Führen auf Distanz: Neue Freiheiten und bewährtes Miteinander

Für die einen ist es ein notwendiges Übel, für die anderen eine große Chance, für alle aber ein riesiges Experiment: Die Coronapandemie machte Führung auf Distanz über Nacht zur neuen Realität. Für Führungskräfte bringt virtuelles Führen zunächst einen zeitlichen und organisatorischen Mehraufwand mit sich. Wodurch dieser entsteht, beleuchtet eine Studie von Meta Five.

Veränderungen im Arbeitsumfeld verlangen immer nach Veränderungen im Führungshandeln. Die Coronakrise brachte eine ganze Reihe von tiefgreifenden und langfristigen Veränderungen mit sich. Personaler aus unterschiedlichen Branchen berichten davon, dass der Zeitbedarf für Führung deshalb deutlich erhöht sei und quantifizieren diesen mit einem Plus von 30 bis 50 Prozent. Wohin fließt dieser Mehraufwand? Und wie können Führungskräfte optimal unterstützt werden?

Diesen Fragen sind wir in der Meta Five Jahresstudie 2020/2021 nachgegangen und stellen in diesem Beitrag vor, wie sich das "Mehr an Arbeit" inhaltlich klarer beschreiben lässt. Rund 100 Personaler und Führungskräfte unterschiedlicher Organisationen und Branchen nahmen Ende 2020 an der Studie teil. Die Vielfalt der Arbeitsrealitäten spiegelt sich in den Beschreibungen der Teilnehmenden wider: Während einige Organisationen verstärkt agil arbeiten, setzten andere auf geradlinige und strukturierte Prozesse. Diese Unterschiedlichkeit spiegelt sich auch im Hierarchieempfinden der Befragten wider und reicht von steil bis flach.

Führen auf Distanz verursacht zeitlichen und organisatorischen Mehraufwand

Alle Befragten berichten von einem Digitalisierungsschub in ihren Unternehmen. Verantwortlich für den Mehraufwand an Führungsarbeit sei die Zusammenarbeit auf Distanz. Die Kommunikation sei effizienter, aber auch engmaschiger und schneller geworden: Anstatt sich einmal die Woche für mehrere Stunden zu treffen, gibt es nun häufigere und dafür kürzere Zeitfenster. Methoden des agilen Arbeitens wie "Daily Stand-up", Retros und selbstorganisierte Teams erleichtern die Arbeit - allen voran solche, die im virtuellen Raum umsetzbar sind. Große Einschränkungen werden dabei im zwischenmenschlichen Miteinander beschrieben. Einhellig machen sich die Befragten Sorgen, dass Zusammengehörigkeitsgefühl und Bindung ans Unternehmen leiden, wenn die kollegiale Zusammenarbeit beschränkt wird auf einen kurzen, formellen Austausch arbeitsrelevanter Inhalte. Entsprechend fließt der zeitliche Mehraufwand vor allem in die Aufgabe, Formate zu finden, die dies verhindern. Spitzenreiter sind:

  • den Mitarbeitenden die Möglichkeit zum Austausch einzuräumen, auch wenn die Führungskraft nicht da ist. Hier stimmten 74,5 Prozent der Befragten "eher" bis "voll und ganz" zu, einen Mehraufwand an Zeit zu investieren.
  • das Schaffen expliziter virtueller Formate für den informellen Austausch unter Mitarbeitenden. Hier stimmten 65,6 Prozent der Befragten "eher" bis "voll und ganz" zu, mehr Zeit zu investieren.

Hier macht sich eine Veränderung besonders deutlich bemerkbar: Während sich noch vor Kurzem viele Unternehmen besorgt zeigten, dass ein Zuviel an informellem Austausch die Arbeitseffizienz der Mitarbeitenden reduzieren könne, wandelt sich nun das Bild. Verbote, Firmenequipment für Zwecke, die nicht unmittelbar der Kernarbeit dienen, zu nutzen, wirken aus der Zeit gefallen. Zeit für zwischenmenschliche Themen zu schaffen, ist inzwischen Führungsaufgabe geworden.

