Leitsatz (amtlich)

1.) Nimmt ein Versicherer den Umstand, dass eine Versicherungsnehmerin bei Beantragung eines Krankenversicherungsvertrages Schwangerschaftskomplikationen nicht angegeben hat, zum Anlass für einen Rücktritt und eine Kündigung, so liegt darin ein Verstoß gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot nach § 19 Abs. 1 AGG.

2.) Wegen der darin liegenden Diskriminierung wegen des Geschlechts besteht ein Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld, ohne dass dieser das Vorliegen einer schwerwiegenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfordert.

3.) Die Frist des § 21 Abs. 5 Satz 1 AGG ist wirksam. Es widerspricht nicht europäischem Gemeinschaftsrecht, dass ein Entschädigungsanspruch wegen eines Verstoßes gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot innerhalb einer Zweimonatsfrist geltend gemacht werden muss.

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Urteil vom 14.07.2010; Aktenzeichen 2 O 53/10)

 

Tenor

Die Berufungen der Kläger gegen das am 14.7.2010 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Dortmund werden zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

A. Die Parteien streiten - soweit noch für die Berufungsinstanz von Bedeutung - über Ansprüche der Kläger auf ein angemessenes Schmerzensgeld.

Die Klägerin zu 1) vereinbarte für ihren am 7.12.2005 geborenen Sohn, den Kläger zu 2), im Jahr 2006 eine Zusatzkrankenversicherung nach den Tarifen GE, GE-Plus und Z50-3 mit der Beklagten. Am 4.7.2008 beantragte die Klägerin zu 1) unter Verneinung sämtlicher Gesundheitsfragen (abgesehen von einer Sehhilfe) für sich den Abschluss der Tarife GE, GE-Dent, EKH 20 und EEKTG 43/15; für den Kläger zu 2) beantragte sie die Tarife GE, GE-Top, SG 100 und EKH 40 unter Wegfall der Tarife GE-Plus und Z50-3; hierüber stellte die Beklagte den Versicherungsschein vom 28.7.2008 aus.

Mit Schreiben vom 23.3.2009 setzte die Beklagte im Hinblick auf eine ihr angeblich verschwiegene Behandlung der Klägerin zu 1) wegen des Verdachts auf ein Fibroadenom und wegen einer Ovarialzyste rückwirkend zum 1.9.2008 einen Risikozuschlag von 4,49 EUR fest. Mit weiterem Schreiben vom 25.5.2009 hielt die Beklagte der Klägerin zu 1) vor, bei Antragstellung eine stationäre Behandlung wegen Präeklampsie, Schwangerschaftsdiabetes und Bluthochdruck ebenso verschwiegen zu haben wie den Umstand, dass der Kläger zu 2) mit einem Gewicht von 1.465g per Kaiserschnitt geboren und auf die Intensivstation aufgenommen werden musste. Deshalb erklärte die Beklagte den Rücktritt hilfsweise die Kündigung (hinsichtlich des Klägers zu 2) nur wegen des hinzu versicherten Tarifs EKH 40, SG 100 sowie wegen der Umstellung des Tarifes GE-plus in GE-Top).

Mit ihrer Klage haben die Kläger zunächst die Feststellung begehrt, dass die Krankenversicherungsverhältnisse ungekündigt fortbestehen. Hierzu haben sie geltend gemacht, dass der Versicherungsagent L über sämtliche Vorerkrankungen informiert gewesen sei. Außerdem haben sie jeweils die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verlangt, weil sie wegen ihres Geschlechts (Klägerin zu 1)) bzw. wegen einer Behinderung und wegen Alters (Kläger zu 2)) benachteiligt worden seien.

In der mündlichen Verhandlung vor dem LG hat die Beklagte unstreitig gestellt, dass der Versicherungsagent L bei Antragstellung mündlich seitens der Klägerin zu 1) informiert worden war. Daraufhin haben die Parteien einen Teilvergleich dahin geschlossen, dass die Krankenversicherung für die Klägerin zu 1) hinsichtlich des Tarifs GE-Dent und für den Kläger zu 2) insgesamt gemäß Versicherungsschein vom 28.7.2008 rückwirkend wieder in Kraft gesetzt wird.

Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und wegen der gestellten Anträge wird auf das Urteil des LG Bezug genommen.

Das LG hat die Klage, soweit nicht durch Teil-Vergleich erledigt, aus im Wesentlichen folgenden Gründen abgewiesen:

Ein Anspruch der Klägerin aus § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG bestehe nicht, weil jedenfalls die Frist des § 21 Abs. 5 Satz 1 AGG versäumt worden sei. Ein Anspruch aus § 253 Abs. 2 BGB setze voraus, dass die verletzte vertragliche Pflicht den Schutz der in § 253 Abs. 2 BGB aufgezählten Rechtsgüter zum Gegenstand habe, was für den Krankenversicherungsvertrag nicht festzustellen sei. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB komme mangels schwerwiegender Verletzung des Persönlichkeitsrechts nicht in Betracht. Der Klägerin zu 1) sei es auf die Wiederherstellung eines sinnvollen Versicherungsschutzes angekommen.

Auch der Kläger zu 2) habe die Frist des § 21 Abs. 5 AGG versäumt. Außerdem habe der Umstand der Frühgeburt weder eine Benachteiligung wegen Behinderung oder Alters begründet. Schadensersatzansprüche aus den §§ 253 Abs. 2, 823 Abs. 1 BGB stünden dem Kläger zu 2) aus den gleichen Gründen wie der Klägerin zu 1) nicht zu.

Hiergegen richten sich die Berufungen der Kläger.

Eine Fristversäumung nach § 21 Abs. 5 AGG läge nicht vor, weil ein Dauerverstoß seitens der Beklagten vorläge. Außerdem habe bereits der erstinst...

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