I. Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen (Abs 1).

 

Rn 4

Die Regelung in I verlangt einen einzigen (s § 771 Rn 5) Vollstreckungsversuch am Wohnsitz des Hauptschuldners in sein bewegliches Vermögen: (1.) Für die Bestimmung des Wohnsitzes gelten die allg Regeln (§§ 7–11 sowie – für juristische Personen – §§ 24, 80 und RGZ 137, 1, 12 f: den für den Gerichtsstand iSd § 17 ZPO maßgebliche Verwaltungssitz; für Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten der EU s Art 63 EuGVVO nF); (2.) bewegliches Vermögen umfasst bewegliche Sachen und die ihnen nach § 821 ZPO gleichgestellten Wertpapiere. Hat der Hauptschuldner an einem von seinem Wohnsitz getrennten Ort eine gewerbliche Niederlassung (§§ 13, 29 HGB, § 14 GewO), muss der Gläubiger an beiden Orten die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen versuchen. Ist weder der eine noch der andere Ort feststellbar, so ist die Vollstreckung am Aufenthaltsort des Hauptschuldners durchzuführen.

 

Rn 5

Unerheblich ist es nach § 772 I, ob sich der Wohnsitz, die Niederlassung oder der Aufenthaltsort im In- oder Ausland befindet. Der Gläubiger und der Bürge können sich beide über die Verhältnisse des Hauptschuldners bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages informieren; wenn § 772 zur Anwendung kommt, haben sie die Möglichkeit, die Regelungen zur Vorausklage in §§ 771, 772 abzuändern (s Rn 3), nicht genutzt. Sie müssen sich daher an den Konsequenzen aus dem gesetzlichen Leitbild der Subsidiarität (Vor § 765 Rn 12) festhalten lassen. Wird die Vollstreckung später durch Veränderungen beim Hauptschuldner wesentlich erschwert, so beschränkt § 773 Nr 2 die Vollstreckungspflicht des Gläubigers.

II. Sachliche Vorausvollstreckung (Abs 1).

1. Einrede der sachlichen Vorausvollstreckung aus Abs 2 S 1.

 

Rn 6

In Anwendung des Vorrangs der Sachhaftung vor der Bürgenhaftung (s.a. § 777 2 ZPO) wird der Gläubiger durch die Bestimmung in § 772 II verpflichtet, seine Befriedungsversuche auf bewegliche Sachen auszudehnen, an denen er für seine Forderung ein Pfandrecht (§§ 1204 ff, 1257, 1293; § 804 ZPO) oder ein Zurückbehaltungsrecht (§§ 273, 1000; § 369 HGB) hat.

 

Rn 7

Unter dem Begriff der beweglichen Sachen fallen auch Inhaber- und Orderpapiere iSd §§ 1292 f (Staud/Stürner § 772 Rz 3), nicht aber Forderungen (Hambg SeuffA 74 Nr 209; Jauernig/Stadler § 772 Rz 1). Die Vorschrift ist entspr anwendbar auf Gegenstände, die im Sicherungs- oder Vorbehaltseigentum des Gläubigers stehen (MüKoBGB/Habersack § 772 Rz 5; Jauernig/Stadler § 772 Rz 1; aM RG SeuffA 75 Nr 93). Eine Ausnahme gilt bei (durch Bürgschaft abgesicherten) Teilzahlungsgeschäften: Liegt ein Fall von § 508 5 (fingierte Rücktrittserklärung) vor, muss der Gläubiger die Sachen nicht verwerten (BeckOGK/Madaus § 772 Rz 14). Durch die fingierte Rücktrittserklärung würde die Hauptforderung untergehen; dies ist dem Gläubiger nicht zumutbar.

 

Rn 8

Hat der Gläubiger ein Zurückbehaltungsrecht an einer Sache aus § 273 oder § 369 HGB (mit der Befriedigungsmöglichkeit nach § 371 HGB), so muss der Gläubiger einen Leistungstitel gegen den Hauptschuldner erwirken und die zurückbehaltene Sachen pfänden lassen (MüKoBGB/Habersack § 772 Rz 5; Staud/Stürner § 772 Rz 4). Ist dem Gläubiger das Pfandrecht durch Pfandbruch entzogen worden, so kann der Bürge ihn nicht auf ggf bestehende Ersatzansprüche verweisen (RG HRR 30 Nr 610; Staud/Stürner § 772 Rz 4).

2. Mehrheit von Forderungen (Abs 2 S 2).

 

Rn 9

Besichern die beweglichen Sachen des Hauptschuldners, an denen dem Gläubiger ein Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht zusteht, mehrere Forderungen des Gläubigers, so wird die Einrede der Vorausvollstreckung aus § 772 II 1 eingeschränkt: Der Gläubiger muss in diesem Fall zur Erfüllung der Bedingungen der Einrede der Vorausklage aus § 771 (s § 771 Rn 5) die bewegliche Sache nur verwerten, wenn deren Wert beide Forderungen deckt. Diese Einschränkung gilt indes nicht, wenn die verbürgte Forderung – etwa aufgrund vertraglicher Vereinbarung – den besseren Rang als die andere Forderung hat (Staud/Stürner § 772 Rz 5; BeckOKBGB/Rohe § 772 Rz 3; Grüneberg/Sprau § 772 Rz 2; Bley JW 32, 2285, 2286; aM Erman/Zetzsche § 772 Rz 6). Durch Leistung des Bürgen an den Gläubiger ginge nach §§ 774, 412, 401 das Pfandrecht des Gläubigers ohnehin auf den Bürgen über, wodurch dessen volle Befriedigung für die andere Forderung vereitelt würde (Staud/Stürner § 772 Rz 5).

III. Beweislast.

 

Rn 10

Der Gläubiger trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er den Vollstreckungsversuch nach I unternommen hat, der Bürge dafür, dass das Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht nach § 772 II 1 besteht. Der Gläubiger muss die Voraussetzungen von II 2 darlegen und beweisen (MüKoBGB/Habersack, § 772 Rz 7).

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