Kartellrechtsreform: Das Kartellamt soll gestärkt werden

Am 6.7.2023 hat der Bundestag die 11. GWB-Novelle verabschiedet. Damit werden die Befugnisse des Bundeskartellamtes zum Einschreiten gegen Marktstörungen und Konzentrationstendenzen deutlich erweitert.

Mit dem Gesetz will das BMWK mehr Wettbewerb schaffen und insbesondere die Chancen von Start-ups und KMU verbessern. Dies soll zu mehr Innovation führen, sich positiv auf die Preisentwicklung auswirken und damit letztlich den Verbrauchern zugute kommen.

GWB als Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft

Das GWB gilt als das wirtschaftliche „Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft“, da es das Verhältnis der Marktteilnehmer im Wettbewerb untereinander regelt. Über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln wacht das Bundeskartellamt. Dessen Instrumentarium soll durch die Gesetzesnovelle künftig deutlich erweitert werden. Im Ergebnis erhält das Bundeskartellamt zusätzliche Befugnisse.

Neuregelung der Sektoruntersuchung

Eine wesentliche Neuerung betrifft die Sektoruntersuchung und die Möglichkeiten des Bundeskartellamtes im Anschluss an eine Sektoruntersuchung. Derzeit dauern Sektoruntersuchungen aufgrund der Komplexität der Materie oft mehrere Jahre. Nach § 32f Abs. 7 GWB n.F. soll die Dauer künftig auf 18 Monate begrenzt werden.

Erweiterung der Kartellamtsbefugnisse

Stellt das Bundeskartellamt im Rahmen seiner Sektoruntersuchung eine Wettbewerbsstörung fest, erstellt es nach bisherigem Recht einen Abschlussbericht, auf den Politik und Wirtschaft reagieren können oder auch nicht. Künftig erhält das Bundeskartellamt das Recht, verschiedene Maßnahmen zur Beseitigung von Marktstörungen unmittelbar anzuordnen. So kann das Bundeskartellamt künftig gemäß § 32f Abs. 3 GWB n.F. durch geeignete Maßnahmen den Marktzutritt in bestimmten Sektoren erleichtern und geeignete Maßnahmen zur Begrenzung von Konzentrationstendenzen ergreifen.

Die neuen Befugnisse im Einzelnen

Zu den neuen Befugnissen des Kartellamtes nach § 32f Abs. 3 GWB n.F. gehören:

  • Die Anordnung der Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen für neue Wettbewerber,
  • Anordnungen zur Anmeldung oder Gestaltung von Geschäftsbeziehungen auf den betroffenen Märkten,
  • Anordnungen zur Einführung transparenter Standards und Normen im Rahmen von Geschäftsbeziehungen,
  • Anordnungen zur Sicherstellung der Interoperabilität von Produkten,
  • die Anordnung zur organisatorischen Trennung von Unternehmensbereichen und
  • als Ultima Ratio in Extremfällen die Anordnung der Entflechtung von Unternehmen, dies allerdings beschränkt auf marktbeherrschende Unternehmen.

Sämtliche neuen Maßnahmen stehen unter einem strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, d.h. sie dürfen nur eingeleitet werden, wenn mildere Mittel zur Behebung der Marktstörung nicht erfolgversprechend sind.

Wann liegt eine Störung des Marktes vor?

§ 32f Abs. 5 GWB n.F. präzisiert die Fälle, in denen eine Störung des Marktes vorliegt und nennt 4 Fallgruppen:

  • Marktmacht eines Unternehmens infolge deutlich weniger marktmächtiger Zulieferer und/oder Kunden,
  • besondere Marktmacht infolge einer Beschränkung des Marktzutritts für neue Wettbewerber oder andere Anbieter,
  • Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch ausdrückliche oder stillschweigende Abstimmung von Unternehmen,
  • Marktmacht infolge von Abschottungsstrategien durch Verträge oder Verflechtungen.

Eine Marktstörung berechtigt das Bundeskartellamt gemäß § 32f Abs. 3 GWB n.F. zum Einschreiten, wenn sie entweder auf einem bundesweiten Markt oder auf mehreren regionalen Märkten festgestellt wird.

Wettbewerbsstörer als Verfügungsadressat

Adressaten einer Kartellamtsverfügung können alle Unternehmen sein, die durch ihr Verhalten zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen. Ausnahmen sind nach § 32 f Abs. 8 für regulierte Märkte insoweit vorgesehen (Bahn, Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze, Post und Telekommunikation), als Maßnahmen dort nur im Einvernehmen mit der Bundesnetzagentur ergriffen werden dürfen.

Erleichterte Vorteilsabschöpfung

Die bisher hohen rechtlichen Hürden für die Abschöpfung der aus Kartellrechtsverstößen entstandenen finanziellen Vorteile für Unternehmen werden deutlich gesenkt. Eine Abschöpfung durch das Bundeskartellamt ist nach geltendem Recht noch in keinem Fall erfolgt. Insbesondere die extrem komplizierte Berechnung des unternehmerischen Vorteils aus einem Kartellrechtsverstoß gilt als entscheidendes Hindernis.

  • In Zukunft soll eine Vermutung dafür sprechen, dass das Unternehmen pauschal einen Vorteil in Höhe von einem Prozent seiner Inlandsumsätze erzielt hat. Dabei sollen nur Produkte oder Dienstleistungen berücksichtigt werden, die mit dem Kartellrechtsverstoß in Zusammenhang stehen.
  • Im Übrigen kann die Höhe des erzielten wirtschaftlichen Vorteils auf der Grundlage einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit geschätzt werden.
  • Maximal darf eine Abschöpfung in Höhe von 10 % des Jahresumsatzes erfolgen.

Effektivere Durchsetzung des DMA

Schließlich enthält das Bundeskartellamt gemäß § 32g GWB n.F. die Möglichkeit, die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des „Digital Markets Act“ (DMA) zu unterstützen, der die Freiheiten der digitalen „Gatekeeper“ seit Mai 2023 beschränkt. Auch Privatklagen gegen DMA-Verstöße werden erleichtert.

Rechtsbehelfe der Unternehmen haben aufschiebende Wirkung

Die Gesetzesnovelle sieht für Unternehmen, die von Maßnahmen des Kartellamtes betroffen sind, diverse Abwehrmöglichkeiten vor. Unternehmen können sich sowohl gegen die Feststellung einer Störung des Marktes als auch gegen jede einzelne Abhilfemaßnahme wenden. Entsprechende Beschwerden haben aufschiebende Wirkung. In der Praxis werden Unternehmen Maßnahmen des Bundeskartellamts so lange nicht umsetzen müssen, bis Gerichte abschließend über ihre Beschwerde entschieden haben. Dies gilt auch für eine mögliche Entflechtungsverfügung.

Hinweis:

Die durch die Novelle erweiterten Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamtes passen zu einer kürzlichen Entscheidung des EuGH, die ebenfalls zu einer Stärkung des Bundeskartellamtes geführt hat. Laut EuGH hat das Bundeskartellamt nach der DSGVO die Befugnis, auch aus Gründen des Datenschutzes gegen ein Unternehmen einzuschreiten. Der EuGH stellte klar: Eine Wettbewerbsbehörde ist bei der Prüfung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nicht auf rein wettbewerbsrechtliche Vorschriften beschränkt, vielmehr dürfen die Behörden Maßnahmen auch auf die Regelungen der DSGVO stützen (EuGH, Urteil v. 4.7.2023, C-252/21). Die Macht des Bundeskartellamtes dürfte in Zukunft also insgesamt stärker als bisher zu spüren sein.



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