Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung bei Beraterverschulden

 

Leitsatz (NV)

1. Bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht das Verschulden eines Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des Steuerpflichtigen gleich.

2. Ein Verfahrensbevollmächtigter im Einspruchsverfahren ist in jedem Fall verpflichtet, seinen Mandanten über die abschlägig ausgefallene Einspruchsentscheidung sowie über den Lauf der Rechtsbehelfsfrist zu unterrichten, um für seinen Mandanten die Möglichkeit der Klageerhebung zu wahren, u. zw. unabhängig davon, ob er auch zur Führung eines weiteren Rechtsbehelfs beauftragt war oder beauftragt werden sollte.

3. Bei Verhinderung beachtet ein Bevollmächtigter nur dann die angemessene und zu erwartende Sorgfalt, wenn er alle zur Fristwahrung möglichen und zumutbaren Maßnahmen trifft. Eine Erkrankung hindert den Bevollmächtigten nur dann an solchen Maßnahmen, wenn sie besonders schwer ist oder plötzlich auftritt.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1-2, § 155; ZPO § 85 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erhob gemäß § 3 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau in der Fassung vom 20. Juli 1970 (GrEStWoBauG/NW) durch Bescheid vom 29. Dezember 1982 wegen mehrerer Grunderwerbe des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) Grunderwerbsteuer einschließlich eines Zuschlages in Höhe von 31 551 DM nach. Den hiergegen namens und im Auftrage des Klägers durch seinen damaligen Steuerberater eingelegten Einspruch wies das FA durch Entscheidung vom 8. Dezember 1983 zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde dem Steuerberater des Klägers mit Postzustellungsurkunde am 9. Dezember 1983 zugestellt.

Am 10. Februar 1984 erhob der Kläger durch seinen jetzigen Prozeßbevollmächtigten Klage mit dem Antrag, den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und ihm wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Hierzu trug der Kläger vor, er habe erst am 28. Januar 1984 Kenntnis von der Einspruchsentscheidung erhalten. Sein Steuerberater habe ihm weder die Einspruchsentscheidung zur Kenntnis gegeben noch Klage erhoben, weil er davon ausgegangen sei, daß ein Rechtsmittel gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung grundsätzlich nicht mehr eingelegt werden sollte. Dies habe jedoch auf einem Mißverständnis beruht. Er (der Kläger) habe vielmehr, nachdem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Grunderwerbsteuer vorgelegen habe, seinem Steuerberater gesprächsweise Anweisung gegeben, das Einspruchsverfahren sowie das ebenfalls anhängig gewesene Erlaß- und Stundungsverfahren mit weiteren wesentlichen Gründen fortzuführen. Hinzu gekommen sei, daß sein Steuerberater durch Krankheit und Personalausfall sehr stark belastet und er selbst über den Jahreswechsel abwesend gewesen sei. Später trug der Kläger noch Einzelheiten bezüglich der Erkrankung seines Steuerberaters sowie bezüglich des Personalausfalls vor. Danach habe der Steuerberater des Klägers ab Anfang November 1983 infolge Arbeitsüberlastung an Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen sowie ab 14. Dezember 1983 wiederholt an Erkältungen (Bronchitis) gelitten. Von vier Mitarbeiterinnen seien drei im Laufe des Jahres 1983, nämlich am 16. April, 19. August und 15. November, infolge Schwangerschaften ausgefallen. Zwei Kräfte habe sein Steuerberater am 1. August 1983 ersetzt.

Das Finanzgericht (FG) hat unter Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Die Versäumung der Klagefrist sei nicht als entschuldigt anzusehen, da sowohl der Kläger als auch sein Steuerberater Sorgfaltspflichten verletzt hätten. Der Steuerberater habe pflichtwidrig den Kläger nicht über die Einspruchsentscheidung, etwa durch Übersendung einer Kopie, informiert. Der Kläger habe es unterlassen, durch klare Weisungen sicherzustellen, daß die beabsichtigte Klageerhebung vorgenommen werden konnte. Die übrigen geltend gemachten Wiedereinsetzungsgründe, wie Arbeitsüberlastung durch Personalausfall, Erkrankung des Steuerberaters sowie Abwesenheit des Klägers, seien nicht genügend substantiiert und reichten nicht aus. Diese Gründe seien wegen des behaupteten Mißverständnisses für die Fristversäumnis ohnehin nicht ursächlich gewesen. Im übrigen könnten die ergänzenden Angaben des Klägers nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) vorgetragen worden seien.

