Leitsatz (amtlich)

Mit der bloßen Abstempelung und Ausgabe des "Blankoformulars" eines Rentenantrags nimmt der Versicherungsträger noch keinen Antrag auf Rente entgegen.

 

Normenkette

RVO § 1613 Fassung: 1953-09-03; AVG § 204 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Januar 1962 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Prokurist K M (M.), geboren am 10. März 1889, beantragte am 29. Januar 1958 beim Städtischen Versicherungsamt in M die Gewährung des Altersruhegeldes aus der Angestelltenversicherung wegen Vollendung des 65. Lebensjahres; er fügte dem Antragsformular ein weiteres, von ihm nicht unterschriebenes Formular über einen Antrag auf Ruhegeld bei; dieses Formular enthält den Vermerk: "M, den 5. Januar 1954, Landesversicherungsanstalt O (Stempel), B". Name und Geburtsdatum des Versicherten sind in Schreibmaschinenschrift ausgefüllt.

Die Beklagte bewilligte M. mit Bescheid vom 20. Juni 1958 das Altersruhegeld ab 1. Januar 1957.

Hiergegen erhob M. Klage; er machte geltend, dass ihm das Altersruhegeld auch für die Zeit vom 1. April 1954 bis zum 31. Dezember 1956 zustehe, weil er bereits im Januar 1954 einen Rentenantrag gestellt habe; der Personalleiter seiner Firma, V (V.), habe im Januar 1954 für ihn ein Antragsformular von der Landesversicherungsanstalt (LVA) M abgeholt; dieses Formular sei mit einem Eingangsvermerk versehen worden; damit habe der Versicherungsträger bekundet, dass die Willenserklärung des Versicherten, einen Rentenantrag zu stellen, bei ihm eingegangen sei.

Das Sozialgericht (SG) München hörte den Personalstellenleiter V. als Zeugen; es wies die Klage durch Urteil vo vom 17. Februar 1960 ab, weil der Versicherte im Jahre 1954 keinen wirksamen Rentenantrag gestellt habe; es ließ die Berufung zu.

M. legte Berufung an das Bayerische Landessozialgericht (LSG) ein. Das LSG hörte in der mündlichen Verhandlung M. persönlich; es vernahm ferner erneut den Zeugen V. Das LSG wies die Berufung durch Urteil vom 23. Januar 1962 zurück: Den Bekundungen des Zeugen V. sei zu entnehmen, dass der Zeuge bei seiner Vorsprache bei der LVA M im Januar 1954 lediglich ein "Blankoantragsformular" verlangt und erhalten habe, ohne dass er den Namen des Versicherten als Antragsteller erwähnt oder Unterlagen von ihm vorgelegt habe; eine solche "anonyme Vorsprache" eines Dritten beim Versicherungsträger genüge nicht, um eine rechtswirksame Antragstellung annehmen zu können; die Abstempelung des Blankoformulares habe keine sachliche Bedeutung, zumal der Versicherte das Antragsformular nicht in einer angemessenen Zeit ausgefüllt und unterschrieben dem Versicherungsträger eingereicht habe. Das LSG ließ die Revision zu.

Das Urteil des LSG wurde M. am 2. März 1962 zugestellt. M. legte am 30. März 1962 Revision ein. Er beantragte,

die Entscheidungen der "Vorinstanzen" aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm das Altersruhegeld ab 1. April 1954 zu gewähren,

hilfsweise,

die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische LSG zurückzuverweisen.

Er begründete die Revision am 26. April 1962: Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Zeugen V. ein "Blankoantragsformular" ausgehändigt worden sei; es habe noch prüfen müssen, ob der Name und das Geburtsdatum nicht bereits von der LVA in das Formular eingetragen worden seien; das LSG habe insoweit die Verfahrensvorschriften der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Das LSG sei auch zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Abholung des abgestempelten Formulars keine rechtliche Bedeutung im Sinne eines Antrages gehabt habe; es habe die Vorschriften der §§ 120 und 164 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verletzt; es habe auch den Grundsatz von Treu und Glauben nicht beachtet; wenn es die Vorverlegung des Rentenbeginns abgelehnt habe, obgleich die Voraussetzungen für die Rente gegeben gewesen seien.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

M. starb am 21. Februar 1963. Die Klägerin, seine Ehefrau, setzte als Rechtsnachfolgerin nach § 65 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) das Verfahren fort.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153, 165 SGG).

