Stadt, Land, Grundriss – neue Vielschichtigkeit beim Wohnen


Stadt, Land, Grundriss – neue Vielschichtigkeit beim Wohnen

Die Pandemie fordert auch den erfolgsverwöhnten Wohnimmobilienmarkt heraus – allerdings anders, als viele bei schneller Analyse glauben. Die Auswirkungen sind deutlich vielschichtiger.

Nachfrage und Wertentwicklung bei Wohnimmobilien waren in der Pandemie sehr stabil. Die anfangs befürchteten Mietausfälle sind ausgeblieben. Ein Jahr nach Krisenbeginn steigen die Preise wieder deutlich. Der gerade veröffentlichte Immobilienpreisindex des Verbands deutscher Pfandbriefbanken erreichte im ersten Quartal 2021 einen neuen Höchststand sechs Prozent über dem Vorjahreswert. Besonders Eigentumswohnungen haben sich weiter verteuert. Also alles beim Alten? Nein, keinesfalls!

Versäumnisse werden sichtbar

In den Metropolregionen müssen einige Haushalte bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für Wohnen ausgeben, da nicht genügend gebaut wird und das Angebot nach über zehn Jahren Preisanstieg immer noch hinter der Nachfrage zurückbleibt. Verleiht das mobile Arbeiten jetzt dem Traum vom Wohnen im Grünen einen neuen Schub? Ja, heißt es vom Hamburger Gewos Instituts für Stadt-, Regional- und Wohnforschung. Immer mehr Menschen würden ins Umland abwandern. Auch Immobilienökonom Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft sieht diesen Trend. Das Einzugsgebiet der Metropolen könnte sich erweitern mit der Folge, dass sich die Preisanstiege bei Immobilien in Großstädten verlangsamen. Seiner Meinung nach bleiben die Ballungsräume jedoch attraktiv, da Dienstleistungsjobs in den Städten entstehen und die Hochqualifizierten anziehen.

Vom Speckgürtel in weiter entferntes Umland

In Folge der positiven Entwicklung der Arbeit aus dem Home Office ist ein Leben in den Speckgürteln und auf dem Land für viele vorstellbar und realistisch geworden, besonders für die Mittelschicht. Wenn die aber verstärkt abwanderte, blieben in der Stadt nur Arme und Reiche – auch keine Lösung. Es braucht daher neue Konzepte, die eine soziale Durchmischung in Stadt und Land möglich machen und sie zukunftsfähig aufstellen.

Kaum eine deutsche Stadt zeigt den Wandel so eindrücklich wie München. Die Stadt könnte zum Opfer ihres eigenen Erfolges werden: Die Schere zwischen Einkommens- und Mietentwicklung macht die Stadt für viele unerschwinglich. Erfolgreichen Unternehmen erschwert das zusätzlich, ihre offenen Stellen zu besetzen. Da auch im Speckgürtel und gut angebundenen Städten, wie Augsburg und Rosenheim, die Preise deutlich angezogen haben, nehmen nun viele Menschen einen größeren Radius ins Visier.

Kleinere Städte und Gemeinden irgendwo im weiteren Umland mit einem guten Angebot an Kinderbetreuung, Schulen und Einkaufsmöglichkeiten locken verstärkt Familien an. Die Immobilienabteilungen der regionalen Sparkassen und Raiffeisenbanken bestätigen dort einen deutlichen Nachfrageanstieg nach Immobilien.

Wie wollen Menschen zukünftig wohnen?

Seit Homeoffice, Homeschooling, Homecooking, Home-Culture-Consuming und Homesporting Bestandteile unseres Alltags geworden sind, sind uns Grenzen und Defizite unserer eigenen vier Wände neu oder anders bewusst geworden. Die Pandemie zeigt deutlich, dass neue Wohnwünsche und -vorlieben entstehen werden und dadurch neue Preisstrukturen.

Makler vermelden bereits erste Veränderungen in der Nachfrage. Der Wunsch nach großzügigen Grundrissen, Balkonen und einem Garten sei ein immer wichtigeres Kriterium bei der Wahl der Wohnung oder des Hauses.

Fläche ist wichtig, aber nicht alles. Der Schnitt einer Wohnung muss passen, aber auch Spielraum für Bewegung und Flexibilität lassen. Hier ist ein Blick auf Japan interessant: Dort werden Räume gebaut, die nicht vorschreiben, wie sie bewohnt werden. Die Zimmer haben keine vorab zugewiesenen Funktionen, wie in Europa, dadurch kann überall gewohnt, geschlafen oder gearbeitet, Räume können immer wieder anders genutzt werden.

Stadtplaner werden umdenken müssen, wenn die Forderung von Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris, realisiert werden sollen, dass künftig alle wesentlichen Bedürfnisse – von Wohnen und Arbeiten bis zu Bildung und Freizeit – innerhalb von 15 Minuten mit dem Fahrrad oder zu Fuß von der eigenen Haustür aus erfüllbar sind.

Covid-19 zwingt uns umzudenken, lehrt uns neue Wege zu gehen, neue Wohnbedürfnisse zu erfüllen, Städte zu entzerren, Isolation zu vermeiden und das Wohnumfeld anders zu bewerten. Für Eigentümer und Planer von Wohnraum, die 50 Jahre in die Zukunft blicken und erhebliche Investitionen verantworten, wird die Aufgabe damit nicht einfacher: Neben wirtschaftlichen, sozialen, demographischen und energetischen Anforderungen kommen neue Trends und Aspekte dazu. Die Herausforderungen im Wohnbau werden noch vielschichtiger!