist darin zu erblicken, daß Renten ebenso wie Besoldung und Ruhegehalt im wesentlichen dem laufenden Unterhalt des Berechtigten dienen (BSG 19, 91). In EuM 33, 314, 316 ist zutreffend betont worden, daß auch auf dem Gebiet der Sozialversicherung durch die Verjährungsvorschriften verhütet werden soll, daß die Versicherungsträger durch Nachzahlungen für weit zurückliegende Zeiten eine unvorhergesehene Belastung erfahren. Eine solche unvorhergesehene und unzumutbare Belastung der Versicherungsträger läge aber vor und würde insbesondere dem jetzigen System der Rentenversicherung und ihren Finanzierungsmethoden schädlich sein (vgl. dazu Schmidinger, SozVers 1969 S. 203, 205, der die in der Haushaltsführung der Versicherungsträger entstehenden Nachteile schildert), wenn es – wie Kluge (NJW 1965, 463) mit Recht hervorhebt – der Entschließung des Rentenberechtigten überlassen bliebe, durch die – uneingeschränkte – Wahl des Zeitpunktes seiner Anmeldung zu bestimmen, wie weit zurück seine Ansprüche den Haushalt des Versicherungsträgers belasten. Ähnliche Bedenken werden auch von Brackmann aaO, Band III 1971, S. 742 g erhoben (vgl. ferner Liebe, SozVers 1963, 355).

Es entspricht daher dem Zweck der Verjährung von Rentenansprüchen, den Versicherungsträger davor zu bewahren, daß er für eine praktisch unbegrenzte Zeit nach mit verspäteten Anmeldungen rechnen muß. Die Verjährungsvorschrift soll ihm die Möglichkeit geben, sich in seiner Haushaltsgebarung darauf einrichten zu können, daß Nachzahlungen grundsätzlich nicht für einen längeren Zeitraum als vier Jahre geleistet werden müssen. Der Berechtigte wird dadurch, wie Kluge aaO zu Recht betont, nicht unangemessen benachteiligt, weil er im allgemeinen in der Lage ist, seinen Anspruch – wenn auch nicht sofort, so doch innerhalb der sehr geräumigen Verjährungsfrist von vier Jahren – ohne einen Rechtsverlust geltend zu machen. Läßt er – gleichgültig, ob aus Nachlässigkeit oder Unkenntnis – eine noch längere Zeit verstreichen, so kann ihm dies allerdings nach der hier vertretenen Auffassung zum Nachteil gereichen. Dies entspricht aber dem Sinn und Zweck der Verjährung von Ansprüchen, wie schon in EuM 33, 314 zutreffend betont worden ist.

c) Der Einwand, daß bei öffentlich-rechtlichen Ansprüchen, die sich aus dem Gesetz und nicht aus einem privatrechtlichen Vertrag ergeben, der Berechtigte vielfach von dem Bestehen des Anspruchs nichts wisse, kann gerade bei der Frage der Verjährung nicht durchgreifen. Es mag zwar zutreffen, daß in aller Regel gerade die Unkenntnis darüber, daß ein Anspruch besteht, zur Verjährung von Ansprüchen führen kann (vgl. RzW 1971, 46). Dabei mag eine solche Unkenntnis auf mangelnder Sorgfalt oder irrigen Vorstellungen oder zum Teil auch darauf beruhen, daß sich der Berechtigte im Ausland aufhält. Der 4. Senat hat dazu betont, daß durch einen Wandel in der Rechtsprechung zu § 29 Abs. 3 RVO besonders Witwen benachteiligt würden, die schon lange im Ausland leben und die wegen der wechselnden Rechtslage in der Rentenversicherung über ihre Ansprüche nicht unterrichtet gewesen seien. Auch Brunn (RzW 1971, S. 5) weist am Beispiel einer 1936 im Zuge der Verfolgung nach Argentinien ausgesonderten Witwe, deren Ehemann 1949 verstorben war, die aber erst 1964 von ihrem Anspruch Kenntnis erlangt habe, auf diese Sonderfälle hin; er findet es „schäbig”, daß der Versicherungsträger die Nachzahlung für die rückliegende Zeit verweigert habe, weil der Anspruch verwirkt bzw. verjährt sei. Zu der Frage, wie dieser Fall zu entscheiden sei, kann hier nicht Stellung genommen werden. Aus dem Umstand, daß diese Witwe sich nicht wenigstens rechtzeitig erkundigte, sondern jahrelang untätig blieb, kann aber geschlossen werden, daß sie auf Grund ihrer Vorstellungen über etwaige Rechte aus den in ihrem Besitz befindlichen 14 Quittungskarten gar nicht auf den Gedanken kam, ihr könnten neben den Wiedergutmachungsleistungen auch noch Forderungen an die Rentenversicherung zustehen. Wäre dies anders gewesen, so hätte sie sich nach der Lebenserfahrung alsbald mit deutschen Stellen ins Benehmen gesetzt. Ist dem Berechtigten aber nicht einmal bewußt, daß ihm ein Anspruch zusteht, so ist dies nach der geltenden Rechtsordnung ein typischer Fall für eine möglicherweise eintretende Verjährung. Denn es ist nun einmal ein fundamentaler Grundsatz des Verjährungsrechts, daß eine solche Unkenntnis, die auch in vielen anderen Bereichen unseres Rechtslebens zu beobachten ist, bei der Verjährung grundsätzlich unbeachtet bleiben muß (vgl. BSG in SozR Nr. 3 zu § 21 BVG). Der Grundsatz „Unkenntnis des Rechts schadet immer” gilt sowohl im privaten wie im öffentlichen Recht. Wollte man anders verfahren, so müßte man die Verjährung nicht nur in der Sozialversicherung, sondern auch auf allen anderen Rechtsgebieten abschaffen. Solange unsere Rechtsordnung aber eine Verjährung kennt, müssen ihre Folgen in Kauf genommen werden.

