Mercer Global Talent Trends: Neue Anforderungen an Führung

Die gesellschaftliche Veränderung durch die Pandemie stellt die Kernwerte der Unternehmen in Frage. Insbesondere die schnelle Digitalisierung raubt Führungskräften in Deutschland den Schlaf –  und fordert ein neues Führungsverständnis. Das zeigt der Mercer Global Talent Trends Report.

Veränderte Werte von Kunden, Beschäftigten und Investoren durch die jüngsten Krisen und ein nicht zuletzt auch damit verbundener Wandel auf dem Arbeitsmarkt fordert Unternehmen, ihre Kernwerte und Handlungsweisen anzupassen. Das zeigt die Mercer-Studie "Global Talent Trends 2022", für die weltweit fast 11.000 Führungskräfte, Personalleitende und Mitarbeitende befragt wurden.

Partnerschaftliche Zusammenarbeit statt Führung gefragt

Der Global Talent Trends Report 2022 zeigt eine grundlegende Veränderungen in den Ansprüchen an Führungskräfte aus Sicht der Beschäftigten: Sie wollen, so ein Fazit des Reports, nicht mehr für ein Unternehmen arbeiten, sondern mit einem Unternehmen zusammenarbeiten. Dieser Wandel hin zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit bringe mit sich, dass die Beziehung zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern neu bewertet werde. Zuverlässige Unternehmen, so die Studienautoren, würden den Wert von "Partnerschaft" anstelle von "Führung" erkennen und ihre Return-to-Work-Strategien zu nachhaltigen Modellen für die Zukunft der Arbeit weiterentwickeln. Die Dringlichkeit einer solchen Veränderung belegen die Umfrageergebnisse:

  • 96 Prozent der Führungskräfte betrachten den aktuellen Arbeitsmarkt als arbeitnehmerorientiert. 70 Prozent der HR-Verantwortlichen sagen für dieses Jahr eine überdurchschnittlich hohe Fluktuation voraus – vor allem im Hinblick auf jüngere Talente und solche im digitalen Bereich.
  • Fast alle HR-Verantwortlichen (90 Prozent) sind der Meinung, dass noch mehr getan werden muss, um in ihrem Unternehmen eine vertrauensvolle Kultur aufzubauen, zumal viele die Umstellung auf ein hybrides Arbeitsmodell erwägen.
  • Mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden (62 Prozent) würde nur dann für ein Unternehmen arbeiten, wenn sie dort die Möglichkeit haben, aus der Ferne – also remote – oder in einem hybriden Arbeitsmodell zu arbeiten. 74 Prozent glauben, dass ihr Unternehmen mit remote und/oder hybriden Arbeitsformen erfolgreicher sein wird. Im Gegensatz dazu sorgen sich 72 Prozent der Führungskräfte über die Auswirkungen von remote Arbeit auf die Unternehmenskultur.

"Die Zukunft der Arbeit wird nur dann erfolgreich sein, wenn alle Beschäftigten das Gefühl haben, dass sie fair und auf Augenhöhe behandelt werden. Heute fordern nicht nur Wissensarbeitende flexible Arbeitsoptionen, die sich mit ihrem Leben vereinbaren lassen, sondern alle Arbeitnehmenden – von Werkstattarbeitern und -arbeiterinnen bis zu LKW-Fahrerinnen und -fahrern", erklärt Kate Bravery, Autorin des Global Trend Reports und Global Leader für Advisory Solutions & Insights bei Mercer. "Organisationen, die ihren Mitarbeitenden zuhören und bereit sind, die Angebote an die Anforderungen anzupassen, sind offen für neue Arbeitsmodelle: Sie setzen Beschäftigten beispielsweise anhand ihrer Fähigkeiten anstatt von starren Stellenbeschreibungen ein, schaffen eine sinnvolle Balance zwischen menschlicher Arbeit und Automatisierung und sind offen für flexible oder geteilte Rollen. So gelingt es, Talente bestmöglich zu gewinnen und zu binden", ergänzt Michael Eger, Partner HR Transformation, Mercer Central Europe.

