Virtuelles Arbeiten bei der EWE AG

Die Pandemie wirkte beim Energieversorger EWE wie ein Booster für Digitalisierung und Transformation. Wie es danach weitergehen soll, finden Vorstand und Mitarbeitende gerade gemeinsam heraus. Marion Rövekamp, Vorständin Personal und Recht bei der EWE AG, erklärt Mittel und Wege.

Personalmagazin: Wir wollen mit Ihnen über das "Neue Normal" sprechen, daher interessiert uns brennend, wie bei der EWE AG eigentlich das "Alte Normal" aussah. Markierte die Pandemie einen Bruch fürs Unternehmen oder hat sich letztendlich gar nicht so viel verändert?

Marion Rövekamp: Im Gesamtkonzern hatten wir schon vor der Pandemie Regelungen zu mehr mobilem Arbeiten. Als ich 2018 zur EWE AG kam, gab es hier bereits eine richtig gute Pilotvereinbarung, die wir dann zusammen mit den Betriebsräten in eine Regelvereinbarung überführt haben. Viele fanden das gut, andere waren eher zurückhaltend. Insofern waren wir ein Stück weit vorbereitet.

Erweiterte Rahmenarbeitszeiten zur besseren Kinderbetreuung

Personalmagazin: Dann kamen der März 2020 und die Pandemie. Was geschah dann?

Rövekamp: Im März 2022 haben wir mit Unterstützung unserer Tochtergesellschaften BTC und EWE TEL unser System sehr schnell auf Remote Work umgestellt. Zusammen mit den Betriebsräten haben wir außerdem unsere Rahmenarbeitszeiten erweitert, denn in den ersten Pandemiemonaten waren ja allerorten die Kindergärten geschlossen. Diese Flexibilität kam bei der Belegschaft extrem gut an. Bei uns können Mitarbeitende heute in Abstimmung mit ihrer Führungskraft mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit mobil erledigen.

Personalmagazin: Eine Frage, die mit mobilen Arbeitsmodellen automatisch aufpoppt, ist die Frage nach der Erreichbarkeit. Manche Unternehmen beantworten sie sehr detailliert in ihrer Betriebsvereinbarung, andere lassen ihren Teams maximale Freiheit. Wo steht hier die EWE AG?

Rövekamp: Irgendwo in der Mitte. Und den Weg haben bei uns die Mitarbeitenden selbst definiert. Im Herbst 2020, als wir alle glaubten, schnell aus der Pandemie herauszukommen, haben wir ein Team von Mitarbeitenden unterschiedlichster Bereiche und Hierarchiestufen gebeten, zu überlegen, wie denn unsere neue Normalität aussehen könnte und welche Rahmungen diese brauchen würde. Dieses Team hat dann elf Leitplanken entwickelt, von denen eine der wichtigsten lautet: "Mobiles Arbeiten ist gleichwertig zur Arbeit in Präsenz." Eine weitere Leitplanke besagt, dass alle ihren Beitrag leisten müssen und die Teams für die Ergebnisse verantwortlich sind. Wie das am besten geht, handeln die Teams selbst aus.

Dieses Team hat dann elf Leitplanken entwickelt, von denen eine der wichtigsten lautet: Mobiles Arbeiten ist gleichwertig zur Arbeit in Präsenz." - Marion Rövekamp

Virtuelles Arbeiten verlangt eine zugewandte Führung

Personalmagazin: Wie ist dieser Aushandlungsprozess konkret bei Ihnen gelaufen?

Rövekamp: Unser Team "Neue Normalität" hat auf einem Miro-Board eine Struktur entwickelt, die vorzeichnet, wie sich die Teams für eine neue Normalität verabreden können. Zum Teil hat das Team "Neue Normalität" diese Workshops auch moderiert, teils haben das die Führungskräfte oder Teammitglieder selbst übernommen. Übrigens haben es bis heute noch nicht alle Teams gemacht. Wir haben deshalb schon nachgehakt, wir müssen ja alle in der neuen Normalität ankommen.

Personalmagazin: Wo sehen Sie die Reibungspunkte in der neuen Arbeitswelt?

