Mercedes-Benz: Remote Work eröffnet Zugang zu neuen Talenten

Mercedes-Benz hat mit Beginn der Pandemie auf Remote Work umgestellt – und damit eine neue Dynamik ausgelöst. Eine Rückkehr zur Präsenzkultur wird es nicht geben, sagt Sabine Kohleisen, Personalvorständin beim Autobauer.

Personalmagazin: Frau Kohleisen, mit der Coronapandemie sind auch bei Mercedes-Benz zehntausende Mitarbeitende über Nacht in den Remote-Modus gewechselt. Wie hat sich aus Ihrer Perspektive der Wandel gestaltet? Was ist für die Organisation anders als zuvor?

Sabine Kohleisen: Um das zu verstehen, muss man ein paar Worte zu unserer Vorgeschichte sagen. Bei Mercedes-Benz haben wir bereits seit 2009 eine Betriebsvereinbarung zu mobilem Arbeiten geschlossen, die große Freiheitsgrade ermöglicht. Diese hatten wir 2016 noch einmal erweitert. Insofern waren wir zu Pandemiebeginn in der glücklichen Lage, tatsächlich von heute auf morgen komplett auf virtuelle, mobile Arbeit umstellen zu können. Im ersten Pandemiejahr haben wir dann viele innovative Formate erprobt, von diversen Kollaborationstools über virtuelle Weihnachtsfeiern bis hin zur virtuellen Teamentwicklung. Das war die Entdeckerphase für uns, in der sich auch sehr viele Führungskräfte ganz neu auf das Thema eingelassen haben. Mittlerweile sind wir in einer Art Routine angekommen.

Personalmagazin: Wie geht es für Sie jetzt, gut zwei Jahre nach Beginn der Pandemie, weiter?

Kohleisen: Aus unseren Befragungen wissen wir, dass ein Teil unserer Mitarbeitenden einerseits große Sehnsucht nach Büro, Kaffeeküche und dem gewohnten Austausch mit dem Team hat. Auch das Arbeiten an strategischen oder innovativen Themen wird als umfassender empfunden, wenn es im persönlichen, analogen Kontakt geschieht. Andererseits haben wir viele Mitarbeitende, die sich sehr gut vorstellen können, auch in Zukunft mehrere Tage mobil zu arbeiten. Interessant dabei ist: Die Mehrzahl der Beteiligten erklärt in Umfragen, an ihrer Identifikation mit dem Unternehmen habe sich nichts geändert. Ich glaube, wir sind super durch diese Zeit gekommen – viel besser, als alle erwartet haben.

Die Mehrzahl der Beteiligten erklärt in Umfragen, an ihrer Identifikation mit dem Unternehmen habe sich nichts geändert. Ich glaube, wir sind super durch diese Zeit gekommen – viel besser, als alle erwartet haben. - Sabine Kohleisen

Digital Leadership erfordert neue Führungskräfte-Skills

Personalmagazin: Welche Kompetenzen verlangt es von Ihren Führungskräften – und welche Unterstützung geben Sie ihnen von Unternehmensseite?

Kohleisen: Digital Leadership erfordert erhöhte Sensitivität im Umgang mit Mitarbeitenden. Welche Vereinbarungen muss ich treffen? Wie sorge ich dafür, dass Meetings nicht immer von Punkt 8:00 bis 17:00 Uhr durchgetaktet sind, sondern es Zeiten zum Durchatmen und Nachdenken gibt? Das sind alles Skills, die jetzt verstärkt gefordert sind. Als Unterstützung bieten wir unseren Führungskräften Digital Touchpoints an, die wir in den virtuellen Alltag integriert haben. Das sind tägliche, 30-minütige Formate, bei denen sich die Führungskräfte auch untereinander austauschen können. Diese Angebote sind gerne angenommen worden, weil wir ja alle ohne Vorbereitungszeit ins kalte Wasser geworfen wurden.

Personalmagazin: Wir haben jetzt viel über Herausforderungen gesprochen. Wo sehen Sie die Chancen mobilen Arbeitens?

Kohleisen: Eine große Chance liegt darin, dass wir Zugriff auf ganz andere Talente bekommen. Wir sehen ja, dass bei jüngeren Generationen das Thema Remote Work eine weitaus größere Bedeutung hat als bei denjenigen, die im Büro sozialisiert worden sind. Es gibt sehr viele Mitarbeitende, die gerne weiter remote only arbeiten würden. Durch ortsunabhängiges Arbeiten können wir auch Talente erreichen, die ihren Wohnsitz nicht an die jeweiligen Standorte verlegen möchten, deren Arbeitskraft wir bei Mercedes-Benz aber gut gebrauchen und remote abbilden können.

Remote Work only ist nicht immer zielführend

Personalmagazin: Wie weit wollen Sie den Korridor für Remote Work öffnen? Sind 100 Prozent remote denkbar oder ist die Zielsetzung doch eher eine Mischung aus analoger und virtueller Zusammenarbeit?

Kohleisen: Das kommt auf die Aufgabe an. Es gibt Aufgaben, wo remote only absolut zielführend sein kann. Gleichzeitig gibt es andere Aufgaben, in denen es aus unserer Sicht notwendig ist, dass die Menschen wieder in den Betrieb kommen. Viele tun das sehr gerne. Darüber hinaus werden wir, wenn wir die besten Talente zu uns holen wollen, uns auf Verhandlungen mit ihnen einlassen, um das Bestmögliche für beide Seiten herauszuholen. Worin genau besteht die Aufgabe? Was ist das für eine Führungskraft, wie ausgeprägt sind ihre Fähigkeiten zum Digital Leadership? Und was für eine Person ist es? Was bringt sie mit? In dieser Gesamtbetrachtung werden wir dann versuchen, die bestmögliche Lösung zu finden.

Personalmagazin: Das heißt aber auch für die Führungskräfte, dass sie sich ganz schön strecken müssen. Die Vermittlung zwischen den Zielerwartungen des Unternehmens und den Bedürfnissen der Mitarbeitenden dürfte für viele eine völlig neue Herausforderung sein.

Kohleisen: In unserem Unternehmen mit rund 172.000 Mitarbeitenden haben wir genauso aufgeschlossene Führungskräfte wie auch solche, die es als herausfordernd empfinden, wenn Mitarbeitende jetzt einen großen Teil ihrer Zeit im Remote-Arbeitsmodus verbringen möchten. Manchmal taucht auch die Frage auf: Wie stelle ich denn im Remote-Modus fest, ob ein Mitarbeiter produktiv arbeitet? Meine Gegenfrage lautet dann immer: Wie haben Sie es denn vorher festgestellt? Unsere Erwartungshaltung als Vorstand ist klar: Wir wollen ein neues Normal und nicht zurück zur Präsenzkultur. Geschwindigkeit, Innovation, Pioniergeist, Einbindung von neuen Talenten – das ist die Richtung, in die wir uns bei Mercedes-Benz entwickeln wollen.

In unserem Unternehmen mit rund 172.000 Mitarbeitenden haben wir genauso aufgeschlossene Führungskräfte wie auch solche, die es als herausfordernd empfinden, wenn Mitarbeitende jetzt einen großen Teil ihrer Zeit im Remote-Arbeitsmodus verbringen möchten. - Sabine Kohleisen

Personalmagazin: Wenn Sie jetzt einmal in die Glaskugel schauen: Wo wird Mercedes-Benz in fünf Jahren stehen?

Kohleisen: Es wird bei uns eine gesunde Mischung zwischen Anwesenheit und mobilem Arbeiten geben, die wir für jede Mitarbeitendengruppe sehr spezifisch gestalten. Die Zeit im mobilen Office wird eher der fokussierten Einzelarbeit und dem Information Download gewidmet sein, die Zeit im Büro der Innovation, Inspiration und dem gemeinsamen Arbeiten. Immer dann, wenn es darum geht, etwas Neues zu gestalten, ist persönliche Präsenz häufig noch besser. Aber auch die Tools für die virtuelle Zusammenarbeit entwickeln sich weiter und ermöglichen die gemeinsame kreative Arbeit über räumliche Grenzen hinweg.


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Schlagworte zum Thema:  Recruiting, Mobiles Arbeiten, Leadership