Im übrigen hat eine etwaige „Unkenntnis” gerade in der Sozialversicherung nicht die Bedeutung, die man gemeinhin mit dem Begriff der „Verjährung” verbindet. Denn diese betrifft hier nicht das „Stammrecht”, sondern nur die monatlichen Leistungen, soweit sie mehr als vier Jahre zurückliegen. Es mag zutreffen, daß das moderne Sozialversicherungs-, insbesondere das Rentenrecht sehr wenig überschaubar ist und vor allem von den im Ausland lebenden Berechtigten nicht oder nur sehr schlecht überblickt werden kann. Das muß aber nicht zur Folge haben, daß der Berechtigte jahrelang untätig bleibt. Vielmehr ist ihm zuzumuten, daß er sich auch selbst um die ihm zustehenden Ansprüche kümmert. Er kann jederzeit den zuständigen Versicherungsträger um Auskunft bitten oder vorsorglich einen Antrag stellen. Die Erfahrung zeigt, daß von der Stellung unbegründeter Anträge in beträchtlichem Maße Gebrauch gemacht wird. Bereits durch ein bloßes Auskunftsersuchen können die aus der Unkenntnis befürchteten Nachteile im allgemeinen vermieden oder auf ein erträgliches Mindestmaß zurückgeführt werden. Selbst wenn die Auskunft unrichtig oder unvollständig sein sollte, wird der Berechtigte regelmäßig von den Folgen der etwa eingetretenen Verjährung dadurch verschont bleiben, daß der Versicherungsträger nach Treu und Glauben auf die Einrede der Verjährung verzichten muß, wenn sich der Berechtigte auf die Richtigkeit der Auskunft verlassen durfte (vgl. AN 1941, 312). Unternimmt der Berechtigte jedoch jahrelang nichts, obwohl ihm die Möglichkeit der Unterrichtung und Antragstellung offen stand, so erscheint es gerechtfertigt, ihn die Folgen einer etwaigen teilweisen Verjährung seiner Ansprüche tragen zu lassen, wenn der Versicherungsträger unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles ohne Ermessensfehlgebrauch die Verjährungseinrede erheben darf. Dabei kann nicht außer acht gelassen werden, daß die Verjährung auch dazu dient, einen erzieherischen Druck zur ordnungsgemäßen Rechtshandhabung auszuüben (vgl. Bauer, Deutsche Rentenversicherung 1965, 89). In besonderen Härtefällen ist allerdings zu prüfen, ob im Wege einer Kontrolle des pflichtgemäßen Ermessens des Versicherungsträgers, der die Einrede der Verjährung erhoben hat, geholfen werden kann.

Andererseits würde es aber dem gesetzgeberischen Zweck der Verjährung widersprechen, wenn man alle die Nachteile, die durch ein jahreslanges Untätigwerden des Versicherten entstehen, ganz allgemein und ohne Ausnahme dem Versicherungsträger, der diese Untätigkeit nicht zu vertreten hat, aufbürden wollte. Der Versicherungsträger muß ohnedies damit rechnen, daß in besonderen Fällen seine Berufung auf die eingetretene Verjährung als rechtsmißbräuchlich angesehen wird (vgl. BSG 19, 93) und der Versicherte dann auch für seine langer als vier Jahre währende Untätigkeit keine Nachteile hinnehmen muß. Wollte man dem Versicherungsträger darüber hinaus in allen Fällen nicht rechtzeitiger Antragstellung die Einrede der Verjährung mit der Begründung verwehren, daß die Verjährung überhaupt erst mit der um viele Jahre verspäteten Antragstellung beginne, so würde dem Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber ausdrücklich bestimmten Verjährung nicht in der gebotenen Weise Rechnung getragen. Diesen Bedenken gegen die Folgen der Rechtsauffassung des 11. Senats scheint sich auch Haueisen (DOK 1965, 201, 202) nicht zu verschließen, wenn er eine eigenständige Lösung für die Verjährung von Ansprüchen nach der RVO fordert und dabei de lege ferenda die Bestimmung vorschlägt, daß der Anspruch auf Leistungen des Versicherungsträgers in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjährt, in dem sie bei unverzüglicher Antragstellung hätten gewährt werden müssen.

