Marktübersicht Payroll: Wenn die Lohnabrechnung lockt

Die deutsche Lohnbuchhaltung zählt zu den komplexesten weltweit. Da verwundert es kaum, dass sich neben den etablierten Lösungsanbietern bislang nur wenige Newcomer an diesen Prozess gewagt haben. Das könnte sich nun ändern. Denn während vielen Unternehmen die Payroll-Spezialisten ausgehen, nimmt die Komplexität weiter zu. Das verhilft dem Markt zu neuer Attraktivität und ruft neue Anbieter und Investoren auf den Plan.

Die Lohn- und Gehaltsabrechnung, neudeutsch Payroll, rückt in Deutschland zunehmend in den Fokus von Analysten, Anbietern und auch Investoren. Dabei prägen zwei Faktoren das Marktgeschehen und die Entwicklung.

Faktor eins ist der inzwischen eklatante Mangel an Fachkräften für diese Disziplin. Der demografische Wandel trifft die Lohnbuchhalter härter als andere Berufsgruppen. In den nächsten 15 Jahren gehen der Berufsstatistik der Steuerberaterkammer zufolge rund 57 Prozent aller heute tätigen Steuerberater in Rente. Mehr als die Hälfte davon (27 Prozent) stehen bereits kurz vor dem Ruhestand. Betroffen sind davon insbesondere kleine und mittelständische Betriebe (KMU), die in den meisten Fällen ihre Lohn- und Gehaltsabrechnung über einen Steuerberater abwickeln. Die Lohnbuchhaltung ist für viele Steuerberater ein unliebsames Geschäft, da es wenig strategisch und profitabel ist und Stellen mit entsprechender Qualifikationsanforderung zunehmend schwerer zu besetzen sind. 

Der zweite Faktor sind die fortlaufenden Anpassungen der ohnehin schon komplexen Regularien. Denn die Lohnbuchhaltung in Deutschland gehörte schon immer zu den anspruchsvollsten weltweit. 

Payroll: Komplexer geht es kaum

Dem Global Payroll Complexity Index (GPCI) 2023 des Software-Unternehmens Alight zufolge liegt Deutschland auf Rang zwei der 40 Länder mit der höchsten Komplexität der Payroll. Noch komplizierter ist die Lohnbuchhaltung lediglich in Frankreich. "Jedes Land hat seine eigenen Gehaltsabrechnungsstrukturen, -vorschriften und -anforderungen. Das macht es internationalen Unternehmen immer schwerer, mit den sich ändernden Gehaltsabrechnungsvorschriften und den sich entwickelnden Bedürfnissen der Mitarbeiter Schritt zu halten", wird Cesar Jelvez, Chief Global Payroll Officer bei Alight, in einer Pressemitteilung des Unternehmens zitiert. 

Die niederländische Payroll-Expertin Anita Lettink, die häufig mit Kunden an länderübergreifenden HR-Tech-Projekten arbeitet, sagt: "Unternehmen entscheiden sich oft für einen zentralen HR-Datenspeicher mit lokalen Lösungen für Lohn- und Gehaltsabrechnung, Arbeitszeit und Sozialleistungen. Glaubt man Lettink, ist die Gesetzgebung in Europa zu unterschiedlich, um überhaupt an eine integrierte HR-Lösung zu denken, die über die Kern-HR-Daten hinausgehe. Angesichts des Mangels an Lohnbuchhaltern suchten die Unternehmen nach lokalen Lohnbüros und Outsourcing-Dienstleistern, die wiederum auf lokale Payroll-Software setzen. "Die Mehrheit der KMUs wird diesen Weg gehen", ist Lettink sich sicher.

Das bestätigt auch HR-Tech-Experte Thomas Otter: "Die Anbieter überschätzen in der Regel die funktionalen Ähnlichkeiten zwischen den Ländern. Der Erfolg in einem Mark bedeutet noch lange nicht, dass das Produkt problemlos auf einen anderen übertragbar ist." Das zeigt der Fall des französischen Startups Payfit, das sich nach großen Internationalisierungsplänen inzwischen aus dem deutschen Markt zurückziehen musste. Selbst der Softwareriese SAP habe rund ein Jahrzehnt benötigt, um seine Payroll-Lösung in den Vereinigten Staaten zu stabilisieren, so Otter. 

Anbieterlandschaft für Payroll in Bewegung

Der zunehmende Mangel an Fachkräften hat eine zunehmende Konsolidierung bei Steuerberatungskanzleien zur Folge. Zugleich zeigen sich Steuerberatungen zunehmend offen dafür, die Lohnbuchhaltung abzugeben. Der Grund: Das Geschäft erscheint ihnen nicht mehr lukrativ. Gleiches gilt für die KMUs, die ihre Lohnbuchhaltung bislang inhouse umgesetzt haben. Sie befürchten Kompetenzlücken, wenn entsprechende Stellen aufgrund von Krankheit oder Verrentung nicht oder nur schwer nachbesetzt werden können. In beiden Fällen begünstigt das ein Outsourcing der Lohnbuchhaltung an spezialisierte Lohnbüros oder auch an Software-Anbieter. Bisher auf Software fokussierte Anbieter ergänzen neben einem reinen Softwareangebot ein eigenes Full-Service-Outsourcing, um bisherige Unternehmenskunden nicht an Wettbewerber zu verlieren, die verstärkt mit Outsourcing-Partnern zusammenarbeiten.

Die laufenden Anpassungen der Gehaltsabrechnungsvorschriften wiederum führen zu hohem wiederkehrendem Aufwand sowohl bei den Software-Anbietern (Anpassungen der Lösungen, regelmäßige (Re-)Zertifizierung der ITSG, Weiterbildung der Mitarbeitenden) als auch Lohnbüros und Outsourcing-Partnern. Dies hatte laut Marktexperten einen starken Rückgang bei der Anzahl der Payroll-Anbieter zur Folge. Noch vor fünf Jahren verfügten mehr als 100 Anbieter über eine ITSG-Zertifizierung. Inzwischen sind es nur noch knapp 60, Tendenz weiter sinkend. Auch subkritische Lohnbüros haben es schwer, mit allen Anpassungen Schritt zu halten. Erst ab einer gewissen Anzahl an Mitarbeitenden, die eine Spezialisierung der Lohnabrechnenden zulässt, kann eine kompetente und fehlerminimierende Betreuung der Kunden sichergestellt werden. Das heißt: Lohnbüros brauchen eine gewisse Größe, Erfahrung und Agilität, um in diesem Markt bestehen und von der Digitalisierung profitieren zu können.

Eine Marktübersicht der Anbieter von Lohn- und Gehaltsabrechnungen finden Sie hier zum Download.

Produktivität in der Lohnabrechnung steigern

Die Marktentwicklungen zeigen: Die Anzahl der Fachkräfte und Anbieter, die Lohn- und Gehaltsabrechnung in Deutschland noch machen können und wollen, nimmt stetig ab. Unternehmen laufen damit auf einen Engpass zu. Der einzige Ausweg besteht darin, die Produktivität der Fachkräfte drastisch zu erhöhen. Softwarelösungen sowie digitale Prozesse werden somit zur notwendigen Voraussetzung.

Software für die Lohnbuchhaltung gehört seit jeher zu den Kerndisziplinen von HR-Software. So verwundert es kaum, dass gleich vier Anbieter von Payroll-Lösungen dem Wirtschaftsinstitut Wolfgang Witte zufolge unter den fünf umsatzstärksten Softwareanbietern in Deutschland rangieren: Datev, P&I, ADP und Atoss. Lediglich der Branchenprimus SAP steht noch besser da. Da kein Unternehmen ohne eine funktionierende Lohnbuchhaltung auskommt und die Wechselraten ("Churn) niedrig sind, finden Investoren zunehmend Gefallen an diesem Marktsegment. 

Gleichzeitig sind die Markteintrittsbarrieren für neue Anbieter so hoch wie in kaum einer anderen Sparte von HR Tech. Die Gründe dafür sind die Komplexität der Vorschriften, die zeitaufwendigen (Re-)Zertifizierungen sowie die mangelnde Wechselbereitschaft vieler Kunden. So finden sich zahlreiche Beispiele vielversprechender Newcomer, die sich nicht behaupten konnten. Payfit musste sich trotz hoher Investitionen aus dem deutschen Markt zurückziehen, Vyble ist es nicht gelungen, sein Modell zu skalieren und wurde folglich von Zalaris übernommen. 

Payroll-Software: Angriff mit Ansage

Nun wagt mit Personio erneut ein hoch gewettetes Scaleup den Markteinstieg. Bereits seit der Übernahme des spanischen Unternehmens Rollbox, einem Anbieter von automatisierten Lösungen für die Lohnabrechnung, im April 2019 hielten sich hartnäckig Gerüchte, dass das Münchner Softwareunternehmen an seiner eigenen Payroll-Lösung arbeitet. 

Im April diesen Jahres verkündete Hanno Renner, CEO von Personio, dann die "Lohnbuchhaltung in Echtzeit" und hat mit dieser Ansage die Anbieterlandschaft im KMU-Segment ordentlich aufgemischt. In den letzten Monaten arbeiteten über 200 Mitarbeitende an der Umsetzung. Die ITSG-Zertifizierung soll Natascha Moore, Head of Product Compliance, zufolge in den nächsten Monaten abgeschlossen sein. Bereits kurz nach Renners Ankündigung zog die Datev Konsequenzen und hob ihre Empfehlung für Personio als Personalmanagementsystem auf. Seitdem empfehlen die Nürnberger nun HR-Works und Rexx Systems, haben sich jedoch noch nicht für einen neuen Premiumpartner entschieden. Datev ist mit 14 Millionen monatlichen Lohnabrechnungen Marktführer bei den KMU, gefolgt von P&I mit rund fünf Millionen monatlichen Payslips. In der Schweiz genießt Abacus, in Österreich Infoniqa eine hohe Relevanz im Markt der KMU.

