Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzlicher Parteiwechsel im Revisionsverfahren; Ausschüttungen aus dem Reservefonds einer PGH; selbständige Anschlußrevision des FA

 

Leitsatz (NV)

1. Im Falle eines gesetzlichen Parteiwechsels wird das Revisionsverfahren nicht unterbrochen.

2. Im Revisionsverfahren ist Beteiligter, wer am Verfahren über die Klage beteiligt war. Die Bestimmung des § 122 Abs. 1 FGO ist für Fälle des gesetzlichen Parteiwechsels nach ihrem Sinn und Zweck und aus Gründen der Prozeßökonomie einschränkend auszulegen.

3. Wird die vom Kläger angefochtene Steuerfestsetzung betragsmäßig nicht in vollem Umfang durch das FG bestätigt, ist das FA materiell beschwert. Unerheblich ist, ob und mit welchen Ausführungen und Anträgen es den von ihm erlassenen Verwaltungsakt im finanzgerichtlichen Verfahren verteidigt hat.

4. Das FA kann mit der Revision nicht beantragen, die Steuer höher als in dem vom Kläger angefochtenen Steuerbescheid festzusetzen. Im finanzgerichtlichen Verfahren kann es im öffentlichen Interesse lediglich Angriffe gegen den von ihm erlassenen Verwaltungsakt abwehren.

5. Ausschüttungen aus dem Reservefonds einer PGH im ersten Halbjahr 1990 sind als Einnahmen aus Kapitalvermögen steuerpflichtig. Sie sind als Bestandteil der hauptberuflichen Tätigkeit für die PGH nach dem Grundtarif A zu besteuern.

 

Normenkette

AO 1977 § 157 Abs. 2; DDR-Verf Art. 10 Abs. 1; EinigVtr Art. 8; EStG DDR § 11 Abs. 1 S. 1; EStG DDR § 20 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 122 Abs. 1-3, § 135 Abs. 2, § 136 Abs. 1 S. 1; PGH-StG 1962 §§ 6-7, 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1-2, §§ 15, 17 Abs. 3-4; PGH- VO 1973 §§ 1, 2 Abs. 2; PGH-UmwVO 1990 § 5 Abs. 1-4, § 10 Abs. 1-2; StÄndG DDR 1990 § 1 Abs. 1, § 8 S. 2, § 12 Abs. 1-2; StAnpG DDR § 20 Abs. 3; ZPO § 239

 

Tatbestand

Der Kläger, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1990 Mitglied und Vorsitzender der 1973 gegründeten und beim Rat des Kreises Z registrierten PGH F.

Aufgrund der Mitgliederbeschlüsse vom 6. Februar 1990 und 6. März 1990 wurden im ersten Halbjahr 1990 Beträge aus dem Reservefonds ausgeschüttet. Auf den Kläger entfiel ein Betrag in Höhe von 61184,44 M/DDR.

Mangels Abgabe einer Steuererklärung ermittelte das Finanzamt (FA) X (ursprüng licher Beklagter, Revisionsbeklagter und Anschlußrevisionskläger) die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege. Es behandelte die Ausschüttung aus dem Reservefonds als Nettobetrag in der Annahme, daß die PGH die Kapitalertragsteuer in Höhe von 15 v. H. zusätzlich einbehalten habe. Ausgehend von Bruttoeinnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 71 981 M/DDR setzte das FA nach Umstellung der Steuerrate von 20 308 M/DDR im Verhältnis 2:1 auf DM die Steuerrate mit Bescheid vom 4. Januar 1993 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 10 154 DM fest.

Unter Berücksichtigung von Werbungskosten und Sonderausgaben setzte das FA die Steuerrate auf den Einspruch des Klägers unter Anwendung des Steuergrundtarifs A auf 9 576 DM herab.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 1100 veröffentlichtem Urteil insoweit statt, als das FA irrtümlich von dem Einbehalt der Kapitalertragsteuer ausgegangen ist. Die Nettoeinnahmen beurteilte das FA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes DDR (EStG DDR) vom 18. September 1970 (Gesetzblatt der DDR -- GBl DDR --, SDr. Nr. 670) als Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Gegen das Urteil des FG haben sowohl der Kläger als auch das FA Revision eingelegt.

A. Revision des Klägers:

Der Kläger rügt die Verletzung materiellen Rechts (§ 8 Satz 2 des Steueränderungsgesetzes DDR -- StÄndG DDR --, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG DDR).

Die Besteuerung von Zahlungen einer PGH an ihre Mitglieder habe sich im ersten Halbjahr 1990 ausschließlich nach dem Gesetz über die Besteuerung der Produktionsgenossenschaften des Handwerks und ihrer Mitglieder vom 30. November 1962 (PGH-StG) gerichtet. Der Reservefonds sei nach Abstimmung mit staatlichen Stellen aus versteuerten Gewinnen der PGH gespeist worden. Das FG lege § 8 Satz 2 StÄndG DDR zu Unrecht in der Weise einschränkend aus, daß diese Vorschrift an § 8 Abs. 1 PGH-StG anknüpfe. Sei eine Entnahme aus dem Reservefonds gesetzlich ausgeschlossen gewesen, so könne auch nicht über § 15 PGH-StG auf andere Steuertatbestände zurückgegriffen werden.