d) Die zur näheren Bestimmung der „Fälligkeit” i. S. des § 29 Abs. 3 RVO heranzuziehenden Verjährungsvorschriften des BGB führen jedoch schon nach der gegenwärtigen Rechtslage zu keinem grundsätzlich anderen Ergebnis. Zwar kann die nicht ausdrücklich ausgesprochene, aber sinngemäß gewollte Verweisung auf die Vorschriften des BGB nicht als eine glückliche Regelung bezeichnet werden, denn der in § 29 Abs. 3 RVO verwendete Begriff der „Fälligkeit”, der vorwiegend für das Privatrecht entwickelt worden ist, paßt für die Beurteilung der dem öffentlichen Recht angehörenden Rechtsfrage schlecht (vgl. auch Haueisen aaO). Es wäre sicherlich besser gewesen, wenn man eine bestimmtere Regelung etwa ähnlich wie die des § 223 Abs. 1 RVO gewählt hätte. – Die in § 29 Abs. 3 RVO offen gelassene Frage, wann hiernach die Fälligkeit bzw. die Verjährung beginnt, kann jedoch durch analoge Anwendung der Vorschriften des BGB über die Verjährung durchaus in sinnvoller Weise beantwortet werden.

e) Nach § 198 BGB beginnt die Verjährung „mit der Entstehung des Anspruchs”. Wenngleich diese Vorschrift nicht von „Fälligkeit” spricht, beginnt hiernach doch die Verjährung regelmäßig dann, wenn die Forderung „entstanden und fällig ist” (vgl. Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. 1960, 2. Halbband, Anm. I 1 zu § 232, S. 1404). Nur ausnahmsweise beginnt die Verjährung vor der Fälligkeit des Anspruchs, z. B. bei einer unerlaubten Handlung, wo neben der dreijährigen Verjährung noch eine Frist von 30 Jahren läuft, wenn ein Schaden erst nach Ablauf dieser Frist entsteht (siehe hierzu § 852 Abs. 1; ähnlich § 1378 Abs. 4 BGB; vgl. Enneccerus/Nipperdey aaO). Ebenso kann die Verjährung ausnahmsweise auf Grund positiver Bestimmungen erst nach der Entstehung des Anspruchs beginnen. Grundsätzlich fällt aber der Verjährungsbeginn mit der Fälligkeit der Leistung zusammen und diese wiederum mit der Klagbarkeit (vgl. Staudinger, Kommentar zum BGB, 11. Aufl., I. Band, Allgemeiner Teil, 1957, Randziffern 13 und 16 zu § 198 BGB, S. 1124 u. 1125). Bei den hier besonders in Betracht kommenden Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen entsteht der Anspruch auf die Leistungen mit der Begründung des Rechtsverhältnisses, sie werden aber zu verschiedenen Zeitpunkten fällig (vgl. Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl., Bd. 1, Allgemeiner Teil, 1967, Randziffern 5 und 8 zu § 198 BGB, S. 942). Da es hier nur um Leistungen für die Vergangenheit geht, spielt dieser Unterschied im vorliegenden Fall keine Rolle. Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, vertritt allerdings in Band 1, 4. Aufl. 1967, Anm. 1 zu § 198 – S. 330 – die Auffassung, daß für den Verjährungsbeginn grundsätzlich nur die „Entstehung des Anspruchs” maßgebend sei und daß es auf die Fälligkeit des Anspruchs nicht ankomme. Trotz mangelnder Fälligkeit beginnt nach seiner Auffassung die Verjährung nach § 198 BGB mit der Entstehung. – Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß die Verjährung, da ein Anspruch nicht vor seiner Entstehung fällig werden kann, nicht vor dessen Entstehung, sondern grundsätzlich im Zeitpunkt der Entstehung dieses Anspruchs – in besonderen Fällen auch später – beginnt.

