Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Beschäftigungszeiten. Aufgabenübernahme

 

Leitsatz (redaktionell)

Keine Übernahme des Aufgabenbereichs „Sozialistische Betriebswirtschaftslehre” der abgewickelten wirtschaftswissenschaftlichen Sektion der auf den Freistaat Sachsen überführten Karl-Marx-Universität Leipzig; Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats aus den Urteilen vom 26. Februar 1996 – 6 AZR 472/95 – AP Nr. 10 zu § 19 BAT-O, vom 28. März 1996 – BAGE 82, 334 = AP Nr. 5 zu § 19 BAT-O, vom 30. Mai 1996 – BAGE 83, 161 = AP Nr. 8 zu § 19 BAT-O und vom 25. Juli 1996 – 6 AZR 673/95 – AP Nr. 11 zu § 19 BAT-O; zur „Sektion Sozialistische Betriebswirtschaft” der ehemaligen Handelshochschule Leipzig vgl. Urteil des Senats vom 16. Oktober 1997 – 6 AZR 181/96 – n.v.

 

Normenkette

BAT-O § 19; Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991 zu § 19 BAT-O Nr. 1; Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991 zu § 19 BAT-O Nr. 2 Buchst. b; Einigungsvertrag Art. 13

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 22.04.1996; Aktenzeichen 7 Sa 774/94)

ArbG Leipzig (Urteil vom 18.03.1994; Aktenzeichen 15 Ca 8733/93)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 22. April 1996 – 7 Sa 774/94 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über anrechnungsfähige Beschäftigungszeiten des Klägers nach § 19 BAT-O.

Der am 31. August 1953 geborene Kläger war vom 1. September 1976 bis zum 30. November 1993 an der Universität Leipzig (früher: Karl-Marx-Universität Leipzig) als wissenschaftlicher Assistent beschäftigt. Der Kläger arbeitete an der Sektion Wirtschaftswissenschaften der Karl-Marx-Universität Leipzig. Diese gliederte sich in acht Wissenschaftsbereiche, darunter der Wissenschaftsbereich „Sozialistische Betriebswirtschaft” mit zwei Lehrstühlen für Sozialistische Betriebswirtschaftslehre. In diesem Wissenschaftsbereich war der Kläger beschäftigt.

Im Jahr 1990 wurde die Sektion Wirtschaftswissenschaften in eine Fakultät für Wirtschaftswissenschaften umgewandelt, die aus fünf Instituten bestand, darunter das Institut für Betriebswirtschaft.

Nachdem durch Beschluß der Landesregierung des Beklagten vom 11. Dezember 1990 die Abwicklung der Sektion Wirtschaftswissenschaften und die Gründung einer Fakultät für Volks- und Betriebswirtschaft beschlossen worden war, wurden dieser die Fachgebiete Volkswirtschaftslehre, Statistik und Empirische Wirtschaftsforschung, Wirtschaftsingenieurwesen und Betriebswirtschaftslehre zugeordnet. Im letztgenannten Fachgebiet gibt es Lehrstühle für Marketing, Personalwirtschaftslehre, Produktionswirtschaft, Unternehmensrechnung und betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Wirtschaftsprüfung/Treuhandwesen, Versicherungsbetriebslehre, Betriebswirtschaftliche Finanzierungslehre (Banken) sowie Grundstücks- und Wohnungswirtschaft.

Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) Anwendung. Die Universität Leipzig setzte mit Schreiben vom 7. Januar 1993 den Beginn der Beschäftigungszeit des Klägers im Sinne von § 19 BAT-O auf den 1. Januar 1991 fest. Dagegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 1993. Diesen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Schreiben vom 7. Juni 1993 zurück.

Der Kläger war zuletzt in der VergGr. II a Fallgr. 2 BAT-O eingruppiert. Bei Anrechnung der Beschäftigungszeit des Klägers seit dem 1. September 1976 käme für den Kläger nach 15-jähriger Bewährung die VergGr. I b BAT-O in Betracht. Der Gehaltsunterschied betrüge für die Zeit vom 1. Dezember 1991 bis zum 30. November 1993 zusammen unstreitig DM 10.726,72 brutto.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Nachzahlung dieses Betrags, da ihm aufgrund seiner mehr als 15-jährigen Tätigkeit und unter Berücksichtigung des Bewährungsaufstiegs Vergütung nach der VergGr. I b BAT-O zustehe. Die Zeit seiner Tätigkeit in der früheren Sektion Wirtschaftswissenschaften müsse angerechnet werden, da diese Einrichtung nicht abgewickelt worden sei. Dies hätte die vollständige Auflösung vorausgesetzt. Es reiche nicht aus, daß lediglich die alten Lehrinhalte aufgegeben oder geändert worden seien.

Der Kläger hat beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.726,72 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 15. November 1993 zu zahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Zeit der Tätigkeit des Klägers in der Sektion Wirtschaftswissenschaften der Karl-Marx-Universität Leipzig sei nicht als Beschäftigungszeit im Sinne von § 19 BAT-O anzurechnen.

Die Sektion Wirtschaftswissenschaften sei nicht überführt worden. Der Beklagte habe auch keine Aufgaben oder Aufgabenbereiche der Sektion Wirtschaftswissenschaften aus dem Wissenschaftsbereich „Sozialistische Betriebswirtschaft” in die neugegründete Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät übernommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.

Der Anspruch des Klägers auf Vergütung nach VergGr. I b BAT-O hängt davon ab, ob die Zeit seiner Tätigkeit in der Sektion Wirtschaftswissenschaften der Karl-Marx-Universität Leipzig als Beschäftigungszeit nach § 19 Abs. 1 und 2 BAT-O oder nach den dazu ergangenen Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991 (fortan: Übergangsvorschriften) anzurechnen ist. Dies haben die Vorinstanzen zu Recht verneint.

1. Die Zeit der Tätigkeit des Klägers vor dem 1. Januar 1991 ist nicht nach § 19 Abs. 1 BAT-O als Beschäftigungszeit anzurechnen, da der Beklagte, der Freistaat Sachsen, nicht mit der früheren Arbeitgeberin des Klägers, der Karl-Marx-Universität Leipzig, die eine nachgeordnete Einrichtung des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen der ehemaligen DDR war, identisch ist. Damit ist die Zeit der Tätigkeit bei der Karl-Marx-Universität keine Beschäftigungszeit bei „demselben Arbeitgeber” i.S.v. § 19 Abs. 1 BAT-O. Eine Anrechnung der Beschäftigungszeit nach § 19 Abs. 2 BAT-O kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die frühere Arbeitgeberin nicht den BAT-O oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts angewendet hat.

2. Die Zeit vor dem 1. Januar 1991 ist auch nicht nach den Übergangsvorschriften als Beschäftigungszeit anzurechnen.

a) Zutreffend hat das Berufungsgericht eine Anrechnung nach Nr. 1 der Übergangsvorschriften abgelehnt. Danach gilt als Übernahme im Sinne des § 19 Abs. 2 BAT-O auch die Überführung von Einrichtungen nach Art. 13 des Einigungsvertrags.

Zwar wurde die Karl-Marx-Universität Leipzig auf den Beklagten überführt. Das hatte jedoch nicht die Anrechenbarkeit der Beschäftigungszeit des Klägers zur Folge. Entscheidend ist, daß die Sektion Wirtschaftswissenschaften, in der der Kläger tätig war, als Teileinrichtung der ehemaligen Karl-Marx-Universität Leipzig abgewickelt wurde, so daß die Anrechnung der Beschäftigungszeiten des Klägers vor dem 1. Januar 1991 nach Nr. 1 der Übergangsvorschriften nicht in Betracht kommt.

In Art. 13 des Einigungsvertrags ist der Übergang von Einrichtungen und Teileinrichtungen geregelt. Die Überführung im Sinne von Nr. 1 konnte sich somit nicht nur auf Einrichtungen, sondern auch auf Teileinrichtungen beziehen. Zur Überführung von Einrichtungen oder Teileinrichtungen nach Art. 13 Einigungsvertrag bedurfte es einer auf den verwaltungsinternen Bereich zielenden Organisationsentscheidung der zuständigen Stelle (BAGE 71, 147 = AP Nr. 1 zu Art. 13 Einigungsvertrag). Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde im Sinne von Art. 13 Einigungsvertrag überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung sie unverändert fortführte oder unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sachlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte (BAGE 72, 176 = AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag). Entgegen der Auffassung des Klägers geschah dies in bezug auf die Sektion Wirtschaftswissenschaften der ehemaligen Karl-Marx-Universität Leipzig nicht.

Der Beklagte hat in dem Abwicklungsbeschluß vom 11. Dezember 1990 ausdrücklich entschieden, daß die Sektion Wirtschaftswissenschaften abzuwickeln und statt dessen eine Fakultät für Volks- und Betriebswirtschaft zu gründen sei. Er hat auch nicht die Sektion Wirtschaftswissenschaften tatsächlich fortgeführt. Zu Recht hat das Berufungsgericht dies daraus geschlossen, daß schon 1989 die Lerninhalte an die alten Bundesländer angeglichen wurden, was nötig war, weil sie sich bis dahin auf die Verwirklichung des Marxismus/Leninismus in einer sozialistischen Gesellschaft bezogen hatten.

b) Der Beklagte hat auch nicht den Wissenschaftsbereich „Sozialistische Betriebswirtschaft” und damit einen Aufgabenbereich der ehemaligen Sektion Wirtschaftswissenschaften übernommen, was zur Folge hätte, daß die Zeit der Tätigkeit des Klägers in diesem Aufgabenbereich nach Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschriften als Beschäftigungszeit anzurechnen wäre.

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es für die Anrechnung von Beschäftigungszeiten nach Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschriften darauf an, ob eine Aufgabe oder ein Aufgabenbereich der Einrichtung ganz oder überwiegend übernommen worden ist. Dabei beurteilt sich die Aufgabe der Einrichtung nach den für ihre Tätigkeit maßgebenden Rechtsgrundlagen (vgl. BAG Urteile vom 29. Februar 1996 – 6 AZR 472/95 – AP Nr. 10 zu § 19 BAT-O; vom 28. März 1996 – 6 AZR 561/95BAGE 82, 334 = AP Nr. 5 zu § 19 BAT-O) und den tatsächlichen Umständen (Urteil vom 30. Mai 1996 – 6 AZR 638/95BAGE 83, 161 = AP Nr. 8 zu § 19 BAT-O).

Ist eine Aufgabe nicht in vollem Umfang übernommen worden, so kommt die Übernahme eines Aufgabenbereichs als einer kleineren organisatorischen Einheit in Betracht. Ein Aufgabenbereich erfordert damit einen im Rahmen der Aufgabe der Einrichtung organisatorisch eigenständigen Teilbereich (BAG Urteil vom 25. Juli 1996 – 6 AZR 673/95 – AP Nr. 11 zu § 19 BAT-O).

Eine solche organisatorische Eigenständigkeit bedingt nicht die Fähigkeit zur aufgabenbezogenen Eigensteuerung, wie sie für eine Teileinrichtung kennzeichnend ist. Nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang, der neben dem Tarifwortlaut für die Tarifauslegung maßgebend ist (vgl. BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) kommt eine Anrechnung als Beschäftigungszeit nach Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschriften auch dann in Betracht, wenn Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche einer Teileinrichtung übernommen worden sind. Die Tarifvertragsparteien gehen, wie die Bezugnahme auf Art. 13 EV ausweist, davon aus, daß nicht nur eine Einrichtung als Ganzes, sondern auch eine Teileinrichtung überführt werden kann. Für den Fall, daß eine Überführung nicht erfolgt ist, ist deshalb sowohl bei einer Einrichtung als auch bei einer Teileinrichtung die Übernahme von Aufgaben bzw. Aufgabenbereichen für die Anrechnung der Beschäftigungszeit maßgebend.

Aus dem Tarifwortlaut ergibt sich, daß es auf die Übernahme von Aufgaben bzw. Aufgabenbereichen der Einrichtung bzw. der Teileinrichtung, nicht aber darauf ankommt, ob die vom Angestellten arbeitsplatzbezogen ausgeübte Tätigkeit fortgeführt wird (vgl. BAG Urteil vom 28. März 1996 – 6 AZR 561/95 – aaO). Für die Beurteilung der Übernahme von Aufgaben bzw. Aufgabenbereichen ist nicht maßgeblich, ob der Angestellte bei seiner jetzigen Tätigkeit die von ihm früher erworbenen Fähigkeiten und Erfahrungen einsetzen kann. Zwar setzt die Anrechnung als Beschäftigungszeit voraus, daß der Angestellte in dem übernommenen Bereich tätig war. Nicht entscheidend ist aber, ob der Angestellte weiterhin diese Tätigkeit ausübt. Der Einsatz erworbener Fähigkeiten und Erfahrungen rechtfertigt deshalb noch nicht den Schluß auf die Übernahme einer Aufgabe bzw. eines Aufgabenbereiches.

Nach diesen Grundsätzen scheidet die Übernahme eines Aufgabenbereichs „Sozialistische Betriebswirtschaft” aus, da dieser im neuen Fakultätsaufbau von 1991 nicht mehr enthalten ist.

bb) Der Kläger war im Wissenschaftsbereich „Sozialistische Betriebswirtschaft” und dort an den beiden Lehrstühlen „Sozialistische Betriebswirtschaftslehre” beschäftigt. Diese Disziplinen werden heute nicht mehr gelehrt. Die Aufgaben der Sektion „Sozialistische Betriebswirtschaft” waren auf die Bedürfnisse der sozialistischen Planwirtschaft zugeschnitten. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich aus den Studienplänen dieses Wissenschaftsbereichs, daß das Ziel der Ausbildung von Ökonomen in der DDR war, „Kader heranzubilden, die sich mit Parteilichkeit und persönlichem Engagement für das Neue, für die Stärkung des Sozialismus einsetzen und einen Beitrag zur Schaffung der grundlegenden Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus leisten …”. Zu Recht hat daher das Berufungsgericht angenommen, daß die in dieser Form fachlich und organisatorisch ausgestaltete Ausbildung vom Beklagten innerhalb der neuen Fakultät für Wirtschaftswissenschaften nicht mehr fortgeführt wurde, da sich das Wirtschaftssystem der DDR als staatliche Planwirtschaft grundlegend von der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik unterschieden hat.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, Reimann, Gebert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1127008

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