Gesetzestext

 

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) 1Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. 2Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

A. Normzweck.

 

Rn 1

§ 123 schützt die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit (BGHZ 51, 147; WM 11, 2311 Tz 28). Die von der Privatautonomie vorausgesetzte rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung ist nur zu verwirklichen, wenn sich die Willensbildung frei von Täuschung und Zwang vollzieht (BRHP/Wendtland § 123 Rz 1). Dem Verkehrsschutz wird differenzierend Rechnung getragen. Der Getäuschte oder Bedrohte kann entscheiden, ob er die Erklärung gelten lassen oder anfechten will. Ein durch Täuschung oder Drohung zustande gekommenes Rechtsgeschäft ist deswegen noch nicht sittenwidrig (unten Rn 43, § 138 Rn 4). Während eine arglistige Täuschung nur zur Anfechtung berechtigt, wenn die Täuschung gerade vom Geschäftsgegner begangen wurde oder er die Täuschung kennen musste, § 123 II, kommt es für die widerrechtliche Drohung nicht darauf an, von wem sie begangen wurde.

B. Anwendungsbereich.

 

Rn 2

Die Vorschrift gilt für alle Arten von Rechtsgeschäften (vgl § 119 Rn 19, zum Schweigen § 119 Rn 20; zur Abdingbarkeit Hamm NJW-RR 06, 980 f) von natürlichen und juristischen Personen (BGH WM 11, 2311 Tz 29). Maßgebender Zeitpunkt ist die Abgabe der Willenserklärung. Verfügungsgeschäfte sind anfechtbar, wenn sie selbst auf einer Täuschung beruhen (Grigoleit AcP 199, 404 f, 419), Geschäftsraummietverträge, selbst wenn sie beendet sind (BGH NZM 08, 886 [BGH 06.08.2008 - XII ZR 67/06] Tz 34; s.a. § 142 Rn 5). Tatsachenerklärungen, wie der Widerruf ehrverletzender Behauptungen, sind unanfechtbar (BGH NJW 52, 417 [BGH 18.01.1952 - I ZR 87/51]). Sonderregeln bestehen für die Eheschließung (§ 1314 II Nr 3, 4), die Lebenspartnerschaft (§ 15 II 2 LPartG), die Anerkennung der Vaterschaft (§ 1600c II), letztwillige Verfügungen (§§ 2078 II, 2080, 2281, 2283) sowie die Erbschaftsannahme (§ 1949). Auf Eheverträge ist § 123 anwendbar (BGH NJW-RR 96, 1282 [BGH 22.11.1995 - XII ZR 227/94]). Für Versicherungsverträge gelten die §§ 19 ff VVG. Gesellschaftsverträge sind auch unter den Voraussetzungen des § 123 grds nur mit Wirkung ex nunc anfechtbar, anders aber bei einer besonders gravierenden Täuschung oder Drohung (BGHZ 13, 322 f). Zum Öffentlichen und Prozessrecht vgl § 119 Rn 10 f. Ein im Voraus vertraglich vereinbarter Ausschluss der Anfechtbarkeit nach § 123 ist unwirksam, wenn die Täuschung vom Geschäftspartner oder einer Person verübt wird, die nicht Dritter iSv § 123 II ist (BGH NJW 07, 1058 Tz 18). Dies gilt auch im Verhältnis des Erklärenden zu einem durch die Vertragserklärung begünstigten Dritten (BGH WM 11, 2311 Tz 31).

 

Rn 3

Auf ein nach § 123 angefochtenes Arbeitsverhältnis (s.a. Rn 13, Rn 22) ist die Ausschlussfrist des § 626 II nicht entspr anzuwenden (BAG BB 84, 534). Bei einem in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnis wirkt die Anfechtung des Getäuschten oder Bedrohten entgegen § 142 I grds nur ex nunc (BAG NJW 84, 446 [BAG 16.09.1982 - 2 AZR 228/80]; differenzierend MüKo/Armbrüster § 123 Rz 7). Ist das Arbeitsverhältnis außer Funktion gesetzt oder wird aufgrund einer Erkrankung keine Arbeitsleistung erbracht, wirkt die Anfechtung auf den Zeitpunkt zurück, von dem an keine Arbeitsleistung mehr erbracht wurde (BAG NZA 99, 587 f [BAG 11.03.1999 - 2 AZR 507/98]).

C. Arglistige Täuschung.

I. Täuschungshandlung.

1. Grundsatz.

 

Rn 4

Die Täuschung verlangt wie nach § 263 StGB, dass der Täuschende beim Getäuschten einen Irrtum hervorruft, aufrechterhält oder bestärkt, indem er falsche Tatsachen vorspiegelt bzw wahre Tatsachen entstellt oder unterdrückt (BGH NJW 57, 988; BAG NJW 12, 3390 [BAG 11.07.2012 - 2 AZR 42/11] Tz 22; AnwK/Feuerborn § 123 Rz 23). Im Gegensatz zum strafrechtlichen Betrug ist weder eine Bereicherungsabsicht des Täuschenden noch eine Schädigung des Getäuschten erforderlich (Köln VersR 04, 907). Die Täuschung kann durch positives Tun (Rn 5 ff) oder Unterlassung (Rn 8 ff) erfolgen und muss pflichtwidrig (Rn 22) sowie arglistig (Rn 25) geschehen. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten durch die Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (BGH NJW 00, 2894).

2. Positives Tun.

 

Rn 5

Eine Täuschung durch Vorspiegeln oder Entstellen von Umständen muss sich auf objektiv nachprüfbare Angaben beziehen (BAG NJW 12, 3390 Tz 22; MüKo/Armbrüster § 123 Rz 29). Zu eng ist es, allein auf Tatsachen abzustellen. Die Täuschung muss sich auf objektiv nachprüfbare Umstände beziehen, die als wahr oder falsch bezeichnet werden können, sofern diese Einfluss auf den Entschluss des Erklärenden haben. Subjektive Werturteile oder Marktschreierische Anpreisungen genügen nicht (BGHZ 3, 27...

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