Gesetzestext

 

(1) 1Soweit der Bürge den Gläubiger befriedigt, geht die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auf ihn über. 2Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden. 3Einwendungen des Hauptschuldners aus einem zwischen ihm und dem Bürgen bestehenden Rechtsverhältnis bleiben unberührt.

(2) Mitbürgen haften einander nur nach § 426.

A. Überblick: Normzweck, Bedeutung, Abdingbarkeit.

 

Rn 1

Befriedigt der Bürge den Gläubiger, so ordnet § 774 I 1 einen gesetzlichen Forderungsübergang (cessio legis) an (vgl Mot II 673: subrogatio, cessio ficta). Die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner geht auf den Bürgen über, dessen Regressanspruch aufschiebend bedingt bereits mit der Bürgschaftsübernahme entsteht (BGH NJW-RR 08, 1007, 1008 [BGH 13.03.2008 - IX ZR 14/07]). Mit der abgetretenen Forderung gehen kraft Gesetzes Nebenrechte mit über (§§ 412, 401). § 774 stellt weiter sicher, dass dem Gläubiger (§ 774 I 2), dem Hauptschuldner (§ 774 I 3) und dem Mitbürgen (§ 774 II) durch den Forderungsübergang keine Nachteile entstehen.

 

Rn 2

§ 774 I findet kraft Gesetzes entspr Anwendung, wenn ein Hypothekengläubiger durch den Grundstückseigentümer (§ 1143 I 2) oder ein Pfandgläubiger durch den Verpfänder (§ 1225 2) befriedigt wird. Die Norm wird nicht analog angewandt auf andere schuldrechtliche Sicherungsverträge wie Garantie, Schuldbeitritt und Wechselverpflichtung (RGZ 94, 85, 90; 96, 136, 139; Erman/Zetzsche § 774 Rz 1; Jauernig/Stadler § 774 Rz 3; Staud/Stürner § 774 Rz 61; aM Castellvi WM 95, 868 ff, 872: für Garantie) oder auf die Haftung des GbR-Gesellschafters (BGH NZG 11, 1023 [BGH 19.07.2011 - II ZR 300/08] Tz 60).

 

Rn 3

In der Praxis treten die Ansprüche aus dem gesetzlichen Forderungsübergang häufig neben einen Aufwendungsersatzanspruch des Bürgen gegen den Hauptschuldner nach §§ 670, 683 (s § 765 Rn 7, vgl auch BGH NJW-RR 08, 1007, 1008 [BGH 13.03.2008 - IX ZR 14/07]; zur jeweiligen Fälligkeit der Hauptschuld und des Aufwendungsersatzanspruchs: München BeckRS 14, 18230 Rz 26). Die Ansprüche stehen in Anspruchskonkurrenz: Der Bürge hat die Wahl, welchen Anspruch er geltend macht (RGZ 59, 207, 209; 146, 67, 69; jüngst Celle, Urt v 24.5.18 – 7 U 145/17, juris, Rz 21; für Abwägungskriterien s Rn 18). Beide Ansprüche bilden prozessual einen einheitlichen Streitgegenstand (MüKoBGB/Habersack § 774 Rz 16). Dabei können der Anspruch aus § 774 I und der Aufwendungs- und Ersatzanspruch unterschiedlich fällig werden (München BeckRS 14, 18230 Rz 26) und unterschiedlich verjähren (Staud/Stürner § 774 Rz 36).

 

Rn 4

§ 774 I 1 ist begrenzt dispositiv (BGHZ 92, 374, 382). Bürgschaftsverträge enthalten oft Klauseln, nach denen Leistungen des Bürgen bis zur vollständigen Befriedigung des Gläubigers nur als Sicherheit dienen. Durch solch eine Regelung kann der Gläubiger den Forderungsübergang verzögern. Dies erhält dem Gläubiger insb im Insolvenzverfahren des Hauptschuldners eine stärkere Stellung (BGHZ 92, 374, 380 f; Schimansky/Bunte/Lwowski/Schmitz/Wassermann/Nobbe § 91 Rz 174; s Vor § 765 Rn 47). Individualvertraglich ist dies zulässig, s.a. Rn 14 (Beschränkung der Übertragung selbstständiger Sicherungsrechte) und Rn 33 (vertragliche Besserstellung eines Sicherungsgebers).

 

Rn 5

Ein vollkommener Ausschluss des § 774 I in AGB verstößt gegen § 307 II Nr 1 (Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Bürgschaft/Vogt Rz 51; JurisPK-BGB/Prütting § 774 Rz 21; aA BeckOGK/Madaus § 774 Rz 88, der damit argumentiert, dass der Bürge nur die cessio legis, nicht aber seinen Regress im Innenverhältnis schlechthin verlöre). Bei einer formularmäßigen Einschränkung des § 774 I, nach der Zahlungen des Bürgen, die zur vollen Befriedigung des Gläubigers nicht ausreichen, vorläufig nur als Sicherheitsleistung anzusehen sind, ist zu unterscheiden: (1.) In einer Globalbürgschaftsvereinbarung (s § 765 Rn 13) ist eine solche Regelung wirksam. Im Hinblick auf das allg Vorrecht des Gläubigers aus § 774 I 2 (dazu unten Rn 20) wird der Bürge durch die weitere Verstärkung der Rechtsstellung des Gläubigers nicht übermäßig iSv § 307 I belastet (BGHZ 92, 374, 382 f; NJW 01, 2327, 2330; Graf v Westphalen NJW 02, 1688, 1697; Erman/Zetzsche § 774 Rz 13; aA MüKoBGB/Habersack § 774 Rz 6; Tiedtke ZIP 90, 413, 424). Die durch die Klausel bewirkte Besserstellung des Gläubigers ist durch dessen berechtigtes Interesse gerechtfertigt, eine sonst nach den §§ 412, 401 eintretende Schmälerung der auch für andere (Bank-)Schulden haftenden Sicherungsrechte bis zur Tilgung aller Verbindlichkeiten des Hauptschuldners zu verhindern (BGHZ 92, 374, 383). (2.) In einer einfachen Bürgschaft ist die Klausel aber unangemessen iSv § 307 II (Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Bürgschaft/Vogt Rz 51).

B. Forderungsübergang (cessio legis) nach § 774 I 1.

I. Voraussetzungen.

1. Bestehen einer Hauptverbindlichkeit.

 

Rn 6

Die cessio legis nach § 774 I 1 setzt voraus, dass der Bürge eine bestehende Hauptverbindlichkeit erfüllt (BGH NJW 00, 1563, 1565 [BGH 10.02.2000 - IX ZR 397/98]). Fehlt es an ihr, besteht die Bürgschaftsverbindlichkeit nicht (s Vor § 765 Rn 10). Es findet weder eine Erfüllung der Bürgschaftssc...

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