Automatisierung als Lösung

Anbieter bestätigen in Gesprächen einheitlich den Trend bei KMUs zum Outsourcing oder Full-Service sowie auch verstärktes Interesse bei Steuerberatern, die Lohnbuchhaltung abzugeben. Trotz der ähnlichen Analysen verfolgen die Anbieter aber unterschiedliche Strategien. Personio setzt mit seiner "Lohnbuchhaltung in Echtzeit" voll auf Automatisierung und Self-Service. Der Anbieter arbeitet daran, die Komplexität der Lohnbuchhaltung so weit zu reduzieren, dass Unternehmen diese als Self-Service durchführen können. Neben Deutschland plant Personio, die Lösung auch in ausgewählten anderen europäischen Ländern einzuführen. 

Noch steht der HCM-Anbieter mit einer Vision einer Verarbeitung bei den KMUs selbst ziemlich alleine da. Einige Softwareanbieter wie Veda, CSS, SP Data, Swiss Salary oder Agenda Software, aber auch Gastromatic, differenzieren sich durch Full-Service-Angebote und bieten selbst Payroll-Outsourcing als Dienstleistung. Dies verleiht Kunden die Sicherheit, dass sie bei Ausfall oder Problemen bei der Nachbesetzung eigener Lohnbuchhalter trotzdem fristgerecht Lohn- und Gehaltsabrechnung vornehmen können. Gastromatic als Anbieter von HR-Lösungen für schichtarbeitende KMUs hat dafür das bisherige Angebot vor einiger Zeit bereits um outsourced Payroll für Kunden erweitert. Dafür wurde kürzlich der langjährige Partner Lohnfabrik übernommen und wird nun als "Gastromatic Payroll Services" ins Unternehmen integriert. Zum jetzigen Zeitpunkt hält Geschäftsführer Patrick Pötzsch die vollautomatisierte Lohnbuchhaltung für nicht darstellbar: "Zu häufig existiert eine interpretationsfähige Gesetzeslage, für die man auf das Wissen der gängigen Praxis angewiesen ist und die von einer Software nicht abgenommen werden kann." Auch Markus Schunk, CEO von HR-Works, die auf eine enge Integration und Partnerschaft mit Datev setzen, ist überzeugt: "Kunden wünschen sich, dass die Payroll von Steuerberatern oder Lohnbüros übernommen wird oder dort verbleibt." Gerade Unternehmen bis 500 Beschäftigten wollten Haftungsrisiken, die mit einem Insourcing der Lohnabrechnung einhergingen, vermeiden.

Viele Payroll-Software- sowie auch einige HR-Software-Spezialisten wie Datev, Addison von Wolters Kluwer, Eurodata, P&I und Hamburger-Software sehen das ähnlich und setzen weiterhin auf fachkompetente Begleitung durch Steuerberater, Outsourcing-Dienstleister und lokale Lohnbüros. Einige Outsourcing-Partner wie Gastromatic Payroll Services und auch Cleverlohn fokussieren sich neben dem Service der Lohnabrechnung auf systemseitige Produktivitätssteigerung. Sie möchten Verarbeitungsprozesse beschleunigen, indem sie mit ihren Automatisierungslösungen auf bestehende Payroll-Lösungen aufsetzen. So wollen sie die Produktivität erhöhen, ohne sich selbst mit der Komplexität oder der Zertifizierung einer Payroll-Software auseinandersetzen zu müssen.

Noch ist nicht absehbar, welche Strategie sich in den kommenden Jahren durchsetzen wird. Auch wenn im Markt neue Kräfte wirken, werden diese sich nicht über Nacht behaupten. Das bekräftigt auch Thomas Otter: "Eine Payroll zu etablieren, braucht Zeit. Es bedarf mindestens zweier Steuerjahresabschlüsse, um eine breite Akzeptanz zu schaffen." Datev ist ein starker Player im Mittelstand, dessen Technologie zwar veraltet sei, der aber ein hohes Maß an Vertrauen genieße und eine tiefe Verbundenheit mit der Steuerberatungsbranche besitze. Dem Platzhirsch das Revier streitig zu machen, dürfte kein leichtes Unterfangen werden.

Eine Marktübersicht der Anbieter von Lohn- und Gehaltsabrechnungen finden Sie hier zum Download.


Dies ist eine gekürzte Version des Beitrags in Personalmagazin, Ausgabe 1/2024. Den vollständigen Beitrag können Sie hier in der Digitalausgabe lesen. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.


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