Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Leistungen aus der Rentenversicherung wird frühestens mit der Antragstellung fällig (RVO § 29 Abs 3).

 

Normenkette

RVO § 29 Abs. 2 Fassung: 1938-09-01, § 1545 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Februar 1963 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Ehemann der Klägerin ist ... 1943 gestorben. Die Klägerin beantragte am 16. Juni 1962 Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Die Beklagte bewilligte die Rente durch Bescheid vom 22. Oktober 1962 mit Wirkung vom 1. Juli 1958 an. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten zu ändern und ihr Witwenrente vom 1. Juni 1958 an zu gewähren.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte diesem Begehren entsprechend verurteilt und die Berufung zugelassen. Es hat ausgeführt: Die Fälligkeit der einzelnen Rentenraten sei in § 1297 der Reichsversicherungsordnung (RVO) dahin geregelt, daß die Rente monatlich im voraus zu zahlen sei. Das betreffe aber nur die bereits festgestellten Rentenleistungen; noch nicht festgestellte Leistungen oder Leistungsteile seien nicht fällig. Aus der Regelung in den Versicherungsgesetzen ergebe sich, daß der Versicherungsträger erst dann leisten müsse, wenn die Rente festgestellt sei; die Leistung werde erst mit ihrer Feststellung fällig. Die Verjährungsfrist für die einzelnen monatlichen Rentenleistungen habe erst am 22. Oktober 1962 - vier Jahre in die Zukunft gesehen - zu laufen begonnen. Danach sei der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf die Rentenleistung des Monats Juni 1958 nicht verjährt.

Die Beklagte hat Sprungrevision eingelegt. Sie beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügt eine Verletzung des § 29 Abs. 3 RVO. Unter Beachtung dieser Vorschrift habe der Klägerin die Rente erst vom 1. Juli 1958 an gewährt werden können. Der Auszahlungsanspruch für den Monat Juni 1958 sei verjährt.

Die Klägerin hat keinen Sachantrag gestellt.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung hinsichtlich des Rentenanspruchs der Klägerin für den Monat Juni 1958 erhoben. Die Einrede ist nicht begründet. Das Urteil des SG ist im Ergebnis zutreffend. Nach § 29 Abs. 3 RVO verjähren Ansprüche auf Leistungen der Versicherungsträger in der Regel in vier Jahren nach der Fälligkeit. Es ist richtig, wie das SG angenommen hat, daß diese Vorschrift auch auf die Leistungen von Hinterbliebenenrenten anzuwenden ist, weil das Gesetz dafür keine abweichende Regelung enthält; ebenso trifft es zu, daß von der Verjährung nicht der Anspruch auf Leistungen als solcher betroffen wird, sondern lediglich der Anspruch auf die einzelnen monatlichen Rentenleistungen. Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kann es dahinstehen, ob dem SG auch darin zu folgen ist, daß die Rente erst mit ihrer Feststellung durch den Versicherungsträger fällig werde und erst von da an die Verjährungsfrist zu laufen beginne. Es bedarf in diesem Streitfall auch keiner Entscheidung, ob heute noch, wie das Reichsversicherungsamt (RVA) angenommen hat (AN 10, 644, 646; Breithaupt 13, 251 und die dort zitierte Rechtsprechung des RVA), erst dann ein Anspruch im Sinne des § 29 Abs. 3 RVO vorliegt, wenn außer den materiell-rechtlichen Entstehungsvoraussetzungen auch ein formell-rechtliches Erfordernis, nämlich die Anmeldung, erfüllt ist. Jedenfalls besteht vor der Anmeldung (= Antragstellung; § 1575 Abs. 1 Nr. 2 RVO) auf seiten desjenigen, der sich eines Rentenanspruchs berühmt, dem Versicherungsträger gegenüber kein Recht, Zahlung zu fordern; für den Versicherungsträger besteht im Falle eines etwaigen Verlangens von Zahlung das Recht, die Zahlung zu verweigern. Das Recht, die Zahlung vor der Antragstellung verweigern zu können, schließt die Fälligkeit dieses Anspruchs aus. Das folgt aus der Natur des Rechts, eine Leistung verweigern zu dürfen. Von der Fälligkeit eines Anspruchs im Sinne des § 29 Abs. 3 RVO kann deshalb frühestens von dem Zeitpunkt an gesprochen werden, in dem die Antragstellung erfolgt ist. Wenigstens bis dahin ist für den Versicherungsträger keine sofortige Leistungspflicht begründet. Das ist entscheidend. Hieran ändern auch nichts die Vorschriften in § 1290 Abs. 1 Satz 1 und § 1297 RVO. § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO regelt den Beginn der Rente; § 1297 RVO sagt allein darüber etwas aus, wie die Rentenzahlung zu erfolgen hat. Beide Vorschriften regeln aber nicht die Fälligkeit der Rente. Auch aus § 220 Abs. 1 BGB ist nichts Gegenteiliges herzuleiten, wie die Beklagte meint. Diese Vorschrift regelt nur die Unterbrechung der Verjährung in den Fällen, in denen der Anspruch nicht vor die ordentlichen Gerichte gehört. Sie enthält aber nichts darüber, welche Bedeutung der Antragstellung für die Frage der Fälligkeit eines Anspruchs zukommt.

Den Antrag auf Bewilligung der Rente hat die Klägerin am 16. Juni 1962 gestellt. Frühestens diese Antragstellung hat bewirkt, daß die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 3 Abs. 3 RVO für die rückwirkend zu bewilligenden Rentenbeträge zu laufen begonnen hat. Deshalb hat das SG zu Recht entschieden, daß der von der Klägerin für den Monat Juni 1958 geltend gemachte Rentenanspruch nicht verjährt ist. Die Revision der Beklagten muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2379932

BSGE, 162

NJW 1964, 1874

NJW 1965, 463

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