Die Realität der digitalen Weiterbildung: Mehr Mut

Immer mehr und immer bessere digitale Lernwerkzeuge kommen auf den Markt. Die Realität des digitalen Lernens in den Unternehmen bleibt jedoch weit hinter den Möglichkeiten zurück. Und das in mehrfacher Hinsicht. Das muss sich dringend ändern, fordert Kolumnistin Gudrun Porath – sonst könnte auch der Stellenwert der Personalentwicklung im Unternehmen leiden.

Kürzlich haben wir in den News auf eine Umfrage zur Realität des digitalen Lernens in Unternehmen in Europa hingewiesen. Die Marktanalysten von Fosway haben sich des Themas angenommen und ein recht gemischtes Fazit gezogen, das auf einige Widersprüche aufmerksam macht. Beginnen wir mit den guten Nachrichten. Auf der positiven Seite steht, dass die Budgets für Lerntechnologien weniger unter Druck stehen als die Budgets für betriebliche Weiterbildung im Allgemeinen. Problematisch erscheint, dass laut Umfrage gleichzeitig formale und Präsenztrainings als effektiver für den Kompetenzerwerb eingeschätzt werden als digitale Lernformate.

Deskless Workforce nicht im Fokus der Weiterbildung

Die Notwendigkeit, auch Deskless Worker, also gewerbliche Beschäftigte ohne eigenen Schreibtisch, in die betriebliche Weiterbildung einzubeziehen, wird zwar erkannt, an der Umsetzung hapert es aber noch. Möglicherweise habe man noch nicht verstanden, was diese Mitarbeitenden brauchen, mutmaßen die Analysten und zeigen sich auch enttäuscht darüber, dass immer noch traditionelle E-Learning-Inhalte und als Lernformate Blended Learning und Workplace Learning im Fokus stehen. Ein Ergebnis, das andere E-Learning-Trendstudien seit Jahren bestätigen.

Relevanz von L&D steht infrage

Die Selbsteinschätzung der L&D-Verantwortlichen, die an der Umfrage teilgenommen haben, ist niederschmetternd. Demnach halten sich nur elf Prozent der L&D-Teams für effektiv! Als Gegenmaßnahme fordern die Analysten, statt auf Standardinhalte zu setzen, auf adaptives Lernen zu achten und den Lernenden Inhalte anzubieten, die für sie persönlich relevant sind, um sich weiterzuentwickeln. Wenn L&D nicht aufpasst und sich weiterhin darauf konzentriert, nur Lernpfade und Playlists zu generieren, so ihr Fazit, werden andere Bereiche wie Talentmanagement und Recruiting Teile der Aufgaben übernehmen.

Wer ist schuld an diesem Dilemma? Sind es die Lernplattformen, von denen nur 45 Prozent der Befragten glauben, dass sie den modernen Anforderungen gewachsen sind? Wohl kaum. Wobei ich gerne zugebe, dass der technologische Fortschritt derzeit so rasant ist, dass man kaum Schritt halten kann. Es dauert eben, bis sich eine Investition auszahlt.

Ziel: die lernende Organisation

Ich möchte an einem anderen Punkt ansetzen, der eigentlich ein Dauerbrenner ist. Ein Kulturwandel hin zum lernenden Unternehmen im Sinne einer Organisation, die in der Lage ist, sich ständig neue Fähigkeiten und neues Wissen anzueignen, um sich an veränderte Bedingungen anzupassen und sich weiterzuentwickeln. Eine Organisation, die den Erwerb und den Austausch von Wissen fördert und Strukturen, Verfahren und eine Kultur schafft, die das Lernen auf individueller, Team- und Organisationsebene ermöglichen.

Eine Organisation, die auf dem Weg in die Zukunft alle mitnimmt, egal ob sie hinter dem Computer sitzen, davor stehen oder im normalen Arbeitsleben gar nicht damit in Berührung kommen, die aber dennoch Experten auf ihrem Gebiet sind, sodass das Unternehmen davon profitieren kann, wenn sie ihre Expertise teilen. Das bedeutet auch, die Perspektive aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf das Thema Lernen einzubeziehen und nicht zu vergessen, dass es immer Menschen gibt, die negative Lernerfahrungen gemacht haben. Hier gilt es, Ängste abzubauen, Menschen zu ermutigen und individuelle Angebote zu machen, die auf Anhieb weiterhelfen. Mitarbeitende tun sich schwer mit Aufgaben, die das Lesen langer Texte erfordern? Inhalte können auch im Podcast-Format oder schrittweise, als aufeinander aufbauende Mini-Podcasts, unter die Leute gebracht werden. Auch Videos im kurzen Tiktok-Format können sich bewähren.

KI unterstützt künftig das Lernen

Künstliche Intelligenz dürfte es in Zukunft noch einfacher machen, adaptives Lernen und personalisierte Lerninhalte anzubieten. Aber die Technologie ist wahrscheinlich nicht unsere größte Herausforderung. Sondern den Mut zu haben, ausgetretene Pfade zu verlassen, auf die Menschen zuzugehen und mit den neuen Werkzeugen zu experimentieren.


Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Zeitschrift "personalmagazin - neues lernen" die Trends auf dem E-Learning-Markt.