Vergleich: Aufgaben der Führungskräfte in und nach der Krise

Lockdown und internationaler Stillstand stellen die Wirtschaft vor die größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg. Mit bewährten Patentrezepten können Unternehmen nicht antworten. Führung muss neu gedacht werden. Was sind die wichtigsten Herausforderungen für Führungskräfte in und nach der Corona-Krise?

Es gibt eine Vielzahl an Varianten, Führung zu definieren. Wir wollen uns in diesem Kontext weniger auf die Wesensmerkmale und eine wissenschaftliche Meta-Ebene konzentrieren, sondern in konkreten Anforderungen beschreiben, was Führung jetzt und zukünftig leisten muss, um Unternehmen durch die Krise zu navigieren und sie nach deren Überwindung neu auszurichten.

Führung in der Krise: Die wichtigsten Themen für das Top-Management

Virtuell führen: Technik hat in rasanter Geschwindigkeit einen vollständigen Umstieg auf Videokonferenzen ermöglicht. Wir können uns wiedersehen, virtuell gemeinsam sein. Die Herausforderung an Führungskräfte steigt damit immens. "Zwischen Tür und Angel" gibt es nicht mehr. Ein gemeinsamer Raum, der uns "gemein macht", existiert nicht mehr. Die eine sitzt wochenlang allein in der balkonlosen Stadtwohnung. Der eine in der Vorstadt, aber dauerhaft mit zwei kleinen Kindern, für die eine gewohnte Betreuung fehlt. Wer jetzt führt, muss diese und viele andere Unterschiede erkennen. Sie in Einzelgesprächen thematisieren. Zuhören. Helfen. Die Führung qua Generalanweisung funktioniert nicht mehr. Nie mussten Führungskräfte sich so individuell mit jedem einzelnen auseinandersetzen.

Engagement sicherstellen: Individuelle Führung ist vor allem auch wichtig, um Motivation und Engagement hochzuhalten. Belastungen, Unsicherheiten und Isolation führen schnell dazu, dass die Produktivität leidet. Weil sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr wie zuvor auf ihre Arbeit konzentrieren können. Sorgen können Führungskräfte nicht vollständig nehmen, aber Perspektiven aufzeigen. Nie war es notwendiger, über Hoffnung und Vision zu führen. Nur wem es auch in anscheinend auswegloser Lage gelingt, ein Licht am Ende des Tunnels aufzuzeigen, kann seine Mannschaft langfristig motivieren.

Eigenresilienz stärken: Hoffnung kann nur derjenige verbreiten, der sie auch selbst erspürt. Sonst bleibt es schnell bei einer Erzählung, die früher oder später als nicht glaubwürdig abgetan wird. Wer in der jetzigen Zeit führt, der sollte und muss zunächst sich selbst überzeugen. Sich realistisch eingestehen, wie die Lage wirklich ist. Und gleichzeitig die Fähigkeit haben, auf dieser Basis eine neue Vision zu entwickeln. Dazu müssen die eigene Angst und Unsicherheit überwunden werden. Es zeigt sich jetzt, wer diese Resilienz mitbringt. Die ist auch gerade dann notwendig, wenn schwere Entscheidungen anstehen.

Entscheidungen treffen: Es ist die oberste Pflicht jeder Führungskraft, zum (ökonomischen) Wohl des eigenen Unternehmens zu entscheiden. Das schließt auch psychologisch schwierige Entscheidungen wie Entlassungen, Kürzungen und harte Sparmaßnahmen mit ein. Jetzt nicht zu entscheiden, ist dabei der größere Fehler als vielleicht eine Entscheidung zu treffen, die man später revidieren muss. Führungskräfte müssen sowohl die seelische Ruhe als auch den intellektuellen Überblick haben, ihre Optionen genau zu überdenken. Ihre Entscheidung zu treffen. Und diese dann vehement umzusetzen.

Führung nach der Krise: Das wird Top-Managern abverlangt werden

In Unsicherheit handeln: Auch wenn Agilität zuletzt immer mehr zu einem omnipotenten Modewort verkommen ist. Dieses Wort umschreibt am besten das Entscheiden und Handeln von Führungskräften nach der Krise. Mit erhöhter Sicherheit auf den Märkten kann man nach heutigem Stand nicht mehr rechnen. Das heißt, wer führt, muss in einem Szenario gesteigerter Unsicherheit entscheiden. Und – analog zum obigen Szenario in der Krise – auch immer wieder Entscheidungen revidieren. Immer häufiger auch sehr grundsätzlich. Dies setzt nicht nur Resilienz, sondern vor allem Agilität voraus. Agilität im Denken, Agilität im Handeln, Agilität im Lernen. Wer nicht bereit dazu ist, unter immer wieder neuen Rahmenbedingungen Situationen ständig neu zu bewerten, wird nach der Krise nicht mehr relevant sein.

