Gesetzestext

 

(1) Die Einrede der Vorausklage ist ausgeschlossen:

1. wenn der Bürge auf die Einrede verzichtet, insbesondere wenn er sich als Selbstschuldner verbürgt hat,
2. wenn die Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner infolge einer nach der Übernahme der Bürgschaft eingetretenen Änderung des Wohnsitzes, der gewerblichen Niederlassung oder des Aufenthaltsorts des Hauptschuldners wesentlich erschwert ist,
3. wenn über das Vermögen des Hauptschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet ist,
4. wenn anzunehmen ist, dass die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Hauptschuldners nicht zur Befriedigung des Gläubigers führen wird.

(2) In den Fällen der Nummern 3, 4 ist die Einrede insoweit zulässig, als sich der Gläubiger aus einer beweglichen Sache des Hauptschuldners befriedigen kann, an der er ein Pfandrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht hat; die Vorschrift des § 772 Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung.

A. Überblick und Bedeutung.

 

Rn 1

§ 773 hilft dem Gläubiger. Er schränkt den Grundsatz der Subsidiarität der Bürgschaft (s Vor § 765 Rn 12) ein: § 773 I Nr 1 lässt die vertragliche Abbedingung der Einrede der Vorausklage aus § 771 zu, durch die eine selbstschuldnerische Bürgschaft begründet wird; darin liegt die größte Bedeutung der Vorschrift (Erman/Zetzsche § 773 Rz 1). Ferner enthält § 773 in I Nr 2–4 Tatbestände, in denen ein gesetzlicher Ausschluss der Einrede der Vorausklage vorgesehen ist. Die Norm ist insoweit nicht abschließend: vgl § 771 Rn 3 zu weiteren gesetzlichen Ausschlüssen der Einrede der Vorausklage.

 

Rn 2

Bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft haftet der Bürge primär ab Fälligkeit der Hauptschuld (BGHZ 175, 161, 169) neben dem Hauptschuldner, aber nicht als Gesamtschuldner (RGZ 134, 126, 128; BGH WM 84, 128, 131). Der Gläubiger kann unmittelbar den Bürgen in Anspruch nehmen (BGHZ 169, 1, 16; Erman/Zetzsche § 773 Rz 1) selbst, wenn eine Inanspruchnahme des Hauptschuldners Erfolg versprechend erscheint (vgl BGH WM 74, 1129, 1131). Der selbstschuldnerische Bürge übernimmt zusätzlich das Risiko der Zahlungsunwilligkeit des Schuldners, sofern diese nicht auf einem arglistigen Zusammenwirken zwischen Gläubiger und Hauptschuldner beruht (BGHZ 104, 240, 242 f). Der Bürge kann den Gläubiger idR nicht auf andere Sicherungsrechte verweisen (BGH NJW 66, 2009, 2010 [BGH 22.06.1966 - VIII ZR 50/66]); § 773 II gilt nur für I Nr 3 u 4. Versucht der Gläubiger trotz des Vorliegens einer selbstschuldnerischen Bürgschaft, die Forderung zunächst beim Hauptschuldner einzutreiben, liegt darin keine nachträgliche Wiedereinräumung der Einrede der Vorausklage (BGH WM 70, 551, 552).

 

Rn 3

Die Akzessorietät der Bürgenhaftung (s Vor § 765 Rn 10) bleibt bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft unberührt (Mot II 670; RGZ 134, 126, 128; Staud/Stürner § 773 Rz 5): Vorbehaltlich abw vertraglicher Gestaltung kann der in Anspruch genommene selbstschuldnerische Bürge zB Einreden nach §§ 767, 768, 770 erheben (und sich beim Hauptschuldner nach § 774 I 1 erholen).

B. Die einzelnen Ausschlussgründe.

I. Vertraglicher Verzicht auf die Einrede der Vorausklage (Abs 1 S 1).

 

Rn 4

Der vertragliche Verzicht auf die Einrede der Vorausklage kann vor, bei oder nach der Bürgschaftsübernahme vereinbart werden (BGH NJW 68, 2332). Er bedarf im nicht kaufmännischen Verkehr immer der Schriftform, da er die rechtliche Stellung des Bürgen verschlechtert (BGH NJW 68, 2332 [BGH 25.09.1968 - VIII ZR 164/66]; § 766 Rn 6). Der Verzicht kann nicht nur individualvertraglich sondern grds auch in AGB vereinbart werden (BGHZ 95, 350, 361; NJW 01, 2466, 2468; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, Anh § 310 BGB (15) Rz 12; Staud/Stürner § 773 Rz 3).

 

Rn 5

Der individualvertragliche Verzicht ergibt sich oft aus dem Wortlaut, zB: ›Selbstschuldner‹ (§ 773 I Nr 1), ›Selbstzahler‹, ›Bürge und Zahler‹, ›bürgt solidarisch‹ (Staud/Stürner § 773 Rz 2; s.a. Prot II 477: ›verbürgt sich samtverbindlich‹). Ist dies nicht der Fall, ist eine Auslegung nach §§ 133, 157 erforderlich, bei der auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden können (s BGH NJW 68, 2332 [BGH 25.09.1968 - VIII ZR 164/66]; s § 766 Rn 11 zur Andeutungstheorie). Unterwirft sich der Bürge nach § 794 I Nr 5 ZPO der sofortigen Zwangsvollstreckung (KG JW 34, 1292, 1293) oder sagt er die schnelle Erfüllung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu (RG JW 21, 335, 336; Staud/Stürner § 773 Rz 2), lässt dies auf einen Verzicht auf die Einrede der Vorausklage schließen. Bei Verträgen in englischer Sprache, die deutschem Recht unterliegen, spricht der von einem englischen Bürgen oder Vertreter verwendete Begriff ›surety‹ für den Verzicht auf die Einrede der Vorausklage, weil das englische Recht die Subsidiarität nicht kennt (s Vor § 765 Rn 70 u PWW-Online-Ergänzungsband, abrufbar unter www.pww-oe.de, ex Art 32 EGBGB Rn 7 zur Berücksichtigung englischer Rechtsvorstellungen bei Auslegung eines Vertrags nach deutschem Recht).

 

Rn 6

Ein formularmäßiger Verzicht in AGB muss eindeutig sein: Das Transparenzgebot aus § 307 I 2 gebietet den klaren Hinweis darauf, dass der Bürge gleichrangig und nicht nur subsidiär haftet (Erman/Zetzsche § 773 Rz 4; MüKoBGB/Habersack § 773 Rz 3)....

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