Kollektive Arbeitsmüdigkeit als Tribut an die schnelle Digitalisierung

Die Pandemie hat die Einführung neuer Technologien, Geschäftsmodelle und Arbeitsweisen beschleunigt. Zwar, so die Studienautoren, sei die "Zukunft der Arbeit" schon vor Covid 19 eine der großen Herausforderungen für die Unternehmen gewesen, aber eher als langfristiges Unterfangen betrachtet worden. Die Pandemie habe nun den Zeitplan verkürzt und die Dringlichkeit der Umsetzung erhöht. Um innerhalb der sich rasch entwickelnden Arbeitswelt navigieren zu können, müssten Führungskräfte, Manager und Beschäftigte sich auf eine neue Art der Arbeit einstellen, die Produktivität und Leistung aus den traditionellen Grenzen der Arbeitsplätze löst.

Dieses Ausmaß an Veränderungen in extrem kurzer Zeit sowie die Belastung durch die Pandemie selbst haben ihren Tribut gefordert: Der Prozentsatz der Mitarbeitenden, die sich energiegeladen fühlen, ist von 74 Prozent im Jahr 2019 auf 63 Prozent in diesem Jahr gesunken. 81 Prozent der befragten Mitarbeitenden fühlen sich in diesem Jahr von Burnout bedroht. 65 Prozent der Führungskräfte sind der Meinung, dass sie durch die Automatisierung von HR-Prozessen den wertvollen Kontakt zwischen HR und dem Unternehmen verloren haben.

Fast alle Organisationen (97 Prozent) planen in diesem Jahr eine unternehmensweite Transformation, aber die Arbeitsmüdigkeit der Mitarbeitenden wird in den Augen aller Befragten als größtes Hindernis für die Umsetzung dieser Umgestaltung genannt. Insbesondere in Europa gehört die schnelle digitale Entwicklung zu den Top-Sorgen der Führungskräfte – 41 Prozent der befragten Führungskräfte in Deutschland zählen sie zu den Faktoren, die ihre Planungen in den nächsten drei Jahren am stärksten beeinflussen werden. "Angesichts des niedrigen Energieniveaus ist eine kollektive Arbeitsmüdigkeit festzustellen, die sich auf die Produktivität auswirkt", sagt Bravery. "Technologie trägt einerseits zur Ermüdung bei, andererseits ist sie Teil der Lösung. Unternehmen müssen die digitale Akzeptanz erhöhen, ihre strategischen Visionen besser kommunizieren und organisatorische Komplexität angehen. Dies erfordert es, die Erfahrungen, die Menschen im Rahmen ihrer Arbeit machen, stärker an den Erlebnissen aus ihrem normalen Alltag anzupassen."

Unternehmen in Deutschland sehen sich gegen erneute Pandemie gut aufgestellt

Weniger Sorgen bereitet deutschen Führungskräften die Gefahr, dass das eigene Unternehmen einer neuen Pandemie nicht standhalten könnte. Während 40 Prozent der weltweit befragten Führungskräfte die unternehmenseigene Resilienz gegenüber einer erneuten Pandemie als eine ihrer größten Sorgen bezeichnen, sind es in Deutschland nur 27 Prozent. "Offensichtlich hat die operative Umstellung in vielen Unternehmen gut funktioniert – und die Wirtschaft sich als vergleichsweise robust erwiesen", interpretiert Eger die Studienergebnisse.

Eher wird in Deutschland eine Unterbrechung der Lieferketten bei einer erneuten Pandemie als großes Problem gesehen - eine Sorge von 44 Prozent der deutschen Führungskräfte, die weltweit nur von 30 Prozent geteilt wird. Dazu Eger: "Diese Abweichung bei den Herausforderungen sehen wir auch ganz konkret bei unseren Kunden. Deutschland als Exportnation mit Industrien wie Maschinenbau und Automotive ist in hohem Maße von funktionierenden Lieferketten abhängig. Das Thema wird durch Covid und mittlerweile den Ukrainekonflikt überstrahlt und zeigt sich auch bei den Challenges."


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Schlagworte zum Thema:  Resilienz, Digitalisierung