Kompromisse aushalten: Sie sind das Schmiermittel der Politik: Kompromisse. Wo keine klaren Mehrheiten sind, kann niemand seine maximale Position durchsetzen. Von niemandem geliebt und doch absolut notwendig. Von der Wirtschaft oft gescholten. Und doch wage ich zu prophezeien, dass der Kompromiss auch in der Wirtschaft immer wichtiger werden wird. Die Stakeholder werden ständig mehr und diverser, die Rahmenbedingen ändern sich rasend schnell, Ökologie, Ökonomie und Soziales lassen sich gerade in traditionellen Modellen der Wirtschaft schwer zusammenbringen. Und dennoch wird genau das heute von Unternehmen und ihren Anführern erwartet. Ohne Kompromisse werden diese Konflikte nicht zu lösen sein.

Vision klar kommunizieren: Das, was wir bisher unter Strategie verstehen, wird künftig kaum noch möglich sein. Dafür sorgen die hier dargelegte Unsicherheit und Komplexität. Wer da mit einer klassischen Unternehmensstrategie, auf mehrere Jahre angelegt, mithalten will, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit rechts und links zugleich von der Realität überholt. Die Zukunft gehört dem "Purpose" und der Vision. Das "Warum" des Unternehmens muss klar beantwortet und kommuniziert werden, um die langfristige Perspektive aufzuzeigen. Das ermöglicht es, immer und immer wieder Anpassungen in einer neuen, deutlich kurzfristiger gedachten Strategie vorzunehmen. Führungskräfte müssen die Fähigkeit haben, in diesen größeren Zusammenhängen zu denken und die Fähigkeit, darüber zu sprechen.

Vertrauen zurückgewinnen: Führen nach der Krise heißt vielfach faktisch Führen aus der Defensive. Kunden wurden vielleicht verprellt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen Sparmaßnahmen erst einmal verdauen, Investoren haben Geld verloren. Auch wer all das hier dargelegte in der Krise richtig gemacht hat: Die Möglichkeit eines Vertrauensverlustes ist eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich. Darum müssen Führungskräfte nach der Krise intensiv daran arbeiten, genau dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Oder es noch intensiver zu stärken, um künftigen Krisen vorzubauen. Führen nach der Krise heißt darum Demut beweisen. Nach vorn gehen, aber trotzdem empathisch verdeutlichen, dass man die Vergangenheit nicht auf sich beruhen lässt.

Herausforderungen sind nach jahrelangem Wachstum nun andere

Ich sehe und spreche täglich eine Vielzahl an Führungskräften. Seien Sie versichert: Die hier dargelegten Punkte haben bisher selten einen solch wichtigen Platz bei der Bewertung einer Führungskraft erhalten – denn die Herausforderungen waren in einem mehr als zehn Jahre langen Wachstumsmarkt andere. Natürlich waren sie auch teils mehr, teils weniger vorhanden. Häufig eher hintergründig. Jetzt sind sie im Vordergrund.

Kompetenzen der Führungskräfte sorgen für einen Wettbewerbsvorteil

Darum sollten Unternehmen jetzt damit beginnen, genau zu überprüfen, welche ihrer Führungskräfte mit den entsprechenden Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften ausgestattet sind, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Und wo das notwendige Potenzial vorhanden ist, diese notwendigen Kompetenzen zu erlernen. Nur wer jetzt die richtigen Führungskräfte selektiert und gezielt weiterentwickelt, wird künftig die richtigen Entscheider am richtigen Platz haben - und damit einen gewichtigen Wettbewerbsvorteil auf seiner Seite.


Zum Autor: Hubertus Graf Douglas ist der Deutschland-Chef der internationalen Personal- und Organisationsberatung Korn Ferry. In seiner Funktion ist Douglas auch Mitglied des EMEA-Führungsgremiums. Vor seiner Zeit bei Korn Ferry war er als Partner bei dem Beratungsunternehmen Spencer Stuart tätig.

Schlagworte zum Thema:  Leadership, Mitarbeiterführung, Homeoffice