Damit einher geht ein notwendiges Vertrauen in die Mitarbeitenden, denen mehr Eigenverantwortung eingeräumt wird, insbesondere bei der Möglichkeit, mobil zu arbeiten. Dieses Vertrauen ist nicht gleichzusetzen mit einem Ausbleiben von Führung. Stattdessen gilt es sorgsam zu planen, wer wann wie in einen Austausch eingebunden wird. Das gelingt nicht jeder Führungskraft und solche, die Wichtiges gerne zwischen Tür und Angel besprechen, können dies nun ohne Live-Begegnungen nicht mehr tun. Ein Befragungsteilnehmer spricht hier von einem "Brennglas-Effekt": Führungskräfte, die eher zufällig als geplant führen, fallen negativ auf.

Krise stellt Rollenverständnis von Führungskräften infrage

Gilt es also, das Rollenverständnis zu überdenken? Die Befragten beschreiben Führungskräfte vor allem als Lernende im Umgang mit der Krise (73,8 Prozent stimmen "eher" bis "voll und ganz" zu) und als starkes Vorbild (73,2 Prozent stimmen "eher" bis "voll und ganz" zu). Nur wenige sehen sie als Kontrolleure, die Fortschritte von Mitarbeitenden überprüfen (39,7 Prozent stimmen "eher" bis "voll und ganz" zu). Bei 28 Prozent trifft ein traditionell hierarchisches Vorgehen auf Anforderungen, denen es nicht gerecht werden kann. Ein Befragungsteilnehmer stellt fest: "Eine Kulturveränderung hat noch nicht stattgefunden. Sie ist maximal angestoßen worden. Es gibt sicher die Erfahrung, dass Dinge sich verändert haben, die vor der Coronakrise als schwer veränderbar galten. Das Thema Führungskultur wurde im Hinblick auf die veränderten Rahmenbedingungen noch nicht systematisch reflektiert."

Gleichzeitig stellt sich die Frage, welchen Aufgaben Führungskräfte künftig mehr Aufmerksamkeit schenken müssen, um den veränderten Rahmenbedingungen gerecht zu werden? 99 Prozent der Befragten sehen Unterstützungsbedarf bei der Kommunikation sowie Formaten, die den Austausch fördern. Außerdem sagen 87 Prozent, es sei wichtig, Rahmenbedingungen für virtuelles Arbeiten wie die technischen und räumlichen Voraussetzungen im Homeoffice sicherzustellen. Weitere 86 Prozent halten es für notwendig, neue und innovative Formate für Meetings zu entwickeln. Lediglich zwei von zehn Befragten halten es für sinnvoll, Abläufe und Prozesse aus der Präsenzarbeit in die virtuelle Zusammenarbeit zu übertragen. Hier zeigt sich deutlich der Wunsch, bestehende Arbeitsweisen zu hinterfragen und neue auszuprobieren.

Führung auf Distanz wird Teil des Alltags

Auf die Krise wurde rasch mit einer beschleunigten Digitalisierung reagiert, die viel Aufwand mit sich brachte. Noch ist nicht erkennbar, welche Maßnahmen sich auch langfristig bewähren werden. Die Vermutung liegt nahe, dass die einen rasch zurückfinden wollen zum kollegialen Miteinander mit reellen Begegnungen beim Kaffee, während die anderen die Freiheitsgrade behalten wollen, die das eigenständige Arbeiten im Homeoffice mit sich bringt.

Wie wird sie wohl sein, die neue Normalität nach Corona? Und wie wird es den Führungskräften gelingen, die alte und die neue Welt miteinander zu vereinen? Klar ist: technische und organisatorische Konzepte greifen zu kurz; es gilt auch grundsätzliche Fragen zu stellen. Führungsinhalte müssen kritisch reflektiert und die Ziele virtueller Führung neu formuliert werden, damit sich langfristig neue Führungsidentitäten entwickeln können, die die virtuelle Welt integrieren und nicht nur als notwendiges Übel akzeptieren. Hier stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung.


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