II.

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

Streitig ist, ob dem Versicherten M. das Altersruhegeld auch für die Zeit vom 1. April 1954 bis zum 31. Dezember 1956 zugestanden hat. Dieser Anspruch hängt, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, davon ab, ob M. seinerzeit einen Rentenantrag gestellt hat (§§ 41 Abs. 1 AVG aF, 1286 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF).

Das LSG ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, M. habe - vor Januar 1958 - keinen Rentenantrag gestellt.

Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Zeuge V., der Personalstellenleiter der Firma, bei der M. als Prokurist beschäftigt gewesen ist, habe im Januar 1954 - "wie auch in anderen gleichgelagerten Fällen ohne besonderen Auftrag des Versicherten" - ein Formular für einen Antrag auf Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung von der LVA Oberbayern in München besorgt; er habe dabei weder den Namen des Versicherten angegeben noch Unterlagen von ihm vorgelegt, V. habe ein mit dem Datum des 5. Januar 1954 abgestempeltes "Blankoantragsformular" erhalten, er habe dieses Formular dem Versicherten zur Ausfüllung und Einreichung überlassen; der Versicherte habe dieses Formular, in dem später Name und Geburtsdatum des M. in Schreibmaschinenschrift vermerkt worden seien, erst mit seinem auf einem anderen Formular gestellten Antrag vom 29. Januar 1958 dem Städtischen Versicherungsamt in München eingereicht.

Gegen diese Feststellungen macht die Klägerin zwar geltend, das LSG sei ohne ausreichende Unterlagen zu dem Ergebnis gekommen, der Zeuge V. habe lediglich ein "Blankoantragsformular" abgeholt; es habe noch prüfen müssen, ob nicht bereits die LVA anlässlich der Vorsprache des Zeugen V. Name und Geburtsdatum des M. als eines Antragstellers vermerkt habe; sie erhebt insoweit die Verfahrensrügen, das LSG habe den Sachverhalt nicht genügend geklärt und die Beweise nicht gesetzgemäß gewürdigt, es habe somit gegen die Verfahrensvorschriften der §§ 103 und 128 SGG verstoßen. Diese Verfahrensrügen gehen jedoch fehl. Das LSG hat auf Grund der Bekundungen des Zeugen V. davon überzeugt sein dürfen, dass V. bei seiner Vorsprache bei der LVA Oberbayern im Januar 1954 lediglich ein "Blankoantragsformular" verlangt und erhalten hat, und dass er weder den Namen des M. erwähnt noch Unterlagen von ihm vorgelegt hat; dies hat der Zeuge V. bei seiner Vernehmung vor dem SG ausdrücklich erklärt; das LSG hat dieser Bekundung folgen dürfen; es hat an ihrer Richtigkeit auch nicht deshalb Zweifel haben müssen, weil der Zeuge V. in einer späteren Vernehmung gesagt hat, er könne sich nicht mehr entsinnen, ob er bei der Abholung des Antragsformulars auch den Namen des Versicherten erwähnt habe, er habe jedenfalls ein "Blankoantragsformular" ausgehändigt bekommen. Das LSG hat auch aus der von dem Zeugen V. geschilderten Art seines Verhaltens "in gleichgelagerten Fällen" schließen dürfen, dass es sich um eine "anonyme Vorsprache" des Zeugen V. bei der LVA gehandelt hat. Hat aber das LSG auch davon ausgehen dürfen, dass der Zeuge V. bei der Abholung des Antragsformulars den Namen des Versicherten überhaupt nicht erwähnt hat, so hat es auch nicht mehr ermitteln müssen oder "zu Beweisanträgen darüber anregen" müssen, von wem Name und Geburtstag des M. in das Antragsformular eingetragen worden sind. Dass diese Eintragung bereits bei der Vorsprache des Zeugen V. durch die LVA vorgenommen worden sei, hat selbst M. nicht behauptet; er hat vielmehr lediglich erklärt, er könne sich nicht mehr daran erinnern, wer Namen und Geburtstag in Schreibmaschinenschrift ausgefüllt habe. Das LSG hat auf Grund der Erklärungen des M. und der Bekundungen des Zeugen V. in beiden Instanzen den Sachverhalt als erschöpfend geklärt ansehen dürfen; es hat deshalb seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), nicht verletzt. Soweit die Klägerin die Beweiswürdigung des LSG angreift, stellt sie lediglich ihre eigene Ansicht über die Sach- und Rechtslage den Feststellungen und der rechtlichen Schlussfolgerung des LSG gegenüber; ihr Vorbringen richtet sich insoweit gegen den sachlichen Inhalt des angefochtenen Urteils. Die Klägerin legt weder dar noch ist aus dem angefochtenen Urteil ersichtlich, dass das LSG mit seinen Feststellungen, die es auf ausreichende Unterlagen gestützt hat, die Grenzen seines Rechts, über das Gesamtergebnis des Verfahrens frei zu entscheiden (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG), überschritten hat (vgl. auch BSG 2, 236). Das LSG hat auch die Gründe, die für seine Überzeugung leitend gewesen sind, sachgerecht dargelegt (§ 128 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das Bundessozialgericht (BSG) ist danach an die tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden, weil keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen gegen sie vorgebracht sind (§ 163 SGG).

Der festgestellte Sachverhalt rechtfertigt die Schlußfolgerung des LSG, dass der Versicherte M. im Januar 1954 keinen Rentenantrag gestellt hat. Zwar bedarf ein solcher Antrag keiner besonderen Form, er kann deshalb auch mündlich - und auch durch einen Stellvertreter - gestellt werden (§§ 204 AVG, 1613 RVO; BSG 2, 273, 275); es genügt, dass der Antragsteller zu erkennen gibt, dass er aus Anlass eines bestimmten Ereignisses eine Leistung aus Mitteln der Versicherung erstrebe; auf jeden Fall muss aber eine Erklärung abgegeben sein, die die Person des Antragstellers erkennen lässt. Im vorliegenden Fall ist lediglich ein Antragsformular - durch einen Dritten - besorgt worden, ohne dass erkennbar geworden ist - geschweige denn "festgehalten" worden ist -, wer eine Leistung erstrebt hat; damit ist jedenfalls noch kein Rentenantrag gestellt worden, weil keine - auf Gewährung der Leistung gerichtete - Willenserklärung eines bestimmten Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger abgegeben worden ist. Hieran hat auch nichts geändert, dass das Blankoantragsformular mit einem Eingangsstempel versehen worden ist. Mit der bloßen Abstempelung des - ausgegebenen - Blankoantragsformulars hat der Versicherungsträger noch keinen Antrag entgegengenommen. Der Antrag ist vielmehr erst dann gestellt gewesen, wenn der Versicherte das ihm "anonym" überlassene "Blankoantragsformular" ausgefüllt und unterschrieben dem Versicherungsträger eingereicht hat. Wenn der Versicherungsträger in solchen Fällen - in einer vorübergehenden Verwaltungsübung - einen "innerhalb einer angemessenen Frist" nach der Aushändigung des abgestempelten Blankoformulars eingereichten Antrag so behandelt hat, als sei er bereits im Zeitpunkt der Abstempelung des Blankoantragsformulars gestellt worden, so kann dahingestellt bleiben, ob eine solche "Vorverlegung des Antrags und damit des Rentenbeginns" den gesetzlichen Vorschriften entsprochen hat. M. hat jedenfalls das ihm überlassene Blankoantragsformular nicht "innerhalb einer angemessenen Frist" ausgefüllt eingereicht; er hat es vielmehr erst einem vier Jahre später gestellten Rentenantrag beigefügt.

