Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer Ersatzzustellung bei Steuerbevollmächtigtem

 

Leitsatz (NV)

Eine Familienangehörige, die außer als Botin und Raumpflegerin auch Schreibarbeiten in der Kanzlei eines Steuerbevollmächtigten erledigt, ist "Gehilfe" im Sinne des §183 ZPO.

 

Normenkette

VwZG § 3 Abs. 3; ZPO § 183 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben mit Schriftsatz vom 27. November 1995 Klage erhoben; dem Schriftsatz war eine Prozeßvollmacht nicht beigefügt. Nach erfolgloser Aufforderung zur Vorlage der Vollmachten setzte das Finanzgericht (FG) gemäß §62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Ausschlußfrist zur Vorlage schriftlicher Originalvollmachten bis zum 30. Januar 1996. Mit Fristablauf wurden die Vollmachten per Telefax übermittelt. Die Originale der Vollmachten sind erst am 2. Februar 1996 beim FG eingegangen.

Die Kläger wurden vom FG auf die mögliche Unzulässigkeit der Klage hingewiesen und begehrten darauf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nachdem die Kläger zur mündlichen Verhandlung geladen waren, beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über seine Arbeitsunfähigkeit wegen eines Achillessehnenrisses schließlich zweimal erfolglos die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung. Der zweite Verlegungsantrag wurde in der mündlichen Verhandlung abgelehnt.

Das FG wies die Klage durch den Einzelrichter unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. November 1995 VII R 63/95 (BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105) als unzulässig zurück, weil eine Vollmacht fristgerecht im Original vorzulegen sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Prozeßbevollmächtigte die gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt nicht beachtet habe. Den Anträgen auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung habe das Gericht nicht folgen müssen. Die geltend gemachten Gründe seien nicht in ausreichender Weise glaubhaft gemacht worden. Aus der vorgelegten Bescheinigung habe sich nicht ergeben, daß der Prozeßbevollmächtigte am 24. Mai 1996 nicht in der Lage gewesen sei, den Termin wahrzunehmen. Die Bescheinigung habe ausdrücklich eine Ausgeherlaubnis enthalten.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger Mängel i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 3 und 5 FGO.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision ist nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsfrist ein Mangel i. S. des §116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., §116 Rz. 3, m. w. N.). Die Kläger haben jedoch weder einen Mangel nach §116 Abs. 1 Nr. 3 FGO noch einen solchen nach §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO schlüssig gerügt.

1. §116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geht davon aus, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war, weil das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch den Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat (Senatsbeschluß vom 27. Januar 1988 IV R 14/86, BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447). Ein Fall fehlender Vertretung liegt insbesondere vor, wenn der Kläger oder sein Prozeßbevollmächtigter nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948, und BFH-Beschluß vom 11. April 1978 VIII R 215/77, BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401), nicht aber, wenn das FG einen Antrag auf Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung ablehnt und die mündliche Verhandlung ohne den Kläger oder seinen Prozeßbevollmächtigten durchführt; diese Rüge begründet allenfalls den absoluten Revisionsgrund der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör i. S. des §119 Nr. 3 FGO, der in der Aufzählung der Gründe für die zulassungsfreie Revision (§116 FGO) nicht enthalten ist (vgl. zuletzt Senatsbeschluß vom 29. Juni 1994 IV R 40/94, IV R 41/94, IV R 42/94, BFH/NV 1995, 137, m. w. N.).