Da § 29 Abs. 3 RVO nur auf die „Fälligkeit” abstellt und nichts darüber aussagt, also Zweifel begründet, wann diese Fälligkeit im Einzelfall beginnt, ist zu prüfen, wann die Leistung nach dem BGB im Zweifelsfall als fällig angesehen wird. Dabei kann nicht auf ausgesprochene Sonderregelungen, wie die in §§ 852 Abs. 1, 1378 Abs. 4 BGB zurückgegriffen werden; vielmehr ist diejenige Vorschrift des BGB heranzuziehen, die den Begriff der Fälligkeit regelt, das ist § 271 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Gläubiger die Leistung, wenn für sie eine Zeit weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist, sofort verlangen. Diese Bestimmung betrifft die „Leistungszeit” und damit die Fälligkeit (Erman aaO, Anm. 1 zu § 271 S. 503). Diese Vorschrift bringt, wie Malkewitz in der Deutschen Rentenversicherung, 1963, S. 10, 14/15 zutreffend ausführt, einen allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, der unbedenklich auch in das öffentlich-rechtliche Rentenversicherungsrecht übernommen werden kann. Wenn Malkewitz diese Vorschrift jedoch so versteht (aaO S. 15), daß hiernach der Zeitpunkt der Fälligkeit, wenn er – wie hier – nicht bestimmt ist, „aus den Umständen zu entnehmen” sei, woraus sich die Notwendigkeit ergebe, von der Person des Rentenberechtigten Kenntnis zu nehmen, ehe der Schuldner die Leistung bewirken könne, so verkennt er die Bedeutung dieser Vorschrift. Das gleiche gilt für Buchwitz. Die Arbeiterversorgung, 1963, 174, wenn er meint, nach § 271 BGB könne die Fälligkeit nicht vor der Bekanntgabe des „Neufeststellungsbescheides” eintreten.

§ 271 BGB ergänzt fehlende (aber an sich notwendige) Parteierklärungen und bestimmt in den Fällen, in denen über die „Leistungszeit” nichts vereinbart oder aus den Umständen zu entnehmen ist, daß die Fälligkeit sofort eintritt. Damit ist die sofortige Fälligkeit zum gesetzlichen Regeltatbestand gemacht worden (vgl. Palandt, BGB, 23. Aufl., Anm. 1a zu § 271 BGB). Die Leistung kann sonach in den Fällen, in denen nichts anderweitiges bestimmt oder ersichtlich ist, sofort verlangt werden, d. h. sie ist „sofort fällig”, was bedeutet, daß sie mit der Entstehung des Schuldverhältnisses fällig wird (vgl. Staudinger aaO, II. Band, Teil 1c, 10./11. Aufl., Randziff. 1 u. 2 zu § 271 – S. 245 –). Gleichzeitig mit der Fälligkeit besteht im bürgerlichen Recht grundsätzlich die Möglichkeit, den Anspruch sofort durch Klage geltend zu machen, wie oben bereits erwähnt worden ist (vgl. Staudinger aaO S. 1124). Zu der sofortigen Fälligkeit tritt die sofortige Klagbarkeit. Die Fälligkeit eines Anspruchs fällt sonach in der Regel mit seiner Klagbarkeit zusammen (vgl. Staudinger aaO S. 1124 und Soergel/Siebert aaO, Randziff. 3 zu § 198 BGB – S. 941 –). „Klagbarkeit” bedeutet die Möglichkeit, unverzüglich Klage zu erheben. Es kommt also nicht darauf an, wann die Klage tatsächlich erhoben wurde, sondern wann sie (frühestens) erhoben werden konnte. Aus § 271 BGB ergibt sich somit, daß die Fälligkeit einer Leistung im Zweifel, d. h. wenn nichts anderes bestimmt oder aus den Umständen zu entnehmen ist, mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem die Klage erhoben werden kann, d. h. in dem die sofortige Klageerhebung deshalb möglich ist, weil die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs vorliegen, dieser also „entstanden” ist. Daß für die Beantwortung der vorgelegten Rechtsfrage die Vorschrift des § 271 BGB die wesentliche Rechtsgrundlage darstellt, wurde im übrigen auch schon in der Grundsätzlichen Entscheidung des RVA Nr. 2875 (AN 1916, 456) ausgesprochen. Dort ist zutreffend ebenfalls auf den Zeitpunkt abgestellt worden, in dem der Anspruch geltend gemacht werden „konnte”.

f) Im sozialgerichtlichen Verfahren ist die sofortige Klageerhebung allerdings in Fällen der vorliegenden Art nicht statthaft, weil zuvor ein Verwaltungsakt ergehen muß (§ 54 Abs. 1, 2 u. 4 SGG). Zutreffend hat deshalb der 11. Senat in BSG 23, 62, 64 betont, daß der Berechtigte im öffentlichen Recht die Leistung in der Regel nicht unmittelbar einklagen darf, sondern zunächst die Verwaltung zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens veranlassen muß, in dem der Sachverhalt aufzuklären und nach Prüfung der Rechtsfragen ein Bescheid zu erteilen ist. Mit Recht hat deshalb der 11. Senat auf die „Geltendmachung” des Anspruchs – die Antragstellung – abgestellt, weil die Verwaltung vorher zu diesem „Tätigwerden” nicht verpflichtet sei. Zu Unrecht ist aber der 11. Senat hierbei von der tatsächlichen, d. h. verspäteten, anstatt von der frühestmöglichen Antragstellung ausgegangen. Dies ist aber nur angängig, wenn der Antrag eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs ist. Das ist hier jedoch gerade nicht der Fall, wie eben dargelegt wurde.

