Orte der "grünen" Transformation: Infineon in Dresden

Dresden, 15. Februar 2023. Die Standortvorteile des Silicon Saxony haben den Vorstand und den Aufsichtsrat von Infineon überzeugt. Rund fünf Milliarden Euro will das Unternehmen in eine neue Fabrik zur Chipfertigung mit bis zu 1.000 Beschäftigten investieren. Die sogenannten Leistungschips werden beispielsweise in E-Autos, E-Ladesäulen, Windkraftanlagen oder Systeme zur intelligenten Verkehrssteuerung verbaut. Ohne sie wäre eine "grüne" Transformation kaum möglich.

Etwas außerhalb von Dresden, auf einer Anhöhe gelegen, stehen wuchtige, funktional gebaute Firmengebäude. Wenn man sich ihnen nähert, hört man weder ratternde Motorengeräusche noch sieht man rauchende Schlote, gleichwohl beherbergen die riesigen Gebäude eine Fertigungsstätte für Hochtechnologie, ohne die unsere Wirtschaft nicht auskommt und die unseren Alltag beeinflussen. Silke Gottschlich, Personalchefin des Infineon-Standorts mit über 3.000 Beschäftigten, und Markus Fink, CHRO von Infineon mit weltweit 56.200 Beschäftigten, holen uns am Empfang ab. In endlosen Gängen geht es durch Sicherheitsschleusen, vorbei an Bekleidungskammern, die vor den Reinräumen der Chipfertigung liegen, zur New Work Area am Standort, in dem sich die Entwicklungsabteilung befindet und wo unser Gespräch stattfindet. 

Infineon siedelte sich nach der Wiedervereinigung in Dresden an, inzwischen ist hier ein beachtliches Mikroelektronik-, Halbleiter- und Software-Cluster entstanden. Dazu gehören mehrere Chiphersteller, Zulieferbetriebe, Softwarehäuser, aber auch Hochschulen und Forschungsinstitute. "Gegenwärtig arbeiten im Silicon Saxony 70.000 Menschen. Wir rechnen damit, dass die Zahl in den nächsten Jahren auf 100.000 wachsen wird", erläutert Gottschlich, die an diesem Netzwerk mitarbeitet. Ein wichtiges Thema sei gegenwärtig die Nachwuchssicherung, insbesondere in den MINT-Berufen. Gemeinsam gehen die beteiligten Firmen an die Schulen, um die Berufe vorzustellen und die guten Arbeitsmarktchancen herauszustellen. "Wir wollen gemeinsam den Teich an Bewerberinnen und Bewerbern größer machen, auch wenn die Firmen später um den Nachwuchs konkurrieren", erläutert Gottschlich. Das Thema liegt ihr am Herzen, das spürt man.

Stärkung des Standorts Silicon Saxony

Die Standortvorteile des Silicon Saxony haben offenbar auch den Vorstand und die Aufsichtsgremien von Infineon überzeugt. Im Februar 2023 haben sie beschlossen, fünf Milliarden Euro in den Aufbau einer neuen Fabrik zur Chipfertigung mit bis zu 1.000 Beschäftigten zu investieren. "Das ist die größte Einzelinvestition in der Unternehmensgeschichte von Infineon", erläutert Fink. Infineon stärkt damit den fünftgrößten Standort für die "Halbleiterei", wie das im Branchenjargon heißt, auch Deutschland als Land der Innovation. 

Das Geschäft von Infineon brummt und ist hochprofitabel, gleichwohl erwartet der Vorstand im Gegenzug für die Investition in den Standort staatliche Beihilfen von bis zu einer Milliarde Euro. Noch liegt keine Zusage vor, doch weltweit gibt es einen Wettlauf um solche Investitionsentscheidungen, die Länder konkurrieren um eine Branche, die für neue Arbeitsplätze und eine Zukunftstechnologie steht. 

"Leistungschips helfen die Energieeffizienz zu verbessern. 17 der 20 Top-Automarken nutzen unsere Bau­teile, in jedem zweiten Windrad steckt unsere Technologie." – Markus Fink, Infineon Technologies

Besonders stolz sind die Dresdner auf die Fertigung der sogenannten Leistungschips, hier haben sie am Weltmarkt die Nase vorne. "Ohne die Leistungschips gibt es keine grüne und keine digitale Transformation", erläutert Fink und verweist darauf, dass diese in E-Ladesäulen, Elektroautos, der intelligenten Verkehrssteuerung oder Windkraftanlagen zu finden sind. "Leistungschips helfen die Energieeffizienz zu verbessern. 17 der 20 Top-Automarken nutzen unsere Bauteile, in jedem zweiten Windrad steckt unsere Technologie", so Fink nicht ohne Stolz. Die große Bedeutung von Infineon für die grüne Transformation wird öffentlich kaum wahrgenommen, auch nicht auf dem Arbeitsmarkt. "Wir werden das künftig deutlich herausstellen", so Fink.

Automatisierung am Standort Dresden

Die Halbleiterindustrie ist ein globales Geschäft, Infineon weltweit an 162 Standorten auf allen Kontinenten tätig. 40 Prozent der Mitarbeitenden arbeiten in Europa. Der Wettbewerb ist hart, Infineon konnte in den letzten Jahren stark wachsen, aber die Arbeitsstrukturen müssen immer wieder angepasst werden, was am Beispiel Dresden deutlich wird. Während in der Chipfertigung vor einigen Jahren noch viel manuelle Arbeit anfiel, die von Ungelernten erledigt werden konnte, wurden diese Arbeiten weitgehend durch Roboter ersetzt. Die Automatisierung in den Reinräumen der Chipfertigung ist weit fortgeschritten. Doch sind damit nicht viele Jobs entfallen, sodass Mitarbeitende abgebaut werden mussten?

Die Personalchefin hat die Transformation des Produktionsprozesses begleitet und verweist darauf, dass durch den Einsatz von Robotern auch viele neue qualifizierte Jobs entstanden sind. "Dass Automatisierung einfach Jobs vernichtet, dieses in der Öffentlichkeit häufig verbreitete Bild ist falsch", erläutert Gottschlich, der diese Aussage besonders wichtig ist. Parallel zur Automatisierung seien am Standort viele neue Jobs entstanden, auch Roboter müssten installiert, gesteuert und gewartet werden. "Die neuen Jobs sind qualifizierter, sie erfordern mehr analytische und methodische Fähigkeiten", so Gottschlich weiter. Von diesen Veränderungen bei den Skills sei aber nicht nur das Fachpersonal betroffen, auch die Führungskräfte. "Sie müssen heute anders führen als früher", so Gottschlich. Die Beschäftigtenbilanz bei Infineon jedenfalls ist trotz oder wegen der Automatisierung positiv. "Wir haben in den letzten Jahren viele neue Arbeitsplätze geschaffen, allein in Dresden sind 1.000 zusätzliche Jobs entstanden", erläutert Fink. 

Die Sicherheitsvorkehrungen an dem Standort sind hoch, das ist beim Rundgang spürbar. Doch in der Öffentlichkeit macht sich die Firma transparent. Die Veröffentlichung des Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichts gehört zum Standard eines Dax-Konzerns, doch die Publikation eines "HR-Reports" mit allen Kennzahlen ist fortschrittlich. Die Firma öffnet sich dem Dialog, auch für Rückfragen, auch zu unangenehmen Themen. Infineon hat sich zum Ziel gesetzt, bei Fach- und Führungspositionen bis 2030 einen Frauenanteil von 20 Prozent zu erreichen. Der Zielwert gehört im DAX zu den niedrigsten, Siemens beispielsweise will 30 Prozent erreichen. Doch das Ziel von 20 Prozent wird mit dem gegenwärtigen Tempo kaum erreicht, seit drei Jahren stagniert der Anteil um die 16 Prozent. Der Personalchef zählt als Ursache Sonderfaktoren wie einen Firmenkauf auf, gibt sich dennoch zuversichtlich: "Wir bauen gezielt eine Pipeline auf, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen und unser Ziel zu erreichen", erläutert er und verweist darauf, dass der Frauenanteil bei Neueinstellungen bei 38 Prozent liegt. 

Investition in Ausbildung

Die Firma engagiert sich für den Nachwuchs. Die Zahl der Auszubildenden in Dresden soll im Herbst von 125 auf 250 erhöht werden. Das ist nicht nur ein Kraftakt für den HR-Bereich, auch für die Berufsschulen in Dresden. "Der Staat muss sich schneller bewegen. Darauf sind wir als Firma angewiesen", fordert Fink und verweist auf fehlende Lehrer und Lehrpläne, die schneller an die Berufswirklichkeit angepasst werden müssten. Die zunehmende Bürokratie sieht er als Bremse für den Fortschritt und klagt über das Nachweisgesetz, das Urteil zur Zeiterfassung oder die Regelungen zum Arbeiten aus dem Ausland. "Das kostet den Staat nichts, macht den Standort Deutschland aber wettbewerbsfähiger", so Fink.


Dieses Kapitel ist Teil der Titelgeschichte aus Personalmagazin Ausgabe 5/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.