a) Im Streitfall ist der Prozeßbevollmächtigte der Kläger ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Die Kläger haben insoweit vorgetragen, die Ladung ihres früheren Prozeßbevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil die erforderliche Aufforderung zum Erscheinen gefehlt habe und die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung nach §183 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht beachtet worden seien; die Ladung sei der Mutter des Prozeßbevollmächtigten zugestellt worden, die u. a. Schreibarbeiten verrichte sowie als Botin und Raumpflegerin nur untergeordnete Tätigkeiten wahrgenommen habe und deshalb keine Gewerbegehilfin i. S. des §183 Abs. 1 ZPO sein könne. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Das FG hat bei Vorbereitung und Durch führung der mündlichen Verhandlung nicht gegen Verfahrensvorschriften verstoßen. Es hat die Ladung zur mündlichen Verhandlung unter Einhaltung der gesetzlich vor geschriebenen Frist des §91 Abs. 1 FGO verfügt und den nach §91 Abs. 2 FGO vorgesehenen Hinweis aufgenommen. Wie das FA zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich die Aufforderung, den Termin wahrzunehmen, ohne weiteres aus der Bezeichnung der Verfügung als Ladung und dem Hinweis, daß auch ohne Erscheinen des Geladenen verhandelt werden könne. Wie die Anträge auf Terminsverlegung zeigen, hat der frühere Prozeßbevollmächtigte die ihm zugestellte Verfügung auch als Aufforderung zum Erscheinen verstanden.

b) Diese Ladung ist dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 25. April 1996 mit Postzustellungsurkunde im Wege der Ersatzzustellung zugestellt worden.

Für die Zustellung durch den Postbediensteten gelten nach §3 Abs. 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) die Vorschriften der §§180 bis 186 und 195 Abs. 2 ZPO. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist die Ersatzzustellung an einen Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten nicht nach der für Rechtsanwälte, Notare und Gerichtsvollzieher maßgebenden Vorschrift des §183 Abs. 2 ZPO zu beurteilen, sondern nach der Regelung des §183 Abs. 1 ZPO zur Zustellung an Gewerbetreibende, die an einen "Gewerbegehilfen" im "Geschäftslokal" erfolgen kann, wenn der Geschäftsinhaber nicht angetroffen wird (Senatsurteile vom 15. Mai 1975 IV R 100/71, BFHE 116, 90, BStBl II 1975, 791, und vom 18. März 1982 IV R 48/81, juris). Gewerbetreibende i. S. des §183 Abs. 1 ZPO sind danach Personen, die eine auf Entgelt gerichtete Tätigkeit selbständig und auf eigene Rechnung ausüben. Hierunter fallen auch -- mit Ausnahme der in §183 Abs. 2 ZPO genannten Rechtsanwälte und Notare -- die freiberuflich Tätigen (BFH IV R 48/81, a.a.O.; s. auch Zöller, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl. 1997, §183 Rz. 2). Im Gegensatz hierzu wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, den Erfordernissen der Praxis und dem Gesetzeszweck entspreche es, die Vorschrift des §183 Abs. 2 ZPO im Wege der Analogie auch auf andere Berufe auszudehnen, die wie Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte aber auch Wirtschaftsprüfer Praxen unterhalten (§34 des Steuerberatungsgesetzes; §3 der Wirtschaftsprüferordnung), häufig Zustellungsempfänger sind, und deren Geschäftspersonal über die Bedeutung von Zustellungen unterrichtet sein muß (Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §3 VwZG Rz. 8 a. E., m. w. N.).

Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Ersatzzustellung nach §183 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO zu beurteilen ist, weil die nach dem Vortrag der Kläger auch für Schreibarbeiten zuständige Mutter des Prozeßbevollmächtigten nicht nur als "Schreiber" im Sinne des §183 Abs. 2 ZPO anzusehen wäre, sondern auch "anwesende Gehilfin" im Sinne beider Absätze des §183 ZPO ist. Zwar sind reine Boten (Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 19. September 1961 VIII B 59.61, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1962, 70, 71) oder Raumpflegerinnen (Zöller, a.a.O., §183 Rz. 4) keine Gehilfen im Sinne dieser Vorschriften, denn der Gehilfe muß eine "gewisse Vertrauensstellung" innehaben (BVerwG in NJW 1962, 70). Dies aber ist bei einem mitarbeitenden Familienangehörigen, der Schreibarbeiten erledigt, auch dann der Fall, wenn dieser daneben noch untergeordnete Hilfsdienste verrichtet. Daß die Mutter des Prozeßbevollmächtigten eine Vertrauensstellung innehatte, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß sie im Streitfall außer der Ladung zur mündlichen Verhandlung auch die zuvor zugestellte Aufforderung zur Vorlage der Vollmacht entgegengenommen hatte.

