Vertragsfreiheit: Rechtsgrundsätze und Grenzen

Im deutschen Zivilrecht ist die Vertragsfreiheit ein wichtiger, vom GG gestützter Rechtsgrundsatz. Diese Freiheit wird jedoch teilweise eingeschränkt, etwa wenn eine Monopolstellung besteht oder durch das AGG. Was sind ihre Ausprägungen und Grenzen und wie sieht zur Zeit der Pandemie mit der Vertragsfreiheit und der Bevorzugung Geimpfter aus?

Die Vertragsfreiheit ist ein wichtiges zivilrechtliches Grundprinzip und eine Konsequenz aus der Privatautonomie. Sie ist grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet und schützt das Recht des Einzelnen, sein Verhalten nach eigener Entscheidung zu gestalten. Der Schutz  erfasst die Freiheit des Abschlusses oder Nichtabschlusses eines privatrechtlichen Vertrages und seine Gestaltung. Ein Kontrahierungszwang, d.h. die Pflicht einen Vertrag abzuschließen, besteht nur in seltenen Ausnahmefällen.

Inhalt und Grenzen der Vertragsfreiheit 

Die Vertragsfreiheit gestattet es dem Einzelnen, Verträge abzuschließen oder auch nicht und dabei den Vertragsgegenstand und den Vertragspartner frei zu bestimmen. Der Vertrag darf allerdings nicht gegen gesetzliche Bestimmungen und Wertungen wie z.B. gegen die guten Sitten verstoßen.

Einschränkungen können sich insbesondere aus dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ergeben. Das Verbot soll die Diskriminierung von Minderheiten verhindern und beruht auf dem Grundsatz der Menschenwürde.

Vertragsfreiheit und AGG

Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet und sanktioniert Benachteiligungen von Personengruppen. Das gilt nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch im Privatrecht. Das Benachteiligungsverbot erfasst aber nicht alle Arten von Verträgen, sondern ist auf die in § 2 Abs. 1 AGG genannten Bereiche begrenzt

Außerhalb des Arbeitsrechts sind hier insbesondere Ziffer 7 (Bildung) und Ziffer 8 von Bedeutung: der Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum. Verstöße gegen das AGG können rechtliche Sanktionen, insbesondere Schadenersatzansprüche, nach sich ziehen. Nach § 21 Abs. 2 AGG besteht auch ein Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung. 

Ausnahmen von der Vertragsfreiheit durch Verträge mit Kontrahierungszwang


  • Verträge zur Daseinsvorsorge

Einem Kontrahierungszwang unterliegen in der Regel Unternehmen, welche Verträge zur Daseinsvorsorge abschließen, wie z.B. Stromanbieter (§ 17 EnWG), Postdienstleister wie die Deutsche Post AG (§ 3 PDLV) oder hinsichtlich der Beförderungspflicht öffentlicher Eisenbahnen und anderer Verkehrsunternehmen wie Taxi, Busse und Straßenbahnen im öffentlichen Linienverkehr (§ 10 AEG, § 22 PBefG).

  • Versicherungen

Ebenso gilt dies für die Kfz-Haftpflicht (§ 5 PflVG) und die gesetzlichen Krankenversicherungen. Im Basistarif besteht ein Kontrahierungszwang auch für die privaten Krankenversicherungen (§ 193 Abs. 5 S. 5 VVG). Daher sind diese ebenso verpflichtet, alle Personen aufzunehmen, welche die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, unabhängig von deren Alter und Gesundheitszustand.

  • Sparkassen /Banken

In einigen Bundesländern, wie Bayern (§ 5 Abs. 2 SPKO), Hessen (§ 2 Abs. 4 SparkG HE), Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen sowie allen ostdeutschen Bundesländern außer Berlin sehen die einzelnen Sparkassengesetze und -verordnungen eine Verpflichtung der Sparkassen zur Eröffnung eines Girokontos auf Guthabenbasis (sog. Jedermann-Konto) vor. In den übrigen Bundesländern besteht nur eine nicht rechtlich verbindliche Selbstverpflichtung der Banken, ein solches Konto für jeden Bürger anzubieten.

Vertragsfreiheit und Verbraucherschutz

Zwingende Vorschriften, welche die Vertragsfreiheit einschränken, gibt es hauptsächlich zum Schutz der Verbraucher bezüglich notwendiger Güter und Dienstleistungen, insbesondere auch bei Monopolen (einziger Lebensmittelhändler am Ort). Sie finden sich aber auch in anderen gesetzlichen Vorschriften zum Schutze andere Gruppierungen ( z.B. Behinderung, Alter, sexuelle Identität oder Geschlecht). 

