Fehlender Zugang der Einladung zum Vorstellungsgespräch ist nicht zwingend Diskriminierung
Das BAG hatte kürzlich darüber zu entscheiden, ob der fehlende (nachgewiesene) Zugang eines Einladungsschreibens zu einem Vorstellungsgespräch einen (schwer)behinderten oder gleichgestellten Stellenbewerber auf Grund seiner Behinderung benachteilige und dies ggf. einen Anspruch auf Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG auslöse.
Stellenbewerber fühlte sich wegen Behinderung diskriminiert
Eine öffentliche Arbeitgeberin hatte die Stelle eines Kämmerers ausgeschrieben, auf die sich der Kläger beworben hatte. In seiner Bewerbung informierte der Kläger über seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Als der Kläger eine Absage erhielt, fühlte er sich diskriminiert. Die Beklagte habe ihn wegen seiner Behinderung nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl er fachlich geeignet sei. Der Kläger verlangte die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 20.000 EUR.
Arbeitgeberin: Einladung zum Vorstellungsgespräch versandt
Die öffentliche Arbeitgeberin machte geltend, sie habe den Kläger sehr wohl mit einem vom Bürgermeister unterzeichneten Schreiben unter der von ihm angegebenen Postfachanschrift zu einem Vorstellungsgespräch ins Rathaus eingeladen. Weshalb dem Kläger das Einladungsschrieben nicht zugegangen sei, sei ihr nicht bekannt. Nachdem der Kläger nicht zum Gespräch erschienen sei, habe die Sekretärin des Gemeindevorstehers zudem mehrfach vergeblich versucht, den Kläger telefonisch zu erreichen.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Berufungsgericht hatten die Klage abgewiesen.
BAG: Kein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung
Auch vor dem BAG hatte der Kläger keinen Erfolg. Der Kläger, so das BAG, habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Die Beklagte habe den Kläger nicht wegen der Schwerbehinderung bzw. seiner Gleichstellung benachteiligt.
Unterbliebene Einladung ist regelmäßig Indiz für Diskriminierung
Zwar sei eine unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch regelmäßig ein Indiz für eine Diskriminierung wegen der Behinderung. Allein der fehlende Zugang im Sinne von § 130 BGB einer schriftlichen Einladung sei aber nicht geeignet, die Kausalitätsvermutung des § 22 AGG zu begründen. So könne es durchaus sein, dass das Schreiben auf dem Postweg und damit außerhalb der Sphäre des Arbeitgebers verloren gegangen sei.
Arbeitgeber muss alles ihm Mögliche und Zumutbare unternehmen
Der Arbeitgeber, so das BAG, müsse jedoch alles ihm Mögliche und Zumutbare unternehmen, damit das Schreiben ordnungsgemäß und fristgerecht versandt werde. Den Arbeitgeber treffe insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Im vorliegenden Fall habe die öffentliche Arbeitgeberin angeführt, dass
- der Bürgermeister die Einladung unterschrieben und
- seine Sekretärin diese zur Post gebracht habe. Die Einladung des Klägers sei zudem
- mit dem Amtsleiter und einem Mitglied der Personalvertretung abgestimmt worden.
Damit habe man alles Zumutbare unternommen, um den Zugang des Schreibens zu gewährleisten.
Übersendung der Einladung per Einschreiben nicht erforderlich
Eine Übersendung der Einladung per Einschreiben mit Rückschein könne, so das BAG, nicht verlangt werden.
(BAG v. 01.07.2021, 8 AZR 297/20).
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Hintergrund: Stellenausschreibung nach AGG
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet in Beschäftigung und Beruf allgemein Benachteiligungen aufgrund der geschützten acht Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Geschlecht. Für die Stellenausschreibung stellt das Gesetz gesondert und noch einmal ausdrücklich klar, dass eine Stelle nicht unter Verstoß gegen dieses Benachteiligungsverbot ausgeschrieben werden darf (vgl. §§ 1, 7, 11 AGG). Verstößt der Arbeitgeber gegen dieses Diskriminierungsverbot, können allen dadurch diskriminierten Bewerbern/Arbeitnehmern u. a. Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber zustehen.
Die Nichtberücksichtigung eines Bewerbers in einem Stellenbesetzungsverfahren stellt dabei regelmäßig eine Benachteiligung dar; denn der abgelehnte Bewerber steht (aus seiner Sicht) in der Regel schlechter als er stehen würde, wenn er die Stelle erhalten hätte. Will ein angeblich Benachteiligter/Geschädigter gegen den Arbeitgeber Ersatzansprüche geltend machen, muss grundsätzlich der Geschädigte die Anspruchsvoraussetzungen beweisen. Die zentrale Bedeutung der Stellenausschreibung besteht darin, dass sie ein Umstand ("Indiz") sein kann, der dazu führt, dass diese Beweislast "umschlägt" und jetzt der Arbeitgeber bei der Nichteinstellung eines Bewerbers die Beweislast dafür trägt, dass diese Benachteiligung aus sachlichen Gründen oder zumindest solchen Gründen erfolgt ist, die nichts mit den in § 1 AGG genannten acht Merkmalen zu tun hat.
Eine Stellenausschreibung, die den Bewerberkreis unter Verstoß gegen die gesetzlichen Regelungen des AGG einschränkt, löst also regelmäßig die Vermutung aus, dass die Bewerberauswahl nicht diskriminierungsfrei erfolgt ist (vgl. § 22 AGG).
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