c) Auch insoweit haben die Kläger einen Zustellungsmangel gerügt. Die fehlerhafte Zustellung einer fristsetzenden Aufforderung zur Vorlage der Vollmacht gehört aber nicht zu den in §116 Abs. 1 FGO genannten Gründen, die eine zulassungsfreie Revision eröffnen. Selbst wenn daher die vom BFH auch im Rahmen des §116 Abs. 1 FGO von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung der Vorlage einer Vollmacht (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., §116 Tz. 4, m. w. N.) bejaht werden könnte, würde dies nicht zur Zulassung der Revision führen, solange nicht einer der in §116 Abs. 1 FGO genannten Gründe vorliegt.

2. Der Vortrag der Kläger, das angefochtene Urteil lasse nicht eindeutig erkennen, worauf das Verschulden des früheren Prozeßbevollmächtigten gestützt werde, ergibt nicht schlüssig einen Verfahrensmangel i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.

Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe zwar nicht nur dann, wenn die Entscheidung überhaupt nicht mit Gründen versehen ist. Diese Voraussetzung ist vielmehr auch dann erfüllt, wenn das FG seine Entscheidung hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunkts nicht begründet hat (BFH-Urteile vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 592; vom 15. April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195, und BFH-Beschlüsse vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351; vom 20. November 1990 IV R 80/90, BFH/NV 1991, 609, und vom 17. März 1992 IV R 51/91, BFH/NV 1992, 617).

Entgegen dem Vortrag der Kläger hat sich das FG durchaus mit der Frage des Verschuldens bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Ausschlußfrist zur Vorlage der Vollmacht befaßt. Es hat -- wenn auch in gedrängter Form -- ausgeführt, "trotz ausdrücklicher Aufforderung, die Original-Vollmacht innerhalb der Ausschlußfrist dem Gericht einzureichen", habe der damalige Prozeßbevollmächtigte der Kläger "die ihm erteilten schriftlichen Vollmachten nicht im Original vorgelegt, sondern nur durch Telefax übermittelt". Damit hat das FG hinreichend deutlich gemacht, daß es das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten allein in der Nichtbeachtung der konkreten Aufforderung zur Vorlage der Originalvollmacht gesehen hat, ein Umstand, der auch nach der Rechtsprechung des Senats von entscheidender Bedeutung ist (Senatsurteil vom 14. März 1996 IV R 44/95, BFHE 179, 569, BStBl II 1996, 319). In dieser Entscheidung hat der Senat u. a. auch deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, weil der Kläger jenes Verfahrens nicht auf die Notwendigkeit der Vorlage einer Originalvollmacht hingewiesen worden war. Soweit die Kläger weiter geltend machen, das FG habe sich mit dem Gesichtspunkt eines Rechtsirrtums über eine unklare Verfahrensfrage auseinandersetzen müssen, sind sie lediglich mit dem Ergebnis der Ausführungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht einverstanden. Damit rügen sie letztlich aber eine unzutreffende Rechtsanwendung, auf die eine zulassungsfreie Revision nach §116 Abs. 1 FGO nicht gestützt werden kann. Ein Mangel im Sinne des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO wie des §119 Nr. 6 FGO liegt nämlich auch dann nicht vor, wenn im angefochtenen Urteil Gründe übergangen sind, die das Gericht zwar hätte bedenken müssen, die es tatsächlich aber nicht bedacht hat (Gräber/Ruban, a.a.O., §119 Tz. 25, m. w. N.).

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 2

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