Hat der Versicherte - vor Januar 1957 - keinen Rentenantrag gestellt, so hat ihm für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 auch keine Rente zugestanden. Nach § 1286 RVO aF ist der Beginn der Rente von dem Zeitpunkt an abhängig, in dem der Antrag gestellt ist. Der Antrag ist also ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal, das für den Beginn der Rente erheblich ist. Der Antrag als Voraussetzung für den Beginn der Rente kann so wenig wie ein anderes gesetzliches Tatbestandsmerkmal als nachträglich erfüllt angesehen werden, soweit nicht - wie zB nach § 2 des Kriegsfristengesetzes vom 13. November 1952 - gesetzlich Ausnahmen vorgesehen sind. Der Antrag bezieht sich nicht auf eine verfahrensrechtliche Frist für die Geltendmachung des Anspruchs auf Rente; es kommt deshalb auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hier nicht in Betracht. Es ist deshalb auch nicht erheblich, ob der Versicherte "ohne Verschulden" den Antrag nicht früher gestellt hat, oder ob er "an der früheren Antragstellung durch Verhältnisse gehindert worden ist, die außerhalb seines Willens lagen" (vgl. hierzu besonders Urteil des BSG vom 23. Juni 1964 - 11/1 RA 316/62 -). Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob der Versicherte den Antrag nur deshalb nicht früher gestellt hat, weil er aus der Abstempelung des ihm - durch einen Dritten - überlassenen "Blankoantragsformulars" irrtümlich geschlossen hat, der Antrag sei bereits gestellt und ob er ohne oder mit Verschulden gehandelt hat", wenn er sich hierauf verlassen und sich vier Jahre lang nicht weiter um das Rentenverfahren gekümmert hat. In der Rentenversicherung ist die Folge davon, dass der Antrag "verspätet" gestellt wird, nicht wie nach dem früheren Recht der Kriegsopferversorgung und der Unfallversicherung (§§ 57 Abs. 1 Nr. 3, 58 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - aF, 1547 RVO aF) der Verlust des Stammrechts, sondern nur der spätere Beginn der Einzelleistungen aus dem Stammrecht. Die Vorschrift des § 1286 RVO aF lässt daher - anders als das in BSG 14, 246 ff. zu § 58 BVG aF dargelegt ist - Ausnahmen auch dann nicht zu, wenn, abgesehen von dem Antrag, die sonstigen Voraussetzungen für einen früheren Rentenbeginn erfüllt sind. Die Vorschrift des § 1286 RVO aF trägt im wesentlichen Ordnungscharakter. Sie soll der Verwaltung den Überblick über die Leistungen, die sie zu erbringen hat, erleichtern und beruht auf der Erwägung, dass ebenso wie Unterhalt nicht für die Vergangenheit gewährt werden muss (§ 1613 BGB), auch die Rente nicht gewährt wird für eine Zeit, für die sie nicht durch den Antrag geltend gemacht ist. Dem Versicherten wird vom Gesetz zugemutet, selbst an der Ordnung seines Versicherungsverhältnisses insoweit mitzuwirken, als er seinen Anspruch anzumelden hat. Wenn er dies nicht tut, so muss er zeitlich begrenzte Rechtsnachteile hinnehmen. Die Beklagte verstößt daher nicht gegen Treu und Glauben, wenn sie die "Vorverlegung des Rentenbeginns" ablehnt. § 1286 RVO aF enthält zwingendes materielles Recht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind von Amts wegen zu beachten. Die Beklagte verkennt nicht die rechtsethische und soziale Funktion des § 1286 RVO aF, wenn sie die Vorverlegung des Rentenbeginns ablehnt, weil es an einer gesetzlichen Voraussetzung dafür fehlt. Ist danach - wegen Fehlens des Antrags - ein Anspruch des Versicherten auf Rente für die Zeit vom 1. April 1954 bis zum 31. Dezember 1956 überhaupt nicht entstanden, so ist der insoweit ablehnende Bescheid der Beklagten schon aus diesem Grund rechtmäßig; es bedarf daher keiner Erörterung der vom LSG aufgeworfenen Frage, ob der Versicherte "seinen Anspruch" durch "Verzicht" oder "Verwirkung" oder aus einem sonstigen Grunde verloren hat, weil er ihn vier Jahre lang nicht geltend gemacht hat.

Der Anspruch der Klägerin - als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten - auf Vorverlegung des Rentenbeginns, d. h. auf Gewährung der Rente für die Zeit vom 1. April 1954 bis zum 31. Dezember 1956, ist sonach unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden. Die Revision der Klägerin ist deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2325468

NJW 1965, 463

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