Rövekamp: Die stärksten Spannungsfelder entstehen da, wo man zu spät merkt, dass manche Dinge sich eben nicht von selbst ergeben – auch, wenn so vieles sich während der Pandemie quasi "automatisch" ergeben zu haben scheint. Das liegt unter anderem daran, dass durch die Organisation über Videokonferenzen heute alle so eng getaktet sind, dass manchmal kaum Zeit zum Luftholen bleibt. Eine weitere Erkenntnis der letzten Monate ist: Virtuelles Arbeiten verlangt eine Führung, die deutlich zugewandter ist.

Die stärksten Spannungsfelder entstehen da, wo man zu spät merkt, dass manche Dinge sich eben nicht von selbst ergeben – auch, wenn so vieles sich während der Pandemie quasi 'automatisch' ergeben zu haben scheint." - Marion Rövekamp

Personalmagazin: Nennen Sie doch mal ein Beispiel.

Rövekamp: In der Präsenzwelt kommt man automatisch miteinander ins Gespräch, sei es am Kaffeeautomaten, sei es auf dem Büroflur. Virtuell passiert das nicht mehr so einfach. Also müssen Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden aktiv virtuelle Runden vereinbaren, bei denen sie sich einfach auch nur mal so austauschen, also miteinander zu Mittag essen oder einen Kaffee trinken. Oder eine Führungskraft ruft eine andere Führungskraft an und sagt: "Wir haben lange nicht gesprochen, wie geht es dir?" Mitarbeitende sollten dies genauso tun, auch wenn es vielleicht ungewohnt erscheint.

Virtuelle Zusammenarbeit als Chance für ruhigere Mitarbeitende

Personalmagazin: Wir haben jetzt viel über Spannungen und Schwierigkeiten gesprochen. Welche Chancen für EWE sehen Sie in Remote Work?

Rövekamp: Die virtuelle Zusammenarbeit eröffnet sehr viel mehr Menschen eine Möglichkeit, sich einzubringen. Zum Beispiel dadurch, dass sie in virtuellen Meetings sehr einfach die Hand heben und zu Wort kommen können. Das ist in Präsenzmeetings ja häufig anders: Da sind diejenigen, die sich gern äußern, immer schnell dabei, während die etwas ruhigeren oder leiseren Mitarbeitenden oftmals weniger Gehör finden. Allerdings bin ich sicher: Wenn wir diese Meeting-Kultur vor zwei Jahren angeordnet hätten, hätte das nicht funktioniert.

Die virtuelle Zusammenarbeit eröffnet sehr viel mehr Menschen eine Möglichkeit, sich einzubringen. Zum Beispiel dadurch, dass sie in virtuellen Meetings sehr einfach die Hand heben und zu Wort kommen können." - Marion Rövekamp

Remote Work bei EWE: 33, 66 oder 99 Prozent

Personalmagazin: Warum nicht?

Rövekamp: Ganz einfach: weil alle gesagt hätten, dass das nicht funktionieren kann. Corona hat uns einen Schubser gegeben, durch den wir uns alle weiterentwickelt haben. Und darin liegt vielleicht die größte Chance: dass die Sorge, Digitalisierung könnte eine so grundlegende Veränderung auslösen, dass man nicht mehr mitkommt oder die Aufgaben nicht mehr zu bewältigen sind, sich vielleicht nicht in Luft auflöst, aber zumindest stark relativiert.

Personalmagazin: Wenn Sie jetzt perspektivisch in die Zukunft schauen: Welches Arbeitsmodell sehen Sie in fünf Jahren vor Ihrem geistigen Auge? Wohin geht die Reise für EWE?

Rövekamp: Wir haben jetzt drei Korridore für mobiles Arbeiten definiert: bis zu 33 Prozent, 66 Prozent oder 99 Prozent der jeweiligen Arbeitszeit. Dabei werden wir sicher eine Ausgewogenheit zwischen Remote Work und Arbeiten in Präsenz finden müssen. Ich glaube, das wird noch eine Herausforderung, weil im Moment viele Dinge im Raum stehen und wir eben auch kontinuierlich die individuellen Wünsche der Mitarbeitenden, die sich während der Pandemie konkretisiert haben, mit den betrieblichen Notwendigkeiten abgleichen müssen.


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