Rn 9

In II geregelte spezielle Rechtfertigungsgründe für die Festlegung von Prämien und Leistungen in Privatversicherungsverhältnissen iSd § 19 I Nr 2 gehen I vor. Der Gesetzgeber berücksichtigt damit, dass im Privatversicherungswesen individuelle Risikoprüfungen sowie entsprechende Differenzierungen notwendig sein können (Armbrüster VersR 06, 1300). II 2 unterscheidet zwischen Religion, Behinderung, Alter und sexueller Identität. Rechtfertigung einer Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder ethnischer Herkunft scheidet aus (Rn 1 f, § 19 Rn 8), ebenso seit 21.12.12 Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts (Rn 10). Eine zulässige Ungleichbehandlung kann sich auf Ob und Wie des Versicherungsverhältnisses beziehen (Grüneberg/Grüneberg § 20 Rz 8).

 

Rn 10

Ursprünglich erlaubte II 1 aF uU eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts bei Prämien oder Leistungen aufgrund von Art 5 II RL 2004/113/EG. Die Regelung war jedoch ab 21.12.12 unwirksam wegen Verstoßes gegen Art 21 und 23 Grundrechtecharta der EU (EuGH NJW 11, 907 – Test-Achats; zu dem Urt Anwendungsleitlinien der EU-Kommission K (2011) 9497; Hoffmann ZIP 11, 1445; Mönnich VersR 11, 1092) und wurde daher rückwirkend zum 21.12.12 gestrichen (Art 8 und 10 G v 3.4.2013, BGBI I S 610, 615). Geschlechtsneutrale Prämien und Leistungen sind nunmehr zwingend (§ 19 I 2). II 1 aF gilt gem § 33 V nur noch für vor dem 21.12.12 geschlossene Verträge (Beyer/Britz VersR 13, 1219; aA Purnhagen NJW 13, 113). II 1 nF war ursprünglich als sozialpolitisch motivierte Ausnahme gedacht: für Frauen sollen aufgrund von Schwangerschaft und Mutterschaft keine anderen Bedingungen gelten als für Männer (BTDrs 16/1780, 45; RL 2004/113/EG, Art 5 III, Erwägungsgrund Nr 20). Rücktritt/Kündigung des Versicherers wegen verschwiegener Schwangerschaftskomplikationen ist deshalb eine unzulässige Benachteiligung (Hamm NJW-RR 11, 762 [OLG Hamm 12.01.2011 - I-20 U 102/10]).

 

Rn 11

Über 2 können Ungleichbehandlungen wegen Religion, Behinderung, Alter oder sexueller Identität gerechtfertigt sein, wenn sie auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruhen (iE BKG § 20 Rz 15 ff). Dazu sind bestimmte Berechnungsgrundlagen, mathematische Formeln, kalkulatorische Herleitungen, uU auch statistische Grundlagen (zB Sterbetafeln) heranzuziehen (vgl §§ 11, 65 VAG sowie darauf beruhende Rechtsverordnungen, § 341f HGB; BTDrs 16/1780, 45; vgl auch Armbrüster VersR 06, 1297, 1300; zur Darlegungs- und Beweislast s Rn 12). Risikomerkmale müssen zu vertretbaren Kosten statistisch erfassbar sein und einen deutlichen statistischen Zusammenhang mit der Schadenserwartung aufweisen (BTDrs 16/1780, 45). Verstöße gegen Prinzipien risikoadäquater Kalkulation berühren die Wirksamkeit der Vereinbarung (Thüsing/v Hoff VersR 07, 7). Die Täuschung über eine Behinderung berechtigt Versicherer jedoch weiterhin zur Anfechtung (BGH NJW 11, 3151 [BGH 13.07.2011 - XII ZR 189/09]).

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