Orte der "grünen" Transformation: VW in Salzgitter

Salzgitter, 20. Februar 2023. Auf einer Fläche, die die Größe von 30 Fußballfeldern hat, baut Volkswagen eine Batteriefabrik für seine E-Autos. Der für den Betrieb notwendige Strom soll aus erneuerbaren Quellen kommen, für den Transport der Batterien gibt es einen Bahnanschluss. Sogar eine Recyclinganlage für die Batterien ist im Pilotbetrieb. Um die Transformation zu bewältigen, sieht das Unternehmen Qualifizierungsprogramme von bis zu 176 Tagen pro Mitarbeiter vor.

Das Straßenbild in unseren Städten wird noch von Benzin- und Dieselautos geprägt, doch in der Autoindustrie wird die Kehrtwende Richtung Elektromobilität mit Hochdruck eingeleitet. "In der E-Mobilität liegt unsere Zukunft", sagt Gunnar Kilian, Arbeitsdirektor des Volkswagen-Konzerns, unmissverständlich und verweist darauf, dass VW zu den Schrittmachern der E-Mobilität zähle. Während viele Spitzenmanager den Begriff Transformation geradezu euphorisch verwenden, um die Neuausrichtung ihrer Betriebe zu beschreiben, mag Kilian den Begriff nicht so gerne, auch wenn er nicht mehr verzichtbar ist. "Wenn wir zurückblicken, ist unsere Wirtschaft stets vom ständigen Wandel geprägt", sagt er. Die gegenwärtige Situation hat für ihn nichts Außergewöhnliches, es geht für ihn schlicht um das, was ein gutes Unternehmen auszeichnet: Innovieren, Planen, Umbauen und Qualifizieren.

Für Kilian ist Transformation keine Philosophie oder Erzählung. "Die Menschen wollen wissen, was sich konkret für sie ändert", ist so ein Satz, der typisch für seine Denkweise ist. In Wolfsburg, der größten Autofabrik Europas, soll im Herbst 2023 die Produktion des VW ID.3 anlaufen: Dafür müssen im ersten Schritt 1.500 "Kolleginnen und Kollegen", so bezeichnet er Mitarbeitende, geschult werden. Das packt Kilian konkret an. 

Riesiger Schulungsbedarf

Mitten im Wolfsburger Werksgelände hat Kilian zusammen mit seinem Team einen "eMotionRoom" einrichten lassen, der helfen soll, die Beschäftigten auf die neuen Aufgaben vorzubereiten, auch Ängste vor der neuen Hochvolt-Technologie zu reduzieren, wie Produktionsvorstand Christian Vollmer erläutert. Vier Mitarbeitende gehen in einem liebevoll gestalteten Escape-Room auf Entdeckungstour, müssen Aufgaben aus VW-Geschichte und E-Mobilität lösen, um am Ende in der Zukunft der Mobilität zu landen. Anschließend gibt es dann noch konkrete Übungen, um die ersten Handgriffe in der Montage, etwa den Umgang mit neuen Steckern und Schläuchen, zu üben. "Hier zeigt sich, wie sich Lernen verändert. Wir arbeiten mit innovativen Lern-Nuggets, die die Kolleginnen und Kollegen besonders motivieren", erläutert Kilian. Es wird dabei wie am Fließband unterrichtet, die Mitarbeitenden der VW-Akademie schulen im Schichtbetrieb, bis 2025 müssen 22.000 Mitarbeitende auf die neue Zukunft vorbereitet werden.

Das Werk im Wandel

Vom Schulungszentrum in Wolfsburg geht es mit dem ID. Buzz nach Salzgitter. Der Arbeitsdirektor setzt sich selbst ans Steuer. Salzgitter ist ein Symbol für ein Werk im Wandel. Kilian, ein eher rationaler Mensch, spricht von einer Herzensangelegenheit. In Salzgitter erwarten uns Werkleiter Andreas Salewsky und Betriebsratschef Dirk Windmüller, um aufzuzeigen, was der Wandel zur E-Mobilität für sie bedeutet. Salzgitter ist die Heimat der Motorenfertigung des Konzerns, also das Herz der Verbrenner-Welt. Seit Werksgründung im Jahr 1970 wurden mehr als 63 Millionen Motoren hergestellt. Jetzt entsteht hier die Leitfabrik für die Batteriezellherstellung, dem Herzstück der E-Mobilität. Die neu gegründete PowerCo SE, die weltweit das Batteriegeschäft steuert, hat hier ihren Sitz.

