Verdächtige Krankschreibung nach Kündigung

Beim Verdacht, dass eine Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht ist, darf der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung nicht allein aus dem Grund verweigern, dass die Krankschreibung eines gekündigten Mitarbeiters genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses dauert. Das entschied das LAG Niedersachsen.

Meldet sich ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit einer Kündigung krank, kommt schnell der Verdacht auf, die Arbeitsunfähigkeit könnte nur vorgetäuscht sein. Dies zu beweisen, ist für Arbeitgeber oft schwierig. Gerichte messen der ärztlichen Krankschreibung grundsätzlich eine hohe Beweiskraft zu. Zwar kann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts erschüttert sein, wenn ein Arbeitnehmer am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und die Dauer der Krankschreibung genau die Zeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Vorliegend waren die Umstände aber geringfügig anders, weshalb das LAG Niedersachsen die Zweifel des Arbeitsgebers nicht für berechtigt hielt. 

Der Fall: Arbeitgeber zweifelt Arbeitsunfähigkeit an

Im vorliegenden Verfahren stritten Arbeitgeber und Arbeitnehmer um die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Arbeitgeber, ein Zeitarbeitsunternehmen, hatte Zweifel, dass ein Mitarbeiter tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Dieser war seit März 2021 als Helfer beschäftigt, seit Mitte April 2021 wurde er nicht mehr eingesetzt. Am 2. Mai 2021 meldete er sich mit ärztlichem Attest krank - zunächst für vier Tage. Der Arbeitgeber kündigte ihm am selben Tag ordentlich zum Ende des Monats, wobei dem Arbeitnehmer die Kündigung erst einen Tag später, also am 3. Mai zuging. In der Folge reichte der Arbeitnehmer zwei weitere Krankschreibungen ein, sodass er bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig geschrieben war.

Klage auf Entgeltfortzahlung

Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung. Als Grund nannte er, dass die Krankmeldung des Arbeitnehmers zeitgleich mit seiner Kündigung erfolgt sei und genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses angedauert habe. Denn unstreitig war er Anfang Juni wieder gesund und habe einen neuen Job angenommen.

Der Arbeitnehmer verlangte vom Arbeitgeber vor Gericht Lohnfortzahlung. Er argumentierte damit, dass er nicht zum Zeitpunkt der Kündigung krank geworden sei, sondern bereits einen Tag zuvor.

LAG Niedersachsen: Keine Motivation für Krankmeldung aufgrund Kündigung

Das LAG Niedersachsen urteilte, dass der Arbeitgeber den ausstehenden Lohn zahlen muss. Es wies darauf hin, dass nach den Grundsätzen des Bundesarbeitsgericht (BAG) der Beweiswert einer Krankschreibung erschüttert sein kann, wenn ein Arbeitnehmer unmittelbar nach der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und die voraussichtliche Dauer der Krankschreibung passgenau die Zeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Die zeitliche Abfolge sei vorliegend jedoch eine andere gewesen: zuerst habe sich der Arbeitnehmer krankgemeldet, erst dann habe der Arbeitgeber gekündigt. Die Krankmeldung sei folglich nicht durch die Kündigung motiviert gewesen.

Beweiswert der AU-Bescheinigung nicht erschüttert

Abgesehen davon waren auch die weiteren Umstände nicht ganz vergleichbar mit dem vom BAG entschiedenen Fall. So habe es sich in diesem nicht um eine arbeitgeberseitige Kündigung gehandelt, sondern um eine Eigenkündigung einer Arbeitnehmerin. Allein die Tatsache, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegend ebenfalls passgenau die restliche Dauer des Arbeitsverhältnisses - also die gesamte Kündigungsfrist - abdecke, war nach Auffassung des LAG Niedersachsen nicht ausreichend, um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit zu erschüttern.

Allerdings hat das LAG die Revision an das BAG zugelassen. Es sei nicht hinreichend geklärt, unter welchen Umständen der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wird.

Hinweis: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 8. März 2023, Az.: 8 Sa 859/22, Vorinstanz: Arbeitsgericht Hildesheim, Urteil vom 26. Oktober 2022, Az: 2 Ca 190/22


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