Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Prozeßkostenhilfe bei Versäumung der Klagefrist

 

Leitsatz (NV)

1. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn innerhalb der Klagefrist lediglich ein Antrag auf Prozeßkostenhilfe gestellt wird.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist ist unter diesen Umständen nicht zu gewähren.

3. Da die Klageerhebung im finanzgerichtlichen Verfahren nicht mit Kostenhindernissen verbunden ist, liegt für die minderbemittelte Partei eine Erschwerung der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung, welche eine Wiedereinsetzung von Verfassungs wegen erforderlich machen könnte, nicht vor.

 

Normenkette

FGO §§ 3, 47, 56, 64 Abs. 1, § 142; ZPO § 114

 

Tatbestand

Die Antragstellerin war bis Mitte 1980 als selbständige Architektin tätig. Sie ist verheiratet mit dem früheren Rechtsanwalt Dr. X.

Für das Streitjahr 1977 gab sie keine Steuererklärungen ab. Die Aufforderungen des Finanzamts (FA), die Steuererklärungen bis zum 31. März 1979 abzugeben, befolgte die Antragstellerin nicht. Nach Fristablauf schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen. Der Einspruch gegen den Gewerbesteuermeßbescheid blieb erfolglos.

Dagegen hat die Antragstellerin durch den Prozeßbevollmächtigten, ihren Ehemann Dr. X., damals noch als Rechtsanwalt tätig, Klage erhoben. Der Prozeßbevollmächtigte übersandte dem Gericht mit Schreiben vom 17. Januar 1980 eine von der Antragstellerin unterschriebene, auf ihn lautende Prozeßvollmacht. In der Folgezeit schied der Prozeßbevollmächtigte als Rechtsanwalt aus. Zum Abwickler wurde durch Verfügung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Y (OLG) vom 15. September 1980 VI 1176 gemäß § 55 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) der Rechtsanwalt Z bestellt.

Nachdem Rechtsanwalt Z trotz Aufforderung die Klage nicht näher begründete und den Hinweis, dem Gericht mitzuteilen, falls er die Antragstellerin nicht mehr vertrete, ebenfalls unbeantwortet ließ, wurde die Klage am 16. Juli 1981 durch Vorbescheid kostenpflichtig abgewiesen. Der Vorbescheid wurde Rechtsanwalt Z am 30. Juli 1981 durch Postzustellungsurkunde (PZU) zugestellt. Antrag auf mündliche Verhandlung wurde nicht gestellt, Rechtsmittel nicht eingelegt.

Am 4. und 12. Dezember 1982 beantragte die Antragstellerin beim FA, die Gewerbesteuerveranlagung 1977 nach der nunmehr vorgelegten Erklärung durchzuführen. Am 4. Januar 1983 wies das FA darauf hin, daß die gegen den Gewerbesteuermeßbescheid 1977 erhobene Klage am 16. Juli 1981 zurückgewiesen worden sei, und verwarf am 15. Januar 1985 den erneuten Einspruch vom 4. Dezember 1982 als unzulässig.

Die Antragstellerin beantragte daraufhin beim Finanzgericht (FG) mit Schreiben vom 8. Februar 1985 - eingegangen am 11. Februar 1985 - Prozeßkostenhilfe (PKH) für eine Klage gegen die Einspruchsentscheidung des FA vom 15. Januar 1985. Sie überreichte den Entwurf einer Klage und eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.

Das FG hat den Antrag abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer PKH seien nicht erfüllt. Es könne dahinstehen, ob die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung aufbringen könne, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Eine Klage gegen den Gewerbesteuermeßbescheid 1977 wäre unzulässig, weil die Klagefrist versäumt sei. Die Klage hätte spätestens am 19. Februar 1985 erhoben werden müssen. Der Antrag auf PKH genüge nicht zur Wahrung der Klagefrist. Die Antragstellerin könnte auch mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung keinen Erfolg haben. Eine Klage wegen des Gewerbesteuermeßbescheids 1977 wäre auch unbegründet, weil der strittige Gewerbesteuermeßbescheid 1977 rechtskräftig sei. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei der Vorbescheid wirksam zugestellt worden.Gegen diesen Beschluß hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 19. Juni 1985 - eingegangen beim Bundesfinanzhof (BFH) am 21. Juni 1985 - mit dem Antrag Beschwerde eingelegt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die begehrte PKH zu gewähren. Gleichzeitig bat sie für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens PKH zu bewilligen.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, in Anbetracht zeitgerecht und vollständig vorgelegter PKH-Unterlagen sei die beantragte PKH zu Unrecht versagt worden. Der Hinweis auf die angeblich schuldhafte Versäumung der Klagefrist könne die Ablehnung nicht tragen. Die PKH solle gewährleisten, daß eine arme Partei ihr Rechtsmittel mit den gleichen Chancen einlegen könne, wie sie einer vermögenden Partei zu Gebote stehen. Dies sei vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anerkannt und werde in der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf Grund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) entsprechend praktiziert. Für die Finanzgerichtsbarkeit sei eine andere Handhabung nicht gerechtfertigt. Die Klage habe auch Aussicht auf Erfolg, denn der Vorbescheid sei nicht wirksam zugestellt worden. Rechtsanwalt Z sei zu keiner Zeit Vertreter der Antragstellerin gewesen. Er habe dies auch selbst nicht behauptet. Der Ausgangspunkt des FG, Rechtsanwalt Z sei der gesetzliche Vertreter der Antragstellerin gewesen, sei damit nicht bestätigt und somit von Anfang an entfallen. § 55 BRAO lasse die gesetzliche Vertretungsmacht nur gelten, sofern die Partei nicht in anderer Weise gesorgt habe. Sachlich bestünden deshalb keine Bedenken, den Vorbescheid erneut zuzustellen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von PKH wird abgelehnt.

Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sie hat beim FG lediglich Antrag auf Bewilligung der PKH gestellt, ohne innerhalb eines Monats nach Zustellung der Einspruchsentscheidung auch Klage zu erheben (vgl. § 47 FGO). Die Antragstellerin könnte, auch wenn ihr PKH bewilligt würde, nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist erhalten; denn sie war nicht ohne Verschulden verhindert, die Klagefrist einzuhalten (vgl. § 56 FGO).

Die Antragstellerin meint zwar, das finanzgerichtliche Verfahren sei nicht durch Besonderheiten gekennzeichnet, die eine Klageerhebung vor Bewilligung der PKH erforderlich machen könnten. Sie verkennt dabei aber, daß der Kläger vor dem FG weder durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten sein noch daß im finanzgerichtlichen Verfahren Prozeßkostenvorschüsse geleistet werden müssen. Die Klage zum FG kann sogar zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts erhoben werden (vgl. § 64 Abs. 1 FGO). Damit stehen einer Klage zum FG keine Hindernisse entgegen, die deren fristgerechte Erhebung unmöglich oder unzumutbar machen würden.

Der Senat befindet sich mit dieser Auffassung in Übereinstimmung mit dem BFH-Beschluß vom 17. April 1985 II B 11/85 (BFH / NV 1985, 99). Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung II B 11/85 mit Beschluß vom 19. Februar 1986 1 BvR 919/85 mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Nach Auffassung des BVerfG ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß die FGe die Gewährung von PKH wegen Versäumung der Klagefrist versagt und dabei die rechtliche Möglichkeit einer Wiedereinsetzung nach § 56 Abs. 1 FGO verneint hätten. Da die Klageerhebung im finanzgerichtlichen Verfahren nicht mit Kostenhindernissen verbunden ist, liegt für die minderbemittelte Partei eine Erschwerung der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung, welche eine Wiedereinsetzung von Verfassungs wegen erforderlich machen könnte, nicht vor. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von dem BFH-Beschluß vom 3. April 1987 VI B 150/85 (BFHE 149, 409, BStBl II 1987, 573) ab. In dem dort entschiedenen Fall war der Antragsteller durch einen Rechtsanwalt vertreten, so daß bei Klageerhebung ein Kostenrisiko bestand, das im Streitfall nicht gegeben war.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 118 Abs. 1 Sätze 4, 5 ZPO, § 142 FGO, § 1 Abs. 1 Buchst. c, § 11 des Gerichtskostengesetzes).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415535

BFH/NV 1988, 461

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge