Arbeitgeber muss Freistellungstage bei Krankheit nachgewähren

Viele Tarifverträge gewähren Beschäftigten – in besonderen Fällen - einen Anspruch auf bezahlte Freistellung. Das BAG hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass der tarifliche Freistellungsanspruch nicht erfüllt ist, wenn Arbeitnehmende während dieser Zeit krank werden. 

Wenn Tarifverträge Beschäftigten, die in Schicht arbeiten, Angehörige pflegen oder kleine Kinder betreuen, Zusatzgeld oder zusätzliche freie Tage bieten, entscheiden sich viele für die bezahlten Freistellungstage. Welche Folgen es hat, wenn Arbeitnehmende während dieser Zeit krank werden, haben Landesarbeitsgerichte zuletzt unterschiedlich beurteilt. Während das LAG Nürnberg entschied, dass Arbeitgeber Krankheitstage nicht neu gewähren müssen, urteilten das LAG Baden-Württemberg ebenso wie das LAG Hamm, dass der tarifliche Freistellungsanspruch bestehen bleibt.

Im konkreten Fall hat das BAG die Entscheidung des LAG Hamm bestätigt und klargestellt: tarifliche Freistellungstage, die nach dem Manteltarifvertrag 2018 (MTV) für die Metall- und Elektroindustrie NRW wegen einer besonderen Belastung gewährt werden, sind nicht erfüllt, wenn der Arbeitnehmende arbeitsunfähig erkrankt ist.

Der Fall: Arbeitnehmer verlangt Nachgewährung der Freistellungstage

Der Arbeitnehmer ist seit 2016 für seinen Arbeitgeber in einem Bearbeitungszentrum tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden sowohl der Manteltarifvertrag 2018 (MTV) als auch der Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld 2018 (TV T-ZUG) für die Metall- und Elektroindustrie NRW Anwendung. Im Manteltarifvertrag ist für bestimmte Arbeitnehmergruppen die Möglichkeit vorgesehen, statt des tariflichen Zusatzgelds bezahlte arbeitsfreie Tage zu erhalten. Der Arbeitnehmer erfüllt die besonderen Voraussetzungen, weil er mindestens ein Kind unter acht Jahren zuhause betreut. Im Jahr 2019 wählte er den Anspruch auf Freistellungstage. An zwei der festgelegten freien Tage erkrankte er arbeitsunfähig. Der Arbeitnehmer verlangte daraufhin vom Arbeitgeber, dass er ihm die Freistellungstage nachgewährt.

Müssen Freistellungstage nutzbar sein?

Dies verweigerte der Arbeitgeber, da seiner Meinung nach der Freistellungsanspruch bereits damit erfüllt sei, dass die freien Tage festgelegt wurden und der Arbeitnehmer an diesen keine Arbeitsleistung erbringen musste. Der Arbeitnehmer vertrat dagegen die Überzeugung, dass der Anspruch auf Freistellung nicht allein dadurch erfüllt wird, dass die freien Tage festgelegt werden. Die freie Zeit müsse vielmehr auch nutzbar sein, was bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht gegeben sei.  Vor Gericht klagte er daher, feststellen zu lassen, dass ihm für das Jahr 2019 noch eine bezahlte Freistellung im Umfang von zwei Arbeitstagen zusteht.

BAG: Tarifliche Freistellungstage verfallen bei Krankheit nicht

Mit seiner Klage hatte der Arbeitnehmer bereits vor dem LAG Hamm Erfolg.  Die obersten Arbeitsrichter bestätigten nun die Entscheidung der Vorinstanz. In seinem Urteil stellte das BAG fest, dass der tarifliche Anspruch auf bezahlte arbeitsfreie Tage, der an die Stelle des Anspruchs auf ein tarifliches Zusatzgeld (nach TV T-ZUG) tritt, nicht erfüllt wird, wenn der Arbeitnehmer am Freistellungstag arbeitsunfähig erkrankt ist.

Freistellung für besondere Belastung

Dazu verwies das Gericht auf die Auslegung des Tarifvertrags, nach dieser der Freistellungsanspruch an Tagen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllt werden könne. Bereits das LAG Hamm hatte hierzu ausgeführt, dass nach dem Freistellungsanspruch des § 3d MTV dem Arbeitnehmenden ein Erholungswert zugutekommen soll beziehungsweise ihm ermöglicht werden soll, einen Angehörigen zu pflegen oder sein Kind zu betreuen. Daher müsse für die Erfüllung des Freistellungsanspruchs auch die tatsächliche Nutzung der festgelegten arbeitsfreien Zeit durch den Arbeitnehmenden sichergestellt sein.

Freistellungsanspruch bleibt bei Arbeitsunfähigkeit zunächst bestehen

Ist der Arbeitnehmer an einem Freistellungstag arbeitsunfähig krank, besteht der Anspruch als originärer Erfüllungsanspruch aus Sicht des BAG also weiter. Dieser sei auch grundsätzlich nicht auf das Kalenderjahr befristet. Eine Ausnahme davon erkennen die Erfurter Richter dann an, wenn die Gewährung von Freistellungstagen aus personenbedingten Gründen im gesamten (restlichen) Kalenderjahr nicht möglich ist - beispielsweise wegen einer lang andauernden Erkrankung.

In einem solchen Fall gehe der Freistellungsanspruch unter, der Arbeitnehmende habe dann wieder den Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld (nach TV T-ZUG) und zwar im Umfang der nicht realisierten Freistellungstage.


Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Februar 2022, Az: 10 AZR 99/21;
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 25. November 2020, Az: 6 Sa 695/20


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Schlagworte zum Thema:  BAG-Urteil, Freistellung, Arbeitsunfähigkeit