Ausprägungen der Vertragsfreiheit

Einzelne Gesichtspunkte der Vertragsfreiheit sind die Abschluss-, Form-, Inhalts- und Aufhebungsfreiheit:

Handschlag mit Vertrag auf Tisch

Abschlussfreiheit und Partnerwahlfreiheit

Unter der Abschlussfreiheit versteht man die Freiheit, überhaupt einen Vertrag abzuschließen oder nicht. Grundsätzlich ist man auch hinsichtlich des Vertragspartners frei (Partnerwahlfreiheit). Die Abschlussfreiheit wird lediglich durch eine gesetzlich auferlegte Pflicht zur Annahme eines Vertragsangebotes, dem Kontrahierungszwang (Abschlusszwang, lateinisch: contrahere, einen Vertrag abschließen), eingeschränkt.

Mittelbarer Kontrahierungszwang

Ein mittelbarer Kontrahierungszwang besteht, wenn sich die Abschlusspflicht nicht direkt aus dem Gesetz ergibt. Dies ist beispielsweise bei wichtigen Gütern des Wirtschaftslebens und bei sachlich ungerechtfertigter und sittenwidriger Ablehnung des Nachfragers durch marktbeherrschende Unternehmen mit Monopolstellung der Fall.

Hier besteht aber lediglich mittelbar eine Verpflichtung zum Vertragsabschluss, welche sich aus § 826 BGB ableitet und bei einem Verstoß einen Anspruch auf Schadenersatz bereithält. Ebenso gilt dies auf dem kulturellen Gebiet wie z.B. Theater oder städtischen Schwimmbad.

Formfreiheit und Inhaltsfreiheit

Grundsätzlich sind schuldrechtliche Verträge formfrei. Ein mündlich geschlossener Vertrag reicht daher aus. Von diesem Grundsatz gibt aber es auch zahlreiche Ausnahmen. Dies betrifft besonders solche Geschäfte, bei welchen aufgrund ihrer risikoreichen Folgen die Form als Warnung und zur Beweissicherung dienen soll (z.B. Schenkungsversprechen § 518 Abs. 1 BGB, Bürgschaftserklärungen § 766 S. 1 BGB oder bei Grundstücksgeschäften).

Die Inhaltsfreiheit gestattet den Vertragsparteien völlige Freiheit in der inhaltlichen Ausgestaltung ihrer Verträge. Grenzen finden sich lediglich auch hier bei gesetzlichen Verboten oder Verstoß gegen die guten Sitten. Weitere gesetzliche Normen hinsichtlich eines vorgeschriebenen Inhalts finden sich beispielsweise bei Wohnraummietverträgen zum Schutz des Mieters (§§ 549 ff. BGB) sowie zum Schutz des Verbrauchers in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB).

Beendigungsfreiheit

Von einem bereits geschlossenen Vertrag kann man sich, auch das ist ein Aspekt der Vertragsfreiheit; grundsätzlich auch wieder lösen (= Beendigungs- oder Aufhebungsfreiheit als Pendant zur Abschlussfreiheit).

Voraussetzung hierfür ist jedoch eine entsprechende Vereinbarung der Vertragsparteien oder wenn im Vertrag ein entsprechendes Recht dies vorsieht und die Voraussetzungen hierfür gegeben sind (Kündigungsrecht).

Vertragsfreiheit und Corona-Impfung

Durch die Pandemie wird die Frage aufgeworfen, ob Geimpfte von Privatunternehmen wie Fluggesellschaften oder Eventveranstaltern bevorzugt werden dürfen, obwohl eine staatliche Impfpflicht nicht besteht.

Verfassungsrechtler gehen davon aus, das für nicht staatliche Stellen der Grundsatz der Vertragsfreiheit erlaubt, mit Nicht-Geimpfter nicht zu kontrahieren, sofern es sich nicht um eine Frage der Daseinsvorsorge geht. Eine mittelbare Impfpflicht sei das nicht, sondern eher eine Impfobliegenheit. Danach könnten etwa Reiseveranstalter Geimpfte bevorzugen, Pflegedienste aber nicht, da es sich um eine  Daseinsvorsorge handele.

Auch nach dem AGG ergeben sich keine Bedenken, denn zu den Diskriminierungskategorien (Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung.) zählt der Impfstatus nicht und eine Impfung ist auch ein sachlicher Grund für eine Unterscheidung.

Weitere News zum Thema:

Fehlerquellen beim Vertragsabschluss vermeiden

Verbraucherschutzreform soll Verbraucherverträge fairer gestalten

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Schlagworte zum Thema:  Vertrag