Gesetzestext

 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) 1Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. 2Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. 3Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

A. Zweck und Anwendungsbereich der Vorschrift.

 

Rn 1

I konkretisiert für das Dienst-/Arbeitsverhältnis den Grundsatz des § 314. II soll verhindern, dass der Kündigungsberechtigte sich den Kündigungsgrund aufspart und dadurch den möglichen Kündigungsempfänger unter Druck setzt (BAG NZA 20, 1405 [BAG 27.02.2020 - 2 AZR 570/19]; 07, 744 [BAG 01.02.2007 - 2 AZR 333/06]). § 626 schließt Rücktrittsrechte gem §§ 323, 326 aus, auch wenn es zur Vertragsbeendigung bereits vor Dienst- bzw Arbeitsantritt kommt (vgl MüKo/Henssler § 626 Rz 51; Staud/Preis § 626 Rz 13). Die Vorschrift gilt für alle Dienst-/Arbeitsverhältnisse, gleich, ob befristet oder nicht, zT bestehen jedoch Einschränkungen aufgrund gesetzlicher Anhörungs- und Zustimmungserfordernisse (Rn 1719). Sonderregelungen in §§ 627, 22 IV BBiG, 89a HGB (BGH NJW 11, 3361 [BGH 29.06.2011 - VIII ZR 212/08]; 94, 722 [BGH 15.12.1993 - VIII ZR 157/92]; 87, 57 [BGH 03.07.1986 - I ZR 171/84]; umstr). Während in Arbeitsverhältnissen Abweichungen zu Lasten des ArbN regelmäßig unzulässig sind (sehr restriktiv BAG AP Nr 180 zu § 626 mwN; BGH NJW 08, 360 [BGH 15.11.2007 - III ZR 247/06]), können für freie Dienstnehmer wohl weitergehende außerordentliche Kündigungsgründe (Grüneberg/Weidenkaff § 626 Rz 2) und Kündigungserschwernisse iRd Zumutbaren (BGH NZG 08, 471 [BGH 17.03.2008 - II ZR 239/06]) vereinbart werden.

B. Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung.

 

Rn 2

Für die außerordentliche Kündigung durch den Dienstberechtigten/ArbG und den Dienstverpflichteten/ArbN gelten dieselben Grundsätze (BAG NZA 09, 840 [BAG 12.03.2009 - 2 AZR 894/07]).

I. Wichtiger Grund.

1. Allgemeine Anforderungen.

 

Rn 3

Entscheidend ist, ob dem Kündigenden eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder der vereinbarten Vertragslaufzeit nicht mehr zumutbar ist (BAG NZA 19, 1343 [BAG 27.06.2019 - 2 AZR 28/19]; 19, 445; 17, 1179 [BAG 29.06.2017 - 2 AZR 597/16]; st Rspr). IRe zweistufigen Prüfung (BAG aaO) ist (1.) zu prüfen, ob der Sachverhalt an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen, und (2.), ob bei Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt und somit verhältnismäßig ist (BAG NZA 19, 445). Maßgeblich ist regelmäßig die Prognose, ob zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs damit zu rechnen war, dass sich die Gründe (ohne den Ausspruch der Kündigung) zukünftig konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken werden, ob also Wiederholungsgefahr besteht (BAG NZA 19, 445; 15, 294). Diese ist bei schwerwiegenden Verstößen in der Vergangenheit idR indiziert (BAG NZA 19, 445 [BAG 13.12.2018 - 2 AZR 370/18]), grds ist jedoch Objektivierung durch erfolglose Abmahnung erforderlich (BAG NZA 21, 1178 [BAG 27.04.2021 - 9 AZR 662/19]; 20, 1405 [BAG 27.02.2020 - 2 AZR 570/19]; § 620 Rn 67 ff). Bei verhaltensbedingten Kündigungen fließen in die Interessenabwägung (Überblick Lingemann Kündigungsschutz, Teil 6 Rz 22) ua ein: Dauer des Dienstverhältnisses ohne Pflichtverletzungen (BAG NJW 17, 843 [BAG 22.09.2016 - 2 AZR 848/15]; NZA 14, 1258; 11, 1027 [BAG 09.06.2011 - 2 AZR 381/10]), Alter (BAG NZA 00, 1335 [BAG 09.11.1999 - 9 AZR 771/98]), Unterhaltspflichten und Familienstand (nur nachrangig, BAG NZA 11, 1342 [BAG 09.06.2011 - 2 AZR 323/10]; NZA-RR 09, 393 [BAG 18.09.2008 - 2 AZR 827/06]; NZA 06, 1033), Art und Schwere der Pflichtverletzung (zB besondere Verwerflichkeit), Grad des Verschuldens (BAG NZA 14, 1258; DB 12, 2404), entstandener Schaden (BAG NZA 06, 1033), Auswirkungen des Fehlverhaltens auf andere ArbN im Betrieb (BAG NZA 04, 486 [BAG 11.12.2003 - 2 AZR 36/03]), Nachahmungsgefahr durch andere ArbN (BAG NZA-RR 12, 12 [BAG 09.06.2011 - 2 AZR 284/10]), mögliche Wiederholungsgefahr (BAG NZA 19, 445 [BAG 13.12.2018 - 2 AZR 370/18]). Ordentliche Unkündbarkeit des ArbN wirkt nicht zu seinen Gunsten (BAG NZA 11, 798 [BAG 27.01.2011 - 2 AZR 825/09]).

 

Rn 4

Der wichtige Grund erfordert keine subj Komponente, die Pflichtverletzung muss also nicht zwingend schuldhaft sein (BAG NZA 04, 786 [BAG 11.12.2003 - 2 AZR 667/02]). Auch muss sich der zu Kündigende der Unzumutbarkeit nicht bewusst gewesen sein (BAG AP Nr 1 zu § 626 – ›Nachschieben von Kündigungsgründen‹).

 

Rn 5

Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip darf die außerordentliche K...

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