75 Jahre DW: Interview mit der GdW-Spitze

Wenn der GdW-Präsident Axel Gedaschko, die Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser und Geschäftsführer Dr. Christian Lieberknecht Rede und Antwort stehen, wird es politisch. Sie sprechen über den derzeitigen Wandel in den Wohnungsmärkten und was die Branche seitens der Bundesregierung braucht.

Als größter Branchendachverband setzt sich der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. gegenüber Politik, Wirtschaft und Medien für die Interessen seiner Regionalverbände und deren Mitglieder – rund 3.000 Wohnungsgenossenschaften, kommunale, kirchliche, privatwirtschaftliche, landes- und bundeseigene Wohnungs- und Immobilienunternehmen in ganz Deutschland – ein.

Unter der aktuellen Bundesregierung gibt es (wieder) ein Bauministerium. Den Kontakt zur Bauministerin kann man als sehr gut und intensiv bezeichnen – aber was hat sich für die soziale Wohnungswirtschaft in den letzten beiden Jahren tatsächlich getan? 

Gedaschko: Wir haben uns in der Tat für ein eigenständiges Bundesbauministerium stark gemacht. Denn die Herausforderungen auf den Wohnungsmärkten, beim Wohnungsbau und beim Klimaschutz sind heