Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit; Begründung des Ablehnungsgesuchs; Verlust des Ablehnungsrechts

 

Leitsatz (NV)

1. Für die Beschwerde nach §§ 51 Abs. 1 Satz 1, 128 FGO i. V. m. § 46 Abs. 2 ZPO gibt es keine Begründungspflicht.

2. Das Gesuch auf Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit muß eine substantiierte Darlegung des Ablehnungsgrundes enthalten, da anderenfalls die Pflicht zur Glaubhaftmachung leerläuft.

3. Beraumt der Vorsitzende des FG -- in sachlich gleichgelagerten Fällen, in denen jeweils derselbe Steuerberater Prozeßbevollmächtigter ist -- 244 Termine in acht Verhandlungstagen an, läßt dies für sich gesehen nicht auf ein unsachliches Verhalten und damit auf Befangenheit schließen.

4. Ist ein Ablehnungsgesuch mangels ausreichender Darlegung von Befangenheitsgründen offensichtlich unzulässig, ist es nicht zu beanstanden, wenn die abgelehnten Richter bei der Entscheidung über das sie betreffende Gesuch mitgewirkt und keine dienstliche Äußerung abgegeben haben.

5. Die Begriffe "Anträge stellen" und "in die Verhandlung einlassen" (§ 43 ZPO) sind weit auszulegen. Daher kann ein Beteiligter einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn er, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, schriftsätzlich geänderte Sachanträge ankündigt und die Klagebegründung ergänzt bzw. umstellt.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1, § 128; ZPO §§ 43, 44 Abs. 3, § 46 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat gegen die Festsetzung der Einkommensteuer 1985 Klage erhoben. Er hat angeregt, das Gerichtsverfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem den Familienlastenausgleich betreffenden Normenkontrollverfahren ruhen zu lassen.

Unter dem 9. November 1992 wurde der Prozeßbevollmächtigte des Klägers zu der auf den 7. Dezember 1992 anberaumten mündlichen Verhandlung vor dem FG geladen. Mit Schriftsatz vom 11. November 1992, eingegangen bei Gericht am 23. November 1992, teilte der Kläger mit, daß der Klageantrag bezüglich des Grundfreibetrags nicht mehr aufrechterhalten werde; er werde in der mündlichen Verhandlung zusätzlich beantragen, den angefochtenen Steuerbescheid in der Weise zu ändern, daß die geltend gemachten Versicherungsbeiträge in voller Höhe berücksichtigt werden. Mit Telebrief vom 7. Dezember 1992 hat der Kläger "ergänzend zu den bereits gestellten Aussetzungsanträgen nach § 74 FGO" sinngemäß mitgeteilt, er werde die Klage im Falle eines negativen Ausgangs der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1220/88 zurücknehmen bzw. einschränken.

Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 1992 beantragte er, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben; der Prozeßbevollmächtigte sei "wegen privater und dienstlicher Verpflichtungen" verhindert gewesen, vor dem 7. Dezember 1992 die Akten einzusehen. Der Antrag, die Einspruchsentscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, werde nicht mehr aufrechterhalten. Der beabsichtigte Klageantrag werde dahin präzisiert, daß Versicherungsbeiträge in Höhe von 4 550 DM als Sonderausgaben geltend gemacht würden. Ferner lehne er die Richter ... wegen Befangenheit ab.

Das FG hat dem Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung entsprochen. Es hat mit Beschluß vom 7. Januar 1993 das Ablehnungsgesuch verworfen. Die vorgetragenen Befangenheitsgründe seien entweder nicht schlüssig (substantiiert) vorgetragen oder sie seien -- soweit ihnen "ein gewisser Tatsachenbezug nicht abgesprochen werden" könne -- "in einen falschen Sachzusammenhang gestellt". Das Ablehnungsgesuch habe fast ausschließlich verunglimpfenden Charakter und verfolge offensichtlich den Zweck, das Verfahren zu verzögern. Einer dienstlichen Äußerung der betroffenen Richter bedürfe es daher nicht; auch könne der Senat in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung entscheiden.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde, die er trotz diesbezüglicher Ankündigung nicht begründet hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, daß die Beschwerdeschrift keine eigenständige Begründung enthält. Für die Beschwerde nach §§ 51 Abs. 1 Satz 1, 128 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 46 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gibt es keine Begründungspflicht (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. Januar 1988 VII B 166/87, BFH/NV 1988, 579, m. w. N.).

2. Der Senat läßt dahingestellt, ob die Beschwerde, die am 8. Februar 1993 beim FG eingegangen ist, rechtzeitig erhoben und damit zulässig ist. Zweifel an der Zulässigkeit ergeben sich insofern, als der Beschluß ausweislich eines Vermerks in den Gerichtsakten am 15. Januar 1993 versandt worden ist. Demgegenüber bekundet der Prozeßbevollmächtigte in dem Empfangsbekenntnis über die Zustellung, er habe den Beschluß erst am 26. Januar 1993 empfangen. Es ist fraglich, ob dieses Empfangsbekenntnis den Anforderungen des § 5 Abs. 2 2. Halbsatz des Verwaltungszustellungsgesetzes (i. V. m. § 53 Abs. 2 FGO) entspricht, da es möglicherweise nicht mit der Unterschrift, sondern nur mit der Paraphe des Prozeßbevollmächtigten versehen ist.

3. Jedenfalls hat das FG das Ablehnungsgesuch zu Recht verworfen, da der Kläger die Ablehnungsgründe nicht schlüssig und nachvollziehbar dargelegt hat (unten a). Darüber hinaus hat der Kläger sein Ablehnungsrecht vor Einreichung des Ablehnungsantrags verloren (unten b).

a) Das Ablehnungsgesuch war unzulässig, weil der Kläger vor Entscheidung über seinen Antrag einen Ablehnungsgrund nicht prozeßordnungsgemäß dargelegt hat. Das Gesuch muß neben der Bezeichnung der abgelehnten Richter auch eine substantiierte Darlegung des Ablehnungsgrundes enthalten, denn andernfalls läuft die Pflicht zur Glaubhaftmachung leer (BFH-Beschluß vom 13. September 1991 IV B 147/90, BFH/NV 1992, 320; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 51 Anm. 23, m. w. N.).

Der Schriftsatz vom 4. Dezember 1992 entspricht diesen prozessualen Anforderungen nicht. Die "objektive Tatsache der Anberaumung von 244 Terminen zur mündlichen Verhandlung" in acht Verhandlungstagen (30. September bis 3. Dezember 1991) läßt für sich gesehen nicht auf ein unsachliches Verhalten und damit auf die Befangenheit des Vorsitzenden schließen. Dessen Vorgehensweise und die Kürze der Verhandlungstermine sind aus seinen Rechtsauffassungen zu den jeweils einschlägigen Verfahrensfragen begründet (vgl. BFH-Beschluß vom 11. August 1992 III B 101/92, BFH/NV 1993, 309). Der Kläger hat auch nicht im einzelnen dargelegt, in welchen Punkten er den Beschluß des FG vom 14. November 1991 (Betriebs- Berater -- BB -- 1992, 126 f.) beanstandet. Ferner hat er den Inhalt des vom Richter am FG A gefertigten Aktenvermerks, der seiner Auffassung nach in die Würdigung der Befangenheit des Vorsitzenden Richters am FG B "einbezogen" werden müsse, nicht wiedergegeben. Er hat weiterhin nicht schlüssig dargetan, inwiefern im Zusammenhang mit einer Strafanzeige vom 15. November 1991 ein Grund vorläge, der geeignet wäre, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit der Richter A, B und D zu rechtfertigen.

Im übrigen ist die pauschale Ablehnung der Richter A und D mit der Begründung, sie hätten sich vom Verhalten des Vorsitzenden Richters B nicht distanziert, mißbräuchlich und damit unbeachtlich.

Da das Ablehnungsgesuch mangels ausreichender Darlegung von Befangenheitsgründen offensichtlich unzulässig war, ist es nicht zu beanstanden, wenn die abgelehnten Richter bei der Entscheidung über das sie betreffende Gesuch mitgewirkt und keine dienstliche Äußerung (§ 51 FGO i. V. m. § 44 Abs. 3 ZPO) abgegeben haben (vgl. BFH-Beschluß vom 27. März 1992 VIII B 31/91, BFH/NV 1992, 619, unter 3.).

b) Ein Beteiligter kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn er sich bei ihm, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 51 FGO i. V. m. § 43 ZPO). Die Begriffe "in eine Verhandlung einlassen" und "Anträge stellen" werden weit ausgelegt (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50). "Anträge" sind -- auch schriftliche -- Sachanträge im sachlichen Zusammenhang mit der angeforderten Klagebegründung (vgl. BFH-Beschluß vom 12. Juli 1988 IX B 188/87, BFH/NV 1989, 237) sowie grundsätzlich auch Prozeßanträge (Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Anm. 32). Zweck des § 43 ZPO ist es, den Ablehnungsberechtigten zu veranlassen, sich gleich nach Kenntnis des Befangenheitsgrundes zu entscheiden, ob er sich darauf berufen will. Ob ein Richter am Verfahren mitwirken darf, soll nicht in der Schwebe bleiben (BFH/NV 1994, 50).

Der Kläger hat sein Ablehnungsgesuch auf Befangenheitsgründe gestützt, die ihm bzw. seinem Prozeßbevollmächtigten, dessen Kenntnis er sich zurechnen lassen muß, bereits seit längerem bekannt waren. Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 11. November 1992 geänderte Sachanträge angekündigt und die Klagebegründung ergänzt bzw. umgestellt hatte, ohne die ihm bekannten Befangenheitsgründe geltend zu machen, hat er bezüglich dieser Gründe das Ablehnungsrecht verloren.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 122

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