Nach 1989 habe es an einer geordneten Abstimmung über die Zuführung zu den einzelnen Fonds gefehlt. Erst durch die Anordnung des Ministerrats vom 13. Juni 1990 (GBl DDR I 1990, 785) sei wieder eine eindeutige gesetzliche Grundlage für die Besteuerung geschaffen worden. Dementsprechend habe auch das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Schreiben vom 6. Mai 1991 IV B 7 -- S 1990 -- 97/91 § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG DDR nicht als Rechtsgrundlage betrachtet, sondern sich ebenfalls auf jene Anordnung vom 13. Juni 1990 bezogen. Deshalb werde der Beitritt des BMF angeregt. Das Bundesarchiv habe auf Anfrage allerdings mitgeteilt, es könne keine weiteren Materialien zu dieser Anordnung übermitteln.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 13. Juli 1994 sowie den Bescheid vom 4. Januar 1993 über die Steuerrate 1990 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es schließt sich insoweit den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen im angefochtenen Urteil in vollem Umfang an.

Ergänzend erwidert es, die Anordnung vom 13. Juni 1990 stelle keine Rechtsänderung dar. Selbst im Falle einer Gesetzesänderung läge indessen keine unzulässige Rückwirkung vor, weil der Gesetzgeber jedenfalls vor Ablauf des maßgebenden Veranlagungszeitraums dazu befugt gewesen sei. Die Aufhebung des Musterstatuts durch § 10 der Verordnung über die Gründung, Tätigkeit und Umwandlung von Produktionsgenossenschaften des Handwerkes vom 8. März 1990 (UmwVO) habe die Unterteilung der Passivseite in verschiedene Fonds ebensowenig beseitigt wie die Geltung des dem Musterstatut entsprechenden individuellen Statuts der einzelnen PGH.

Die Steuerbefreiung von Gewinnausschüttungen der PGH im Rahmen der Anordnung vom 26. Januar 1990 (GBl DDR I 1990, 27) knüpfe an die Herkunft aus teilbaren Fonds an.

Schließlich setze eine Gewinnverteilung einen zuvor festgestellten Jahresabschluß voraus (vgl. § 19 des Genossenschaftsgesetzes -- GenG -- i. V. m. § 3 UmwVO). Dies sei frühestens zum 30. Juni 1990 möglich gewesen. In diesem Zeitpunkt habe aber bereits die Ausschüttungssperre nach § 27 des D-Markbilanzgesetzes (DMBilG) gegolten. Außerdem verdeutliche § 5 Abs. 1 und 4 UmwVO das gesetzgeberische Ziel, bei den Nachfolgegesellschaften der PGH eine ausreichende Kapitalgrundlage sicherzustellen und dementsprechend ausbezahlte Anteile zu besteuern.

Nichtordnungsgemäße Ausschüttungen aus dem Reservefonds seien gemäß § 97 c Abs. 2 und 3 der Abgabenordnung DDR 1970 (AO DDR) als Kapitaleinkünfte steuerbar gewesen.

B. Revision des FA:

Das FA rügt Verletzung formellen (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) und materiellen Rechts (§ 12 Abs. 1 StÄndG DDR i. V. m. Anlage 4 Steuersatztabelle C).

Zu Unrecht behandle das FG die Einkünfte aus Kapitalvermögen als Teil der hauptberuflichen Tätigkeit der PGH-Mitglieder und wende dementsprechend den Steuergrundtarif A in der Anlage 1 zum StÄndG DDR an.

Als nebenberufliche Tätigkeit gelte eine solche, die in sich abgeschlossen sei und in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer ausgeübten hauptberuflichen Tätigkeit stehe. Zusätzlich sei eine zeitliche Komponente zu berücksichtigen. Hauptberuflich sei eine Tätigkeit, wenn der Steuerpflichtige seine Arbeitszeit zu mehr als einem Drittel auf diese Tätigkeit verwende (vgl. BMF-Schreiben vom 17. September 1991 IV 2/IV B 1 -- S 2532 -- 81/91). Die hauptberuflichen Einnahmen der PGH-Mitglider zählten die §§ 7 und 8 PGH- StG abschließend auf. Es fehle ein wirtschaftlicher Zusammenhang der Ausschüttung aus dem Reservefonds mit der hauptberuflichen Tätigkeit. Bereits § 9 Abs. 2 PGH-StG habe eine besondere Besteuerung von Einnahmen außerhalb der PGH geregelt (vgl. dazu auch Informationsbrief Nr. 5/87 des Ministeriums der Finanzen der DDR vom 27. August 1987). Das FG habe es wegen seiner unrichtigen Auslegung des § 12 Abs. 1 StÄndG DDR versäumt, die Höhe der Einkünfte des Klägers aus dessen Tätigkeit für die PGH aufzuklären.

Das FG dürfe bei einer vom FA zugunsten des Klägers abweichend ermittelten Steuerrate im Ergebnis auf jeden Betrag im Rahmen des durch die Einspruchsentscheidung festgesetzten und dem vom Kläger begehrten Betrag erkennen. Im Streitfall habe das FG anstelle eines fiktiven Bruttobetrages den niedrigeren, tatsächlich ausgezahlten Ausschüttungsbetrag angesetzt. Mithin könne das FA insoweit die Anwendung eines höheren Steuertarifs geltend machen.

Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 13. Juli 1994 aufzuheben und in Abänderung des Bescheids vom 4. Januar 1993 i. d. F. der Einspruchsentscheidung die Steuerrate unter Anwendung der Steuersatztabelle C in der Anlage 4 zum StÄndG DDR vom 6. März 1990 festzusetzen.

Der Kläger beantragt, die Revision des FA als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Das Revisionsbegehren des FA sei auf eine Änderung des Verwaltungsaktes zum Nachteil des Klägers gerichtet und gehe über das Klagebegehren des Klägers hinaus (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Das FA dürfe eine für den Kläger nachteilige Änderung des angefochtenen Steuerbescheides weder beantragen noch sei das FG zu einer solchen Änderung befugt. Das FA könne seinerseits einen geänderten Bescheid nach §§ 164 Abs. 2, 132 Satz 1, 172 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) erlassen.

Die Behauptung des FA, bei der Anwendung des § 12 Abs. 1 StÄndG DDR sei zusätzlich eine zeitliche Komponente zu berücksichtigen, offenbare ein fehlendes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge. Der BMF gebe hierfür in dem vom FA genannten Schreiben vom 17. September 1991 keinen Hinweis. Die insoweit angezogene Regelung betreffe vielmehr nur § 12 Abs. 2 StÄndG DDR.

 

Entscheidungsgründe

A. Revision des Klägers:

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie war deshalb in vollem Umfang zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Nach § 122 Abs. 1 FGO ist Beteiligter am Verfahren über die Revision, wer am Verfahren über die Klage beteiligt war. Die Bestimmung ist nach inzwischen ständiger Rechtsprechung für Fälle des gesetzlichen Parteiwechsels nach ihrem Sinn und Zweck und aus Gründen der Prozeßökonomie einschränkend auszulegen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. April 1988 VII B 167/87, BFH/NV 1989, 36, 37, grundlegend BFH-Urteil vom 1. August 1979 VII R 115/76, BFHE 128, 251, BStBl II 1979, 714, m. umf. N.).

Im Falle eines gesetzlichen Parteiwechsels wird das Verfahren nicht nach § 239 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 155 FGO unterbrochen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 122 FGO Rz. 5).

Das ursprünglich am Klageverfahren beteiligte FA X ist im Zuge der Kreisgebiets reform mit Wirkung zum 31. März 1996 aufgelöst worden. Für die Wohnsitzgemeinde des Klägers ist das FA Y zuständig geworden (vgl. §§ 2 und 3 des Kreis- und Gerichtsneugliederungsgesetzes vom 24. Dezember 1992, Gesetz- und Verordnungsblatt -- GVBl -- für das Land Brandenburg I 1992, 546; Verordnung der Finanzministerin des Landes Brandenburg vom 11. März 1996 nach § 17 Abs. 2 Satz 3 des Finanzverwaltungsgesetzes -- FVG --, Anlage 1, lfd. Nr. 14).

Das FA Y ist damit im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung des FA X eingetreten.

2. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß die nach den nichtangegriffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) im ersten Halbjahr 1990 zugeflossenen Ausschüttungen aus dem Reservefonds der PGH-F nach §§ 11 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG DDR vom 18. September 1970 (GBl DDR SDr. Nr. 670 i. d. F. des StÄndG DDR vom 6. März 1990, GBl DDR I, 136, und des Steueranpassungsgesetzes vom 22. Juni 1990 -- StAnpG DDR --, GBl DDR SDr. Nr. 1427) als Einkünfte aus Kapitalvermögen im Streitjahr 1990 steuerpflichtig waren.

a) Die vorgenannten Rechtsgrundlagen galten gemäß Art. 8 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 des Einigungsvertrages (EinigVtr) noch bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet als partielles und damit revisibles Bundesrecht i. S. des § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO fort (vgl. BFH-Urteile vom 22. Dezember 1993 I R 75/93, BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578; vom 27. Oktober 1994 I R 107/93, BFHE 176, 529, BStBl II 1995, 408).

b) Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG DDR sind erfüllt.

Nach dieser Vorschrift gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Gewinnanteile (Dividenden), Zinsen und sonstige Bezüge aus Aktien, Anteilen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und an sonstigen Vereinigungen, die Rechte einer juristischen Person haben.

aa) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob eine PGH als eine Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft (so der Bundesgerichtshof -- BGH -- im Nichtannahmebeschluß vom 19. September 1994 II ZR 184/93, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1995, 854; Produktivgenossenschaft i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 4 GenG) oder als sonstige Vereinigung mit den Rechten einer juristischen Person zu qualifizieren ist.

Jedenfalls war eine PGH -- wie auch die PGH-F -- eine Vereinigung mit körperschaftlicher Struktur, wobei die Beteiligung -- abstrakt gesehen -- das Vermögensrecht mit umfaßte, an Gewinnausschüttungen und an der Auskehrung des Liquidationsvermögens beteiligt zu werden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 15. November 1994 VIII R 74/93, BFHE 176, 373, BStBl II 1995, 315, m. w. N.; BFH in BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578, 580).

Nach § 2 Abs. 2 der Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 21. Februar 1973 (GBl DDR I 1973, 121) erlangte die PGH mit ihrer Eintragung in das beim Rat des Kreises bzw. der Stadt geführte Register Rechtsfähigkeit.

Nach den Feststellungen des FG ist die PGH-F in das beim zuständigen Rat des damaligen Kreises Z geführte Register am 30. August 1973 eingetragen worden.

bb) Die Ausschüttung der PGH-F aus dem Reservefonds war durch das Mitgliedschaftsverhältnis bedingt und stellt damit einen Beteiligungsertrag dar (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 12. Oktober 1982 VIII R 72/79, BFHE 137, 157, BStBl II 1983, 128, 129). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob es sich um eine als sonstiger Bezug zu erfassende verdeckte Gewinnausschüttung handelt.

cc) Die Ausschüttung aus dem Reservefonds entsprach auch nicht der zum Zeitpunkt der Beschlußfassung am 6. Februar 1990 und 6. März 1990 noch geltenden Rechtslage im Beitrittsgebiet.

c) Die Anwendung des EStG DDR war weder durch das PGH-StG vom 30. November 1962 als lex specialis ausgeschlossen noch war die Ausschüttung aus dem Reservefonds gemäß § 8 Satz 2 StÄndG DDR steuerbefreit.

Nach § 8 Abs. 1 PGH-StG betrug die Steuer auf die Einnahmen aus der Gewinnverteilung (Gewinnausschüttung) 10 v. H. der Einnahmen.

aa) Die §§ 8 Abs. 1, 9 PGH-StG traten zwar bereits aufgrund des StÄndG DDR (§ 15 Abs. 1, Abs. 2 4. Spiegelstrich) rückwirkend zum 1. Januar 1990, im übrigen trat das Gesetz nach § 20 Abs. 3 1. Spiegelstrich StAnpG DDR zum 1. Juli 1990 außer Kraft.

Damit wäre eine evtl. Sperrwirkung des PGH-StG als Spezialgesetz gegen den Rückgriff auf die allgemeinen Besteuerungstatbestände des EStG DDR an sich entfallen. Die inhaltliche Anknüpfung der ebenfalls rückwirkend zum 1. Januar 1990 in Kraft getretenen Steuerbefreiung gemäß § 8 Satz 2 StÄndG DDR an § 8 PGH-StG erfordert indessen zu prüfen, ob für Ausschüttungen aus dem unteilbaren Reservefonds das PGH-StG überhaupt eine derartige abschließende Spezialregelung enthielt. Der erkennende Senat verneint dies.

bb) Der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen spricht zwar für die Annahme, das PGH-StG enthalte abschließende Regelungen für sämtliche Einnahmen der PGH-Mitglieder.

Abschnitt II des Gesetzes regelt die Besteuerung der Mitglieder der PGH. Nach § 6 PGH-StG unterliegen diese mit ihren Einnahmen aus der PGH der Steuer der Mitglieder der PGH.

Nach § 9 Abs. 1 PGH-StG erfolgte die Besteuerung von Einkünften außerhalb der PGH nach den dafür geltenden Bestimmungen gemäß der Steuersatztabelle in Anlage 4 zum PGH-StG.

Indessen kann die Auslegung nicht bei einem bloßen Wortverständnis stehenbleiben. Sie muß zusätzlich vor allem Sinn und Zweck des Gesetzes, seine Systematik und seinen Zusammenhang mit anderen gesetzlichen Regelungen sowie schließlich die Entstehungsgeschichte berücksichtigen. Dies gilt in besonderer Weise für die aus ideologischen Erwägungen vielfach für einzelne Fallgruppen jeweils aufgesplitterte Regelungstechnik in der ehemaligen DDR (vgl. Grabau, Betriebs-Berater -- BB -- 1992, 1226, 1230, m. w. N., wonach das Einkommensteuerrecht der ehemaligen DDR vom sog. Schedulenprinzip gekennzeichnet war). Einheitliche Grundlage der PGH war das genossenschaftliche Eigentum. Die hieraus zu ziehenden Folgerungen sind in der Anlage zur Verordnung über das Musterstatut der PGH vom 21. Februar 1973 (GBl DDR I, 121) detailliert niedergelegt. Dieses Musterstatut war nach § 1 der Verordnung für alle PGHen verbindlich.

Nach § 6 Abs. 1 des Musterstatuts bildete die PGH dort im einzelnen aufgeführte Fonds, u. a. den Reservefonds, dem alle zur Durchführung einer planmäßigen Fondswirtschaft nicht erforderlichen freien Eigenmittel der PGH zuzuführen waren und die genossenschaftlichen Konsumtionsfonds (§ 7). Der Reservefonds war ein unteilbarer Fonds, der nur für die in § 6 Abs. 2 des Musterstatuts genehmigten Zwecke, nicht hingegen für Konsumtionszwecke verwendet werden durfte (vgl. Schulz, D- Spezial 32/94, S. 3 ff.; Lörler in Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehemaligen DDR, A I Rz. 37).

Der Reservefonds war danach nicht privatnützig. Dies kommt nachhaltig darin zum Ausdruck, daß selbst bei Beendigung der Mitgliedschaft kein Anspruch auf Auszahlung eines Anteils daran bestand (vgl. § 12 Abs. 4 des Musterstatuts; Hillmann, Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift -- DtZ -- 1995, 264, 265; Grabau, BB 1992, 1226; Brunner in Festschrift für H. Paulick, 1973, S. 25, 41; Maria Haendcke-Hoppe, Deutschland-Archiv 1973, 836, 838).

Ausschüttungen aus dem Reservefonds waren nach den für die Bewirtschaftung der Fonds geltenden Prinzipien, wie sie im Musterstatut zum Ausdruck kamen, gesetzlich unzulässig und sind bis 1989 dementsprechend auch nicht vorgenommen worden (vgl. Schulz, D-Spezial 43/93, S. 1, 2). Nach Art. 10 Abs. 1 der DDR-Verfassung war das genossenschaftliche Gemeineigentum werktätiger Kollektive sog. sozialistisches Eigentum, das nach Abs. 2 der Norm zu schützen und zu mehren die Pflicht des Staates und seiner Bürger war (Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Aufl., 1982, Art. 10 Rz. 5 und 22). Das zum 17. Juni 1990 in Kraft getretene Verfassungsgrundsätzegesetz vom 17. Juni 1990 (GBl DDR I, 299) ließ in Art. 2 Satz 2 weiterhin besondere Eigentumsformen für die Beteiligung der öffentlichen Hand zu.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage konnte der Gesetzgeber zwangsläufig rechtlich ausgeschlossene Einnahmen aus Ausschüttungen aus dem Reservefonds nicht in die Regelungstatbestände des PGH-StG einbeziehen. Dem Verständnis der sozialistischen Gesetzlichkeit hätte es nachgerade widersprochen, für derartige Einnahmen sogar einen speziellen Tatbestand in § 8 Abs. 1 PGH-StG zu schaffen oder sie in der Besteuerung den Ausschüttungen aus den sog. Konsumtionsfonds etwa stillschweigend gleichzustellen.Ü

berdies blieb das EStG DDR auch nach dem PGH-StG als allgemeine Auffangnorm anwendbar (§§ 15, 17 Abs. 3 a.e.c. PGH- StG), während die Anwendung anderer Steuergesetze, z. B. des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) oder der Verordnung zur Durchführung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag vom 22. Dezember 1934 ausdrücklich ausgeschlossen worden ist.

Der vom Minister der Finanzen der DDR verwaltungsintern herausgegebene Informationsbrief Nr. 5/87 vom 27. August 1987 zur Besteuerung der PGHen und ihrer Mitglieder bietet abgesehen davon, daß ein solches Interpretationsschreiben die Gerichte ohnedies nicht bindet (vgl. BFH-Urteil vom 11. September 1991 XI R 16/90, BFHE 165, 466, BStBl II 1992, 132, 133, m. w. N., ständige Rechtsprechung), keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte, um auch gesetzlich unerlaubte Ausschüttungen aus dem unteilbaren Reservefonds in das Sondergesetz für PGHen einzubeziehen.

In den Erläuterungen zu § 1 PGH-StG wird zwar zum Geltungsbereich ausgeführt, das PGH-StG und die zu seiner Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften enthielten in sich abgeschlossene Besteuerungsregelungen für diese Eigentumsform. Andere steuerrechtliche Vorschriften dürften bei der Besteuerung der PGH und ihrer Mitglieder nur dann angewendet werden, wenn dies ausdrücklich festgelegt sei. Auch diese Feststellungen knüpfen aber an das detaillierte Regelungswerk rechtlich zulässiger Einnahmen der PGH-Mitglieder an.

In Ziffer 12 werden auch sog. vorweggenommene Gewinnausschüttungen nach späterer Beschlußfassung über den Jahresabschluß dem Steuertatbestand in § 8 Abs. 1 PGH-StG zugeordnet. Die damit erfaßten, beispielhaft aufgeführten Sachverhalte sind mit den nach damaliger Rechtslage generell gesetzwidrigen Ausschüttungen aus dem Reservefonds indessen nicht vergleichbar.

cc) Mit dem Inkrafttreten der UmwVO vom 8. März 1990 trat zwar u. a. auch die Verordnung über das Musterstatut außer Kraft (vgl. § 10 Abs. 1 2. Spiegelstrich UmwVO). Dies änderte aber nicht den Inhalt und Anwendungsbereich des PGH-StG und der daran anknüpfenden Steuerbefreiung in § 8 Satz 2 StÄndG DDR. Überdies blieben die Regelungen des Musterstatuts bis zur Umgründung der PGH als von ihr jeweils beschlossenes Statut verbindlich (vgl. BGH- Urteil vom 21. September 1995 II ZR 236/94, Der Betrieb -- DB -- 1996, 825; BGH- Beschluß vom 19. September 1994 II ZR 184/93, DStR 1995, 854, und dazu Anm. von Siegmann in DStR 1995, 855).

Nach § 8 Satz 2 des zum 1. Januar 1990 rückwirkend in Kraft getretenen StÄndG DDR sollten die Einnahmen der Mitglieder einer PGH aus der Gewinnverteilung (Gewinnausschüttung) steuerfrei bleiben. Dieser Regelungsbereich stimmt wörtlich überein mit dem außer Kraft gesetzten § 8 Abs. 1 PGH-StG und § 1 der Anordnung über steuerliche Maßnahmen für Mitglieder von Produktionsgenossenschaften des Handwerks, privater Handwerker und Gewerbetreibende vom 26. Januar 1990 (GBl DDR I 1990, 27), durch die noch für das Jahr 1989 steuerliche Maßnahmen gewährt werden sollten. Der Regelungsbereich ist indessen nicht weiter zu ziehen als bei § 8 Abs. 1 PGH-StG. Dies wurde auch von Steuerrechtlern der ehemaligen DDR ursprünglich so gesehen (vgl. Krause/Schulz, DStR 1990, 239, 241), die zur Bestimmung ausführten, daß Gewinnausschüttungen aus dem erwirtschafteten Vorjahresgewinn steuerbefreit werden sollten, während bisher ein 10 %iger Steuerabzug vorzunehmen gewesen sei. Die in den Reservefonds jahrzehntelang akkumulierten Gewinnanteile werden von beiden Autoren nicht erwähnt.

Der zudem erst am 19. März 1990 in Kraft getretenen und nach dem StÄndG DDR erlassenen UmwVO kann nicht positiv entnommen werden, daß abweichend vom bisherigen Gesetzesverständnis § 8 Satz 2 StÄndG DDR auch auf Ausschüttungen aus dem Reservefonds zu beziehen sei. § 5 Abs. 1 UmwVO erklärt die bei einer Umwandlung nach § 1 dieser Verordnung eingebrachten Anteile aus den unteilbaren Fonds ausdrücklich für steuerfrei. § 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung erlaubt die Auszahlung des Anteils der nicht in die neue Gesellschaftsform eintretenen PGH- Mitglieder an den unteilbaren genossenschaftlichen Fonds erst nach Tilgung der Verbindlichkeiten der PGH und nach Erstellung der in § 4 Abs. 4 der Verordnung vorgeschriebenen Abschlußbilanz und bestimmte ausdrücklich in Abs. 3, daß in einem solchen Fall die ausgezahlten Anteile der Besteuerung nach den geltenden Rechtsvorschriften unterlägen. Wäre der Verordnungsgeber von der Steuerfreiheit dieser Ausschüttungen nach § 8 Satz 2 StÄndG DDR ausgegangen, so ist schwer verständlich, warum er zwar die in Abs. 1 und 4 des § 5 der Verordnung geregelten Fallgestaltungen ausdrücklich für steuerfrei erklärte, hingegen in Abs. 3 in Kenntnis des soeben verabschiedeten und zum 1. Januar 1990 in Kraft getretenen StÄndG DDR nicht auf dessen § 8 Satz 2 entweder Bezug genommen hat oder eine angebliche Steuerfreiheit bestätigte, sondern hinsichtlich der Besteuerung gerade auf die geltenden Rechtsvorschriften verwiesen hat. Die Regelung spricht gerade umgekehrt dafür, daß auch der Verordnungsgeber von der Steuerbarkeit derartiger Einnahmen ausgegangen ist.§

5 Abs. 2 UmwVO räumte überdies einem ausscheidenden Mitglied einen Anspruch auf Teilhabe am Vermögen der PGH ausschließlich unter der Voraussetzung seines Ausscheidens anläßlich und wegen der Umwandlung ein. Einem bereits unabhängig davon zeitlich vorgezogenen ausscheidenden Mitglied blieb dieser Anspruch versagt (vgl. BGH, DStR 1995, 854; Hillmann in Festschrift für Boujong 1996, S. 261, 263 f.; derselbe, DtZ 1995, 264, 265; Lörler, a.a.O., A I Rz. 37; ferner Goette in Anm. zum BGH-Beschluß vom 22. Mai 1995 II ZR 50/94, DStR 1995, 1034, 1035, m. w. N., wonach Entstehungsgeschichte und Motive der Regelung nicht weiter aufgeklärt werden können).

d) Die erst zum 30. Juli 1990 in Kraft getretene Anordnung des Ministers für Wirtschaft vom 13. Juni 1990 (GBl DDR I 1990, 785 -- vgl. § 3 der Verordnung --) bekräftigte in § 1 Abs. 1 zum einen das Verbot, Reservefonds als unteilbare Fonds für Zwecke der individuellen Konsumtion zu verwenden, und stellte zum anderen in § 1 Abs. 2 klar, daß Auszahlungen an Mitglieder der PGH der Besteuerung als Einkünfte aus Kapitalvermögen unterlägen. Unbeschadet der Frage der Rangordnung und der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit des Ministerrats zum Erlaß von Verordnungen (vgl. § 8 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über den Ministerrat der DDR vom 16. Oktober 1972, GBl DDR I, 253; zum Recht in der ehemaligen DDR ferner Sauthoff/Bauer, Die Öffentliche Verwaltung -- DÖV -- 1991, 1054, 1055) begründete die Anordnung vom 13. Juni 1990 nicht erst rückwirkend eine Steuerpflicht für derartige Ausschüttungen aus den Reservefonds und beseitigte gleichsam eine durch § 8 Satz 2 StÄndG DDR gewährte Steuerfreiheit. Vielmehr kam ihr lediglich klarstellende Wirkung zu. Für eine Klarstellung bestand durchaus insoweit Anlaß, als die ergänzende Fortgeltung des EStG DDR für jedenfalls bis zum Jahr 1989 in der ehemaligen DDR nie aktuell aufgetretene Steuersachverhalte für Steuerpflichtige nicht ohne weiteres erkennbar war.

e) Der BMF hat in seinem Schreiben vom 6. Mai 1991 IV B 7 -- S 1900 -- 97/91 (BB 1991, 1177) ebenfalls lediglich Zahlungen aus den Konsumtionsfonds als steuerfrei beurteilt. Soweit er Zahlungen aus dem Reservefonds unter Hinweis auf die Anordnung vom 13. Juni 1990 als steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen anführt, kann dahingestellt bleiben, ob er diese Anordnung ursprünglich als Rechtsgrundlage herangezogen hat. Der erkennende Senat wäre an eine solche Rechtsauffassung nicht gebunden (BFH-Urteil vom 11. September 1991 XI R 16/90, BFHE 165, 466, BStBl II 1992, 132, 133, m. w. N.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO 1977 Rz. 36, m. umf. N.).

Der Senat sieht keinen Anlaß, den BMF gemäß § 122 Abs. 2 Sätze 1 und 3 FGO zum Beitritt aufzufordern. Die im Streitfall anzuwendenden Rechtsnormen gelten zwar als partielles Bundesrecht fort. Der BMF ist jedoch an den Gesetzgebungsverfahren nicht beteiligt gewesen (vgl. zu Sinn und Zweck des § 122 Abs. 2 FGO BFH-Urteile vom 11. Februar 1994 III R 50/92, BFHE 173, 383, BStBl II 1994, 389, 392; vom 2. Juni 1992 VII R 35/90, BFH/NV 1993, 46, 47).

B. Revision des FA:

Die Revision des FA ist zulässig, jedoch unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Die vom FA form- und fristgerecht eingelegte Revision ist als selbständige Anschlußrevision zulässig (vgl. BFH-Urteil vom 3. Februar 1976 VIII R 156/74, BFHE 117, 573, 575, m. w. N.).

Das FA hat mit Schriftsatz vom 5. September 1994 wirksam Anschlußrevision eingelegt. Zwar hat es sein Rechtsmittel -- nach der vom Kläger mit Schriftsatz vom 27. August 1994 eingelegten Revision -- nicht als Anschlußrechtsmittel bezeichnet. Jedoch reicht eine Erklärung aus, die den Willen des Anschlußrevisionsklägers zum Ausdruck bringt, ebenfalls eine Änderung des angefochtenen Urteils zu erreichen. Im Streitfall hat das FA nicht nur die Zurückweisung der Revision des Klägers beantragt, sondern darüber hinausgehend die Bestätigung seines Steuerbescheides mit einer höheren als durch das FG anerkannten Steuerrate durch Anwendung eines anderen Steuertarifs (vgl. auch BFH-Urteil vom 21. August 1990 VIII R 25/86, BFHE 163, 524, BStBl II 1991, 564, 565).

Das FA ist durch das angefochtene Urteil materiell beschwert, weil nach dessen rechtskraftfähigem Inhalt der vom Kläger angefochtene Steuerbescheid betragsmäßig nicht in vollem Umfang bestätigt worden ist. Für die Zulässigkeit der vom FA eingelegten Revision ist es unerheblich, ob und mit welchen Ausführungen und Anträgen es den von ihm erlassenen Verwaltungsakt im finanzgerichtlichen Verfahren verteidigt hat (seit BFH-Beschlüssen vom 15. November 1971 GrS 7/70, BFHE 103, 456, BStBl II 1972, 120; vom 11. Dezember 1990 IX R 158/86, BFH/NV 1991, 391, m. umf. N., ständige Rechtsprechung).

Das angefochtene Urteil kann auch zugunsten des Anschlußrevisionsklägers und ggf. zum Nachteil des Hauptrevisionsklägers geändert werden. Wegen des Verböserungsverbotes kann dies jedoch nur im Rahmen des angefochtenen Verwaltungsakts geschehen (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz. 113 und 115). Das FA kann insbesondere grundsätzlich nicht beantragen, die Steuer höher als in dem angegriffenen Bescheid festzusetzen. Will es darüber hinaus eine höhere Steuerfestsetzung erreichen, so kann es gemäß §§ 132, 172 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 den Bescheid noch während eines finanzgerichtlichen Verfahrens, soweit die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift -- hier § 164 Abs. 2 AO 1977 -- gegeben sind, bzw. sogar noch nach Eintritt der Rechtskraft eines Urteils ändern (vgl. BFH- Beschluß vom 15. Juli 1975 VIII R 193/71, BFHE 116, 447, BStBl II 1975, 858, 859). Im finanzgerichtlichen Verfahren selbst kann das FA im öffentlichen Interesse lediglich Angriffe gegen den erlassenen Verwaltungsakt abwehren (vgl. BFHE 103, 456, BStBl II 1972, 120).

Streitgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren ist die Rechtmäßigkeit des festgesetzten Steuerbetrages, nicht die einzelne Besteuerungsgrundlage der Steuerfestsetzung (seit BFH-Beschlüssen vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344; in BFHE 116, 447, BStBl II 1975, 858, 859; BFH-Urteile vom 12. Mai 1989 III R 132/85, BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846, 847; vom 14. März 1989 I R 8/85, BFHE 156, 452, BStBl II 1989, 633, 634). Der anzuwendende Steuertarif ist ebenfalls nur ein nichtselbständig anfechtbarer Teil der Steuerfestsetzung i. S. des § 157 Abs. 2 AO 1977. Danach kann bis zur Höhe der im angefochtenen Steuerbescheid i. d. F. der Einspruchsentscheidung fest gesetzten Steuerrate auch vom FA die letztgenannte Frage im Wege einer Anschlußrevision zur gerichtlichen Prüfung gestellt werden (vgl. zur Saldierungstheorie von Groll/Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 65 Rz. 41, 45).

2. Die Revision des FA ist jedoch unbegründet.

Zutreffend hat das FG in Übereinstimmung mit der vom FA im Rahmen des angefochtenen Steuerbescheides und der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung die als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu behandelnde Auszahlung aus dem Reservefonds der PGH-F als Bestandteil der hauptberuflichen Tätigkeit für die PGH beurteilt mit der Folge, daß darauf der in Anlage 1 zum StÄndG DDR geregelte Grundtarif A anzuwenden ist.

a) Nach § 12 Abs. 1 StÄndG DDR haben Bürger, die außerhalb einer hauptberuflichen Tätigkeit auch nebenberufliche Einnahmen aus den in § 1 Abs. 1 StÄndG DDR genannten Einkommensteuerarten erzielen, die Einkommensteuer auf die Nebeneinkünfte unter Berücksichtigung des Gesamteinkommens nach der als Anlage 4 beigefügten Steuersatztabelle C zu zahlen.

Der Senat sieht die vom BMF in seinem Schreiben vom 17. September 1991 IV 2/IV B 1 -- S 2532 -- 81/91 (Steuererlasse in Karteiform, Organisation Nr. 29, zur Bearbeitung der Jahreserklärungen 1990 im Beitrittsgebiet) vorgenommene Auslegung des § 12 Abs. 1 StÄndG DDR als zutreffend an. Danach ist unter nebenberuflicher Tätigkeit i. S. des § 12 StÄndG DDR eine Tätigkeit zu verstehen, die in sich abgeschlossen ist und in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer ausgeübten hauptberuflichen Tätigkeit steht (ebenso Broudré/Gliesche, Besteuerung in den neuen Bundesländern, 1993, 2. Aufl., S. 114 Ziff. 13.6).

Das PGH-StG führt zwar in den §§ 7 und 8 die Einnahmen der Mitglieder aus der PGH einzeln auf. Die Auszahlungen aus dem Reservefonds sind nicht unter diese Regelungen einzuordnen. Indessen knüpft das StÄndG DDR nicht -- ausschließlich -- an das PGH-StG an. Vielmehr ist entsprechend dem umfassenderen Geltungsbereich des § 12 StÄndG DDR im Vergleich zu der durch § 15 4. Spiegelstrich StÄndG DDR zum 1. Januar 1990 außer Kraft getretenen speziellen Progressionsregelung in § 9 Abs. 2 PGH-StG für außerhalb der PGH erzielte Einkünfte weitergehend auf den wirtschaftlichen Zusammenhang der Nebeneinkünfte mit der Haupttätigkeit abzuheben.

Wie der Senat (vgl. A.2. b bb) ausgeführt hat, ist auch die Ausschüttung aus dem Reservefonds durch das Mitgliedschaftsverhältnis der Genossen bedingt und stellt deshalb einen Beteiligungsertrag dar. Der bestehende wirtschaftliche Zusammenhang wird nicht dadurch -- vollständig -- gelöst, daß der Reservefonds sozialistisches und damit unteilbares Eigentum verkörperte und mithin außerhalb der besonderen Voraussetzungen der UmwVO Auszahlungen satzungswidrig gewesen sind.

Der wirtschaftliche Zusammenhang wird auch dadurch deutlich, daß über die Ausschüttungen die Mitglieder beschlossen haben und die Höhe der Auszahlungsbeträge an die Dauer der Mitgliedschaft und u. U. weitere Kriterien anknüpfte (vgl. z. B. Hillmann, a.a.O., S. 271, m. w. N.).

Das Gesetz stellt zudem auf die hauptberufliche Tätigkeit ab und nicht darauf, welchen Einkunftsarten einzelne, daraus fließende Einnahmen steuerrechtlich zuzuordnen sind. § 12 Abs. 2 StÄndG DDR gewährt für Einnahmen aus bestimmten nebenberuflichen Tätigkeiten zusätzlich einen Steuerfreibetrag. Die Absätze 1 und 2 stehen sachlich in einem Zusammenhang. Auch wenn Abs. 1 nur Nebeneinkünfte bezeichnet, knüpfen beide Regelungen erkennbar an Tätigkeiten an, die gegeneinander nach ihrem wirtschaftlichen Zusammenhang abzugrenzen sind.

b) Im Streitfall hat das FG zu Recht verneint, daß der Kläger die Einkünfte aus Kapitalvermögen im Rahmen einer zusätzlich entfalteten nebenberuflichen Tätigkeit erzielt hat. Sie sind ihm vielmehr im Rahmen seines einheitlichen Mitgliedschaftsverhältnisses zugeflossen.

Danach war die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

C. Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Der Senat kann deshalb durch Urteil erkennen (§ 90 Abs. 2 i. V. m. § 121 Satz 1 FGO).

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger und das FA jeweils nach Maßgabe ihres Unterliegens mit ihren Rechtsmitteln nach §§ 135 Abs. 2, 136 Abs. 1 Satz 1 FGO zu tragen (vgl. BFH-Beschluß vom 24. März 1988 V R 126/81, BFH/NV 1989, 33, 36, m. umf. N.).

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 484

NWB 1997, 769

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