Orte der "grünen" Transformation: Pyrum in Dillingen

Dillingen, 28. Februar 2023. In Deutschland fallen jährlich rund 600.000 Tonnen Altreifen an. Bisher gab es dafür nur unvollständige Recyclingverfahren. Das Resultat: Ein großer Teil landete in der Müllverbrennung. Dem saarländischen Startup Pyrum Innovations ist es nun gelungen, mithilfe eines Pyrolyseverfahrens Altreifen in ihre Ausgangsbestandteile Öl, Gas und Ruß zu zerlegen. Allein die Baukosten für die Reaktoren bremsen die Gründer und ihr Team derzeit noch aus.

Manche Probleme sind so gewaltig, dass sie sogar aus dem Weltall sichtbar sind. Dazu zählt die größte Reifendeponie der Erde in Al Sulaibiya in Kuwait. Regelmäßig steht sie in Flammen und stinkt im wörtlichen Sinne zum Himmel. Es ist einer von drei Entsorgungswegen für Altreifen. Und sollte eher Anlass zur Sorge geben. Der übrige Reifenschrott – allein in Deutschland rund 600.000 Tonnen jährlich – wird verbrannt, beispielsweise in Zementwerken, oder landet, zerkleinert als Granulat, als Belag auf Sportplätzen. Doch nach einigen Jahren hat er auch dort ausgedient und die Frage nach der Entsorgung stellt sich erneut.

Aus Altreifen werden neue Rohstoffe

Im saarländischen Dillingen wachsen die Reifenberge nicht, sie schrumpfen. Pascal Klein, Mitte dreißig, schulterlange Haare, Bart, hat eine andere Lösung gefunden. Eine, die die Welt rettet, wie sein siebenjähriger Sohn jedem, der es hören möchte oder nicht, erzählt. "Das macht mich stolz", sagt Klein und schmunzelt. Denn ursprünglich sei die Weltenrettung nur ein Teil seines Plans gewesen. "Ich wollte selbstständig und erfolgreich sein", sagt er. Dabei wirkt er nicht wie jemand, der auf Statussymbole Wert legt. Ihm geht es um die Sache, das heißt: das Pyrolyseverfahren. Dabei handelt es sich um einen thermischen Zersetzungsprozess unter Ausschluss von Sauerstoff, bei dem Altreifen in Öl, Gas und Ruß zerlegt werden. Klein erklärt es anschaulicher. "Das ist, als würde man einen Kuchen wieder in Eier, Milch und Mehl trennen". Hinzu kommen im Falle der Reifen noch Textilfasern und Stahldrähte, die bereits beim Zerkleinern herausgefiltert werden, ehe das Gummigranulat in den Reaktor wandert.

"Die größte Schwie­rigkeit besteht darin, das Pyrolyse­verfahren stabil zu steuern. Das ist uns gelungen." – Pascal Klein, Pyrum Innovations

Der Reaktor ist das Herzstück seines Unternehmens. Denn die Idee der Pyrolyse ist nicht neu. Genauer gesagt, ist sie schon über 30 Jahre alt. Nur gelang bisher niemandem die praktische Umsetzung. "Die größte Schwierigkeit besteht drin, den chemischen Prozess stabil zu steuern", sagt Klein. Gerade wenn große Mengen durch den Reaktor, einen 25 Meter hohen Turm, geschleust würden. Auch andere Unternehmen hätten sich daran versucht, meist mit Drehrohröfen, und seien gescheitert. Bei Pyrum fällt das Granulat in schmale Kammern – was vereinfacht gesagt dafür sorgt, dass der Turm nicht spätestens nach ein paar Stunden verklebt und dadurch verstopft. Klein und seinen Mitstreitern ist es gelungen, in jahrelanger Tüftelei einen Ansatz zu entwickeln, der in industriellem Maßstab zu funktionieren scheint.

35 Millionen Investitionskosten pro Anlage

Die Nachfrage sei riesig. "Das haben wir auch Greta [Thunberg] zu verdanken", sagt Klein. Die Klimabewegung hätte Politik und Wirtschaft Druck gemacht. Seit die Automobilindustrie sich bemühe, nachhaltiger im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu werden, bekämen dies auch die Lieferanten zu spüren. Diese müssten Lösungen für die Entsorgungsfrage präsentieren, um bei den jährlichen Audits nicht durchzufallen und lukrative Aufträge zu verlieren. Klein beschert das ebenfalls Aufträge. Um diese bewältigen zu können, benötige er jedoch weitere Anlagen. 

Sein Prototyp in Dillingen schafft aktuell eine Tonne Reifen pro Stunde, das sind etwa 100 PKW-Reifen. Gearbeitet wird im Dreischichtbetrieb – und das Problem liegt eher darin, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Deshalb entsteht auf dem Werksgelände bereits eine weitere Anlage mit drei Reaktoren. Sie könnte als Blaupause für künftige Standorte dienen. Sieben davon sind derzeit in Planung, unter anderem in Albstadt bei Stuttgart und in Straubing bei München. Doch die Kosten dafür sind hoch: Rund 35 Millionen pro Anlage. Aus eigener Tasche kann Pyrum das trotz Börsengang nicht stemmen. Also setzt Klein auf Joint Ventures. Zudem steuert die BASF für jede neue Anlage drei Millionen Euro bei und erhält im Gegenzug einen Ölliefervertrag. 

Sie seien noch kein "Bankable Business", sagt Klein. Heißt, die Banken verlangten für eine Finanzierung Sicherheiten, die das Unternehmen derzeit noch nicht bieten kann. So müsse eine Anlage mindestens sechs Jahre in Betrieb sein; so lange dauert es, die Investitionskosten zu erwirtschaften. In der Zwischenzeit sucht Klein nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten – und scheint fündig zu werden. Ein DAX-Vorstand habe ihm versichert, dass seine Idee sich durchsetzen werde, sagt Klein. In zehn Jahren, so der Topmanager, würden alle Neureifen Rohstoffe aus dem Pyrolyseverfahren enthalten. Klein könnte dann reich sein. Doch daran verschwendet er keinen Gedanken. 

Mehr Sorgen macht auch ihm der Fachkräftemangel. Selbst im Saarland, das als strukturschwache Region gilt, sei es inzwischen schwierig, "gute Leute" zu finden. Zwischenzeitlich hätte sein Unternehmen davon profitiert, dass anderswo Industriejobs wegfielen, sagt Klein. Doch das allein genüge nicht, um den Bedarf zu decken. Für den Betrieb einer Anlage benötigt er rund 30 Mitarbeitende, für die Weiterentwicklung zusätzlich Ingenieure, Verfahrenstechniker und Materialwissenschaftler. Die Schwierigkeit läge weniger darin, Kandidaten zu finden, sondern deren Erwartungen zu erfüllen. "Ich habe den Eindruck, dass die Gehaltsforderungen und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, immer stärker auseinanderdriften", sagt Klein. Deshalb setzt er auf Kooperationen mit Universitäten und Hochschulen. Acht von zehn Studierenden, die im Unternehmen ihre Abschlussarbeiten schrieben, blieben anschließend als feste Mitarbeitende.

Klein tut einiges, um sie zu halten. Wir haben die Löhne deutlich erhöht. Außerdem erhielte jedes Team ein monatliches Budget, um sich einen Arbeitsplatz "schön zu machen", wie der Gründer es nennt. Mobilarbeit ist ebenfalls gestattet, sofern der Job es zulässt. Manchen Bewerbenden, müsse er allerdings schon sagen, dass man auch als Ingenieur gelegentlich die Anlagen betreten müsse, die man am Computer entwerfe. Klein weiß, wovon er spricht. Denn der gelernte Betriebswirt hat sich über Jahre technisches Wissen angeeignet. Sein Erklärtalent würde locker für einen Moderationsjob bei der Sendung-mit-der Maus reichen. Doch Klein muss nicht im Rampenlicht stehen. Stattdessen tüftelt er an der nächsten Idee, dem Recycling von kohlenfaserverstärkten Kunststoffen, wie sie beispielsweise im Flugzeugbau oder den Rotorblättern von Windrädern eingesetzt werden.


Dieses Kapitel ist Teil der Titelgeschichte aus Personalmagazin Ausgabe 5/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.