Mit der Revision beantragt der Kläger weiterhin die Aufhebung der streitigen Grunderwerbsteuerfestsetzung. Das FG habe zu Unrecht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt, und zwar unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht. Es habe die im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesenden Personen (Kläger und Steuerberater) nicht zur Schwere der Erkrankung des Steuerberaters gehört, obwohl sie ausdrücklich als Zeugen hierüber angeboten worden seien.

Das FG habe ferner nicht geprüft, ob der Steuerberater überhaupt als Vertreter im Sinne von § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) anzusehen sei. Dies sei nämlich nicht der Fall, da der Steuerberater im Streitfall zur Vornahme der fristwahrenden Handlung (Klageerhebung) nicht befugt gewesen sei, so daß ein etwaiges Verschulden des Steuerberaters als entscheidungsunerheblich ausscheide.

Seine Anweisung zur Fortführung des Verfahrens sei unmißverständlich gewesen. Allenfalls hätte ein Mißverständnis darin bestehen können, daß der Steuerberater gemeint habe, es bedürfe einer besonderen Weisung nach einer negativen Einspruchsentscheidung, die Klage einzureichen. Dieses Mißverständnis sei jedoch für beide Seiten unverschuldet. Objektiv sei zwar ein Fehler des Steuerberaters gegeben, dieser sei aber entschuldbar angesichts der unvorhergesehenen Arbeitsüberlastung durch Personalausfall und durch seine schwere Erkrankung.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klagefrist versäumt wurde, und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verneint.

1. Die Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid kann zulässigerweise nur binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf erhoben werden (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die Klageschrift ist erst nach Ablauf der Klagefrist, nämlich am 10. Februar 1984, beim FG eingegangen, denn die Einspruchsentscheidung wurde dem Bevollmächtigten des Klägers im Einspruchsverfahren am 9. Dezember 1983 bekanntgegeben, so daß die Klagefrist am 9. Januar 1984 endete (§ 54 FGO, § 222 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).

2. Wiedereinsetzung findet statt, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Eine Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn jemand die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat (vgl. den Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Mai 1986 II R 68/84, BFH/NV 1987, 306, 307). Dabei steht das Verschulden eines Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden gleich (vgl. § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 56 Abs. 2 FGO) und die Tatsachen, die für die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist ursächlich waren, und der Sachverhalt, der die unverschuldete Verhinderung belegen soll, sind innerhalb dieser Frist anzugeben (vgl. § 155 FGO i. V. m. § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz ZPO; BFH-Urteile vom 24. Juli 1973 IV R 204/69, BFHE 110, 232, BStBl II 1973, 823, und vom 26. November 1976 III R 124/74, BFHE 121, 15, BStBl II 1977, 246) und glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 FGO).

Es ist nicht zu beanstanden, daß das FG unter Beachtung dieser Rechtsgrundsätze zu dem Schluß gekommen ist, die Fristversäumnis beruhe u. a. auf einem Verschulden des Steuerberaters des Klägers.

Dabei kann im Ergebnis offenbleiben, ob der Steuerberater, der den Kläger im Einspruchsverfahren vertreten hat, rechtlich nicht befugt war, die Klage für den Kläger zu erheben, wie dies der Kläger meint. Denn der Steuerberater des Klägers war als Verfahrensbevollmächtigter im Einspruchsverfahren in jedem Fall nach den Umständen und der gebotenen Sorgfalt verpflichtet, den Kläger über die abschlägig ausgefallene Einspruchsentscheidung sowie über den Lauf der Rechtsmittelfrist zu unterrichten (vgl. Beschlüsse des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18. November 1969 VI B 13/69, Versicherungsrecht - VersR - 1970, 133, und vom 3. März 1971 IV ZB 56/70, VersR 1971, 666) und die Rechtsmittelfrist zu überwachen (vgl. BGH-Urteil vom 18. April 1968 VII ZR 150/66, BGHZ 50, 82, und BGH-Beschluß vom 17. April 1978 II ZR 34/78, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1979, 27), um für seinen Mandanten die Möglichkeit der Klageerhebung zu wahren. Diese Verpflichtung traf den Steuerberater des Klägers als Bevollmächtigten im Einspruchsverfahren, und zwar unabhängig davon, ob er auch zur Führung eines weiteren Rechtsbehelfs beauftragt war oder beauftragt werden sollte. Denn die ,,Instanz Einspruchsverfahren" endet erst mit Ablauf der Klagefrist, soweit nicht zuvor Klage erhoben wurde.