Durch die riesigen Werkhallen, in denen Motoren gefertigt werden, fahren wir in einem ID.4. Die Fahrt, die für alle Mitarbeitenden des Standortes konzipiert wurde, nennt sich "Mein Werk im Wandel"-Tour und umfasst mehrere Kilometer. In manchen Hallen sind bereits erste Freiflächen zu sehen, die durch den Rückbau der Motorenfertigung entstehen. In anderen Hallen läuft bereits der Laborbetrieb für die Zellfertigung. Der "Laborbetrieb" besteht aus richtig großen Anlagen, die die Beschäftigten in Betrieb halten. Dafür braucht es Beschäftigte, die das Neue bereits verstehen. "Früher haben wir hier vorwiegend Metallberufe ausgebildet, jetzt bilden wir auch Chemielaboranten, IT- und Elektroberufe aus", erläutert Kilian. Die Mitarbeiterschaft in Salzgitter wird auch internationaler, die Batteriefertigung zieht Spezialisten aus aller Welt an.

Was hier derzeit im kleinen Maßstab getestet wird, soll ab 2025 im großen Maßstab umgesetzt werden. Draußen vor den Hallen befindet sich eine Giga-Baustelle, so groß wie 30 Fußballfelder: Hier entsteht die erste Batteriefabrik, die ein deutscher Automobilkonzern errichtet. Der für den Betrieb notwendige Strom soll aus erneuerbaren Quellen kommen, für den Transport der Batterien gibt es einen Bahnanschluss. Auch eine Recycling-Anlage für Batterien ist im Pilotbetrieb. Es wird von "Kreislaufwirtschaft" gesprochen, die handlungsleitend sei.

Hoher sozialer Anspruch

Volkswagen tut viel, um die Leute mitzunehmen. "Wir gehen den Weg Richtung E-Mobilität gemeinsam", diesen hohen sozialen Anspruch formuliert Kilian. Mit seinem Sozialpartner, der als Machtfaktor über Wolfsburg hinaus bekannt ist, dürfte er hier auf einer Wellenlänge liegen. Von den rund 7.000 Mitarbeitern in Salzgitter wurden 200 zu Technologiepartnern nach Schweden und nach China entsandt – jeweils für mehrere Monate. Die Mitarbeiter erlebten dort, wie Zellfertigung in Serie funktioniert. Von Wissenstransfer ist die Rede, doch genauso wichtig dürfte die Botschaft und das Gefühl der Mitarbeitenden sein, die sie jetzt in Salzgitter verbreiten. "Ich habe die Angst vor der Transformation verloren. Batteriefertigung funktioniert wie eine Großserie, und das können wir", berichtet Andre Koch, früher Meister in der Motorenfertigung, der an einem Einsatz in China teilgenommen hat. 

"Hier werden die Weichen für die Zukunft des Unternehmens und damit auch für die Beschäftigten gestellt." – Gunnar Kilian, Volkswagen

Abbau, Umbau und Aufbau – in Salzgitter ist das beispielhaft erlebbar. Für den Wandel zur Elektromobilität hat Kilians HR-Bereich aufbereitet, wie das konkret aussieht. Für 50 neue Berufsbilder, die im Konzern entstehen, gibt es sogenannte "U-Bahn-Charts". Auf dem Weg zum "Python Data Scientist" oder "Anlagenelektriker Montage" kann der Mitarbeitende an unterschiedlichen Stationen einsteigen, abhängig von der Vorbildung. Eine Qualifizierung kann bis zu 176 Tage dauern. Kilian muss dafür große Qualifizierungsbudgets bereitstellen. Angesichts des Fachkräftemangels sei das eine notwendige und gute Investition, so Kilian.

Planungsrunden als Weichenstellung

Kilian hat 2018 seine Stelle als Arbeitsdirektor angetreten, sein Anspruch war es, "HR zurück aufs Spielfeld zu führen". Im Vorstand des Konzerns gilt er inzwischen als ein Schwergewicht. Viele Kollegen haben erkannt, wie wichtig HR für die Erreichung der Konzern-Ziele ist. "Wir sind nicht nur dabei, wir gestalten mit", sagt Kilian. Spielentscheidend für den Arbeitsdirektor sind aber nicht Rekrutierung, Qualifizierung oder die Digitalisierung der HR-Prozesse, das sei ein Muss. Spielentscheidend für ihn sind die jährlichen Planungsrunden des Konzernvorstands, in denen entschieden wird, in welchem Werk welche Komponenten oder Fahrzeuge gefertigt werden. "Hier werden die Weichen für die Zukunft des Unternehmens und damit auch für die Beschäftigung gestellt", erläutert er. 


Dieses Kapitel ist Teil der Titelgeschichte aus Personalmagazin Ausgabe 5/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.