g) Wendet man die bürgerlich-rechtliche Vorschrift des § 271 BGB auf das öffentlich-rechtliche Rentenrecht an, was nicht nur zulässig, sondern angesichts der unbestimmten Formulierung des § 29 Abs. 3 RVO auch geboten ist, so hat bei analoger Anwendung dieser Vorschrift an die Stelle der Möglichkeit zu sofortiger Klageerhebung die Möglichkeit zu sofortiger Geltendmachung des Anspruchs beim Versicherungsträger zu treten. Eine ähnliche Folgerung ist auch in der Entscheidung des RVA vom 17. Oktober 1930 (AN 1930, 482) gezogen worden. Dort wurde ausgesprochen, daß in der Sozialversicherung die Anmeldung des Anspruchs bei einem Versicherungsträger hinsichtlich der Unterbrechung der Verjährung der Erhebung der Klage vor dem ordentlichen Gericht i. S. des § 209 BGB gleichstehe. Dies trifft zu. Denn die Regelung des § 220 BGB i.V. mit den §§ 209 und 210 BGB macht deutlich, daß bei entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Verjährungsvorschriften die Anspruchsanmeldung beim Versicherungsträger der zivilrechtlichen Klageerhebung gleichgestellt werden muß. Zur Frage der Unterbrechung der Verjährung bestimmt § 220 BGB nämlich für den Fall, daß der Anspruch vor einer Verwaltungsbehörde geltend zu machen ist, die entsprechende Anwendung u. a. der §§ 209213 BGB. Diese Vorschrift kann nicht etwa in dem Sinne als grundgesetzwidrig angesehen werden, daß damit ein unabhängiges Gericht in unzulässiger Weise durch eine Verwaltungsbehörde ersetzt werde und dem Antragsteller damit die Rechte nach Art. 92, 19 Abs. 4 GG vorenthalten würden. Vielmehr ist hier in erster Linie an die Fälle gedacht, in denen die Zulässigkeit des Rechtswegs von der Vorentscheidung einer Behörde abhängt, wie die in § 220 BGB bestimmte entsprechende Anwendung des § 210 BGB deutlich macht. Der Rechtsweg – auch Verwaltungsrechtsweg – steht sonach im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG dem Antragsteller nach Durchführung des Verwaltungsverfahrens ohnedies offen, sofern er durch die Behörde in seinen Rechten verletzt wurde. Zwar haben die §§ 220, 209 u. 210 BGB nicht das Verwaltungsverfahren der Sozialversicherungsträger im Auge; gegen eine entsprechende Anwendung des § 210 auf das Verfahren der Versicherungsträger bestehen jedoch keine Bedenken (vgl. hierzu auch Urteil des 10. Senats des BSG – 10 RV 483/68 – in SozR Nr. 3 zu § 21 BVG, wo dargelegt worden ist, unter welchen Voraussetzungen die Vorschrift des § 210 BGB im sozialgerichtlichen Verfahren von Bedeutung sein kann). § 210 BGB bestimmt, daß die Verjährung durch die Einreichung des Gesuchs an die Behörde – hier an den Versicherungsträger – „in gleicher Weise wie durch Klageerhebung” (letzteres ist in § 209 geregelt) unterbrochen wird. Was hier für dieUnterbrechung der Verjährung (nach § 209 BGB) gesagt worden ist, gilt bei analoger Anwendung des § 271 BGB in gleicher Weise auch für denBeginn der Verjährung (der Fälligkeit), die mit der Möglichkeit zu sofortiger Geltendmachung des Anspruchs beim Versicherungsträger (anstelle sofortiger Klageerhebung) zusammenfällt. Das bedeutet, daß bei analoger Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Verjährungsvorschriften an die Stelle der Möglichkeit zu sofortiger Klageerhebung – als Zeitpunkt des Beginns der Fälligkeit – die Möglichkeit zu sofortiger Geltendmachung des Anspruchs beim Versicherungsträger tritt.

h) Sonach ergibt sich auch aus den Verjährungsvorschriften des BGB, daß die in § 29 Abs. 3 RVO genannte „Fälligkeit” des Anspruchs bei der gebotenen entsprechenden Anwendung des § 271 BGB in dem Zeitpunkt beginnt, in dem die Möglichkeit zu sofortiger Geltendmachung des Anspruchs beim Versicherungsträger gegeben, d. h. in dem der Anspruch entstanden ist. Der gegenteiligen Auffassung von Söchting (Sozialversicherung, 1963, 230 ff), daß die Fälligkeit i. S. des § 29 Abs. 3 RVO erst mit der Bescheiderteilung eintrete (aaO S. 233; gleicher Ansicht: Stangl, Betr.Kr.Kasse 1961, Spalte 8, 16), kann aus den obigen Gründen nicht zugestimmt werden.