Diesen Verpflichtungen ist der Steuerberater schuldhaft, d. h. zumindest fahrlässig, nicht nachgekommen. Nach dem Inhalt der anwaltlichen Versicherung des Klägers, dem der Steuerberater des Klägers schriftlich zugestimmt hat, hat der Kläger nach Bekanntwerden der Entscheidung des BVerfG bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Grunderwerbsteuer nur Anweisungen hinsichtlich des laufenden Einspruchsverfahrens und der sonst noch anhängigen Verfahren, nicht jedoch hinsichtlich der Frage gegeben, was bei abschlägiger Einspruchsentscheidung zu tun sei. Angesichts dieser - wie der Kläger betont - ,,unmißverständlichen" Anweisung konnte und durfte der Steuerberater nicht zu dem Schluß kommen, nach abschlägiger Einspruchsentscheidung sei nichts mehr zu veranlassen. Vielmehr müßte dem Steuerberater klar gewesen sein, daß der Kläger die Steuerfestsetzung nicht hinnehmen wollte, so daß in jedem Fall nach Zugang der abschlägigen Einspruchsentscheidung Weisung des Klägers eingeholt werden mußte, wie weiter verfahren werden sollte. Ein vom Kläger behauptetes, von den Beteiligten nicht zu vertretendes Mißverständnis (versteckter Dissens) zwischen dem Kläger und seinem Steuerberater über die Einlegung der Klage kann deshalb nicht vorgelegen haben.

Das Versäumnis des Steuerberaters kann auch nicht durch die behauptete Arbeitsüberlastung und Erkrankung entschuldigt werden. Dabei kann im Ergebnis offenbleiben, ob die vom Kläger erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen mitgeteilten Einzelheiten lediglich Erläuterungen und Ergänzungen von fristgemäß vorgebrachten Wiedereinsetzungsgründen darstellen oder als neuer Sachvortrag unberücksichtigt bleiben müssen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Dezember 1977 VI R 179/75, BFHE 124, 141, BStBl II 1978, 240); denn auch bei Berücksichtigung der nachträglich mitgeteilten Einzelheiten kann nicht davon ausgegangen werden, der Steuerberater des Klägers habe die den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt beachtet. Davon kann nur gesprochen werden, wenn bei Verhinderung des Bevollmächtigten Maßnahmen zur Fristwahrung nach den Umständen nicht mehr möglich oder zumutbar waren. Das ist bei Erkrankung eines Bevollmächtigten nur dann der Fall, wenn diese besonders schwer ist oder plötzlich auftritt. Beides liegt aber im Streitfall nicht vor. Die Erkrankung des Steuerberaters des Klägers dauerte schon länger (seit November 1983); sie ermöglichte es ihm zudem, sein Büro regelmäßig aufzusuchen. Es kann unter diesen Umständen nicht festgestellt werden, dem Steuerberater sei es weder möglich noch zumutbar gewesen, Maßnahmen zur Fristwahrung (Benachrichtigung des Klägers, Fristenkontrolle, gegebenenfalls Bestellung eines Vertreters) zu treffen.

Das gleiche gilt sinngemäß auch für die geltend gemachte Arbeitsüberlastung infolge Personalausfalls. Auch hier hätte der Steuerberater ausreichend Gelegenheit gehabt, Vorsorge zu treffen, um die Arbeitssituation so zu verbessern, damit die Fristen eingehalten werden konnten. Hinzu kommt im Streitfall, daß zwei der drei Schwangerschaftsfälle Monate vor der Fristversäumnis eingetreten waren.

Da die schuldhafte Pflichtverletzung des Steuerberaters dem Kläger zuzurechnen ist, braucht nicht mehr darüber befunden zu werden, ob auch den Kläger ein Verschulden trifft, wie das FG angenommen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415254

BFH/NV 1988, 784

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