i) In der Entscheidung des 11. Senats (BSG 23, 65), gegen die sich der Vorlagebeschluß (nur) noch richtet, heißt es, daß in allen Fällen erst das „Geltendmachen” des Anspruchs das Verwaltungsverfahren auslöse, das die Verwaltung zum Tätigwerden und gegebenenfalls zur Leistungsgewährung verpflichte und zur „Fälligkeit” des Anspruchs auf diese Leistung führe. In dieser Entscheidung bleibt aber bei den Ausführungen über die Verjährung der Umstand unerörtert, daß der Berechtigte lange Jahre untätig geblieben ist, obwohl der Anspruch längst entstanden war und deshalb hätte geltend gemacht werden können. Dieser Gesichtspunkt ist aber gerade bei der Prüfung der materiell-rechtlichen Frage nach der Fälligkeit des Anspruchs und einer etwaigen Verjährung von entscheidender Bedeutung. Die vom 11. Senat angestellten Erwägungen sind daher nicht geeignet, den Zeitpunkt der „Fälligkeit”, wie er sich nach dem Sinn und Zweck der Verjährung und der Vorschrift des § 29 Abs. 3 RVO ergibt, aufzuzeigen; vielmehr wird im wesentlichen damit nur dargetan, daß der Berechtigte in einem solchen Fall die Leistung nicht vorher fordern kann, weil er sie nicht früher geltend gemacht hat. Damit wird nur die Bedeutung des § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO, nicht aber die des § 29 Abs. 3 RVO näher erläutert.

Ferner beachtet der 11. Senat bei seiner Argumentation nicht hinreichend, daß die von ihm für richtig gehaltene Lösung praktisch keinen Unterschied macht zwischen den Ansprüchen, bei denen der Antrag materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs ist, und denjenigen Ansprüchen, bei denen dies nicht der Fall ist. Beide Ansprüche können jedoch gerade hinsichtlich der hier zu erörternden Rechtsfrage nicht einander gleichgestellt werden, weil sie zu ganz verschiedenen Zeitpunkten entstehen. Denn bei Leistungen, bei denen der Antrag materiell-rechtliche Voraussetzung des Anspruchs ist, kommt eine Rentengewährung vor der Antragstellung überhaupt nicht in Betracht, weil der Anspruch erst durch den Antrag zur Entstehung gelangt (vgl. BSG 13, 79). Das ist vor allem auch in der Kriegsopferversorgung der Fall (vgl. §§ 1 Abs. 1, 60 Abs. 1 BVG), weshalb die Ansicht von Schwankhart, der Rentenanspruch entstehe in Übereinstimmung mit § 66 BVG erst mit der Bescheiderteilung (vgl. ZfS 1957, 88 ff; ähnlich in SGb 1962, 193, 195) jedenfalls der hier vertretenen Rechtsauffassung, die anders geartete Ansprüche betrifft, nicht entgegensteht. Die vom 11. Senat angestellten Erwägungen mögen im übrigen für die Frage der im Einzelfall im Betracht kommenden „Erfüllbarkeit” der Leistung und damit für den Fall eines Schuldnerverzugs von Bedeutung sein (§ 284 Abs. 1 BGB; vgl. dazu Schmidinger, Sozialversicherung, 1969, 207; Bauer in Deutsche Rentenversicherung, 1965, 88; Barnewitz, Der Kompaß, 1965, 305), sie können aber bei der Prüfung der „Fälligkeit” der Leistung nicht als maßgebendes Kriterium dienen.

k) Dagegen läßt sich nicht einwenden, die Unterscheidung zwischen „Fälligkeit” und „Erfüllbarkeit” verliere jeden Sinn, wenn die „fällige” Forderung nicht wenigstens im Regelfall „erfüllbar” sei. Denn das ist sie tatsächlich. „Erfüllbar” ist die Forderung mit der Entstehung ihrer materiell-rechtlichen Voraussetzungen, sofern sie nur von dem Berechtigten unverzüglich geltend gemacht wird. Daß für die Bearbeitung des Antrags und die Bescheiderteilung eine gewisse Zeit benötigt wird, spielt für die Frage der Verjährung keine Rolle, weil diese mit der Antragstellung, d. h. mit der Einreichung des Gesuches an den Versicherungsträger (§ 210 BGB), unterbrochen wird. Eine nicht laufende Verjährung könnte aber gar nicht unterbrochen werden. Deshalb ist es denkgesetzlich und rechtssystematisch richtig, die Verjährung in dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, in dem der Antrag frühestens mit Erfolg gestellt werden kann.

Es ist somit nicht darauf abzustellen, wann der Antrag gestellt wurde – dies allein hat der 11. Senat als maßgeblich angesehen –, sondern wann er (frühestens mit Erfolg) hätte gestellt werden können, nämlich unverzüglich nach der Entstehung des Anspruchs. Dieses aus der entsprechenden Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Verjährungsvorschriften gewonnene Ergebnis steht auch in Einklang mit den aus der Entstehungsgeschichte des § 29 Abs. 3 RVO und dem Sinn und gesetzgeberischen Zweck der Verjährung sich ergebenden Folgerungen.

V. Das gewonnene Ergebnis, dem die Entscheidung des Großen Senats in BSG 14, 246 nicht entgegensteht, ist auch bei einem Vergleich mit anderen Leistungen der RVO nicht ungerecht oder unsozial. Denn einmal beginnt die Verjährung auch in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 223 Abs. 1 RVO) und in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 1545 Abs. 1 Nr. 1 RVO) schon mit der Entstehung des Anspruchs; zum andern muß bedacht werden, daß die vorgelegte Rechtsfrage – wie oben bereits betont – nur einen Teil der in der Rentenversicherung vorgesehenen Leistungen betrifft, nämlich nur diejenigen, bei denen der Antrag keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs ist. Wollte man diesen Versicherten Rentennachzahlungen für eine praktisch unbegrenzte Zeit vor der Geltendmachung zubilligen, so würden sie in noch höherem Maß gegenüber denjenigen Versicherten bevorzugt, deren Anspruch erst mit der Antragstellung entsteht, weil diese zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs gehört. Bei ihnen beginnt die „Fälligkeit” zwar tatsächlich erst mit der Antragstellung; das ist aber für sie kein Vorteil, weil ihnen für die rückliegende Zeit wegen Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen ohnedies keine Leistungen zustehen (vgl. BSG 13, 79, 81). Diejenigen Versicherten, die nach § 1248 Abs. 2 oder 3 i.V.m. § 1290 Abs. 5 RVO das „vorzeitige” Altersruhegeld beantragen oder Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit mehr als drei Monate nach deren Eintritt begehren (§ 1290 Abs. 2 RVO), oder die die Erhöhung oder Wiedergewährung der Rente i. S. des § 1290 Abs. 3 Satz 1 RVO geltend machen (vgl. auch die Fälle des § 1291 Abs. 2 u. 3 RVO) und denen Rente stets nur ab Antragstellung zusteht, könnten sich fragen, wie diese ganz erhebliche Schlechterstellung, deren Ausmaß gar nicht durch eine Würdigung der positiven Gesetzesvorschriften, sondern erst bei einer Betrachtung des Verjährungsproblems deutlich wird, gegenüber den anderen Versicherten zu rechtfertigen ist. Auch bei solchen Antragstellern können Unkenntnis und Irrtum zu einer verspäteten Geltendmachung des Anspruchs führen, ohne daß ihnen deswegen auch nur für einen Monat Rente vor der Antragstellung bewilligt wird. Wenn demgegenüber die anderen Rentenberechtigten (vgl. z. B. §§ 1248 Abs. 1, 1264, 1267, 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO) Leistungen schon für Zeiten vor Antragstellung erhalten, obwohl auch § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO von einem „Antrag” spricht, so müssen diese zumindest der vierjährigen Verjährung des § 29 Abs. 3 RVO unterliegen. Damit wird das bestehende Mißverhältnis zwar nicht beseitigt, aber wenigstens auf ein erträglicheres Maß zurückgeführt. Erstrebenswert könnte allenfalls sein, die erst mit der Antragstellung entstehenden Ansprüche hinsichtlich einer rückwirkenden Gewährung von Leistungen den hier zu erörternden Fällen anzunähern, soweit die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorher schon erfüllt sind, nicht aber kann es sozial gerechtfertigt erscheinen, die Kluft zwischen diesen beiden Gruppen von Berechtigten durch eine den eigentlichen Sinn und Zweck der Verjährung mißachtende Auslegung des § 29 Abs. 3 RVO noch zu vergrößern.

VI. 1.) Da der in Vorlagebeschluß vertretenen Rechtsauffassung aus den genannten Gründen zuzustimmen ist, kann unerörtert bleiben, welche gesetzgeberischen Motive dafür maßgebend waren, daß der neue § 1303 Abs. 4 RVO bestimmt: „§ 29 (RVO) gilt nicht” (vgl. dazu Schmidinger, Sozialversicherung, 1969, 208 und LSG Essen in RzW 1971, 47). Bei der vom Großen Senat getroffenen Entscheidung entfällt auch die Notwendigkeit, den Grundsatz der „Verwirkung” anwenden zu müssen (vgl. BSG 23, 65), der in diesem Zusammenhang ohnedies nur den Charakter einer – zudem fragwürdigen (vgl. hierzu etwa das Urteil des LSG Essen vom 9.9.1970 in RzW 1971, 45 ff) – Verlegenheitslösung haben konnte, zu der sich die Versicherungsträger veranlaßt sahen, weil die Vorschrift des § 29 Abs. 3 RVO durch die seitherige Rechtsprechung des BSG praktisch bedeutungslos geworden war.

2.) Die Frage, ob sich etwa seit der Entscheidung des 4. Senats vom 25. Juni 1964 (BSG 21, 162) ein Gewohnheitsrecht (kraft Richterrechts) gebildet hat, bedarf unter den gegebenen bzw. oben dargelegten Umständen keiner näheren Erörterung, zumal schon diese erste Entscheidung des BSG im Schrifttum nicht unwidersprochen geblieben, vielmehr mit durchaus beachtlichen Gründen (vgl. Kluge, NJW 1965, 463) angegriffen worden ist und der 4. Senat zudem die von ihm begründete Rechtsprechung – ebenso wie auch der 12. Senat – nicht mehr aufrechterhält.

Im übrigen ist bei dem Gedanken, einem Wandel der bisherigen Rechtsprechung könne ein durch die seitherige Rechtsprechung begründetes Gewohnheitsrecht entgegenstehen, größte Zurückhaltung geboten. Denn eine solche Auffassung müßte zu einer Versteinerung des derzeitigen Rechtszustandes führen, der dann, wie Grunsky (Grenzen der Rückwirkung bei einer Änderung der Rechtsprechung, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Schriftenreihe Heft 94, 170 S. 9) – in anderem Zusammenhang – zutreffend ausführt, einer Anpassung an veränderte soziale oder wirtschaftliche Verhältnisse oder auch einfach an eine bessere Erkenntnis nicht mehr fähig wäre. Ein entgegenstehendes Gewohnheitsrecht kann jedenfalls dann nicht – oder nicht mehr – angenommen werden, wenn das Gericht, dessen Rechtsprechung das „Gewohnheitsrecht” begründet hat, selbst mit stichhaltiger Begründung später davon abrückt. Andernfalls würde dem Gericht überhaupt die Befugnis abgesprochen, seine Rechtsprechung nach einer gewissen Zeit noch zu ändern (ähnlich: Grunsky aaO S. 13).

3.) Durch die Entscheidung des Großen Senats wird auch nicht im Sinne einer unzulässigen Rückwirkung in Tatbestände, die in der Vergangenheit liegen, eingegriffen. Denn eine rückwirkende Änderung der Rechtsprechung ist gesetzlich möglich. Das gilt auch für den vorliegenden Fall. Die Beteiligten konnten auf den Fortbestand der seitherigen BSG-Rechtsprechung in einem besonders schutzwürdigen Sinne (vgl. Grunsky aaO, S. 11) nicht vertrauen. Denn die seitherige Rechtsprechung des BSG ist seit Jahren Gegenstand der Kritik gewesen, und außerdem sind die Versicherungsträger dadurch zu einer Ersatzlösung (Einwand der Verwirkung) veranlaßt worden, mit der im wesentlichen das gleiche Ergebnis erzielt werden sollte, das die seitherige Rechtsprechung verhindert hat. Von einer „überraschenden” Entscheidung kann hier sonach nicht gesprochen werden. Aber auch unabhängig hiervon besteht kein Grundsatz, daß der Bürger auf den Fortbestand der seitherigen Rechtsprechung uneingeschränkt vertrauen könne. Allerdings kann die Frage, ob die Verjährungseinrede etwa rechtsmißbräuchlich erhoben wurde, in diesem Zusammenhang unter Umständen von Bedeutung sein.

Zu dieser Frage haben auch der Große Senat des BAG im Beschluß vom 21. April 1971 – GS 1/68 – (S 35, 36) und der Bundesfinanzhof im Beschluß vom 25. März 1971 – II B 55-56/70 (teilweise abgedruckt in „Der Betrieb” 1971 S. 1287) – Stellung genommen. Sie haben ebenfalls ausgesprochen, daß einer gerichtlichen Entscheidung jedenfalls dann nicht die Rückwirkung auf einen in der Vergangenheit liegenden Tatbestand versagt werden kann, wenn – wie hier – eine der beiden Parteien eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung erstrebt und erstritten hat. Auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG Bd. 18, 224, 240/41) ist betont worden, daß ein etwaiges Verbot der Rückwirkung die Gerichte an eine einmal feststehende Rechtsprechung binden würde, auch wenn sich diese im Licht geläuterter Erkenntnis oder angesichts des Wandels der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse als nicht haltbar erweise.

Nach alledem ist die Entscheidung des Großen Senats auch schon auf den beim 5. Senat anhängigen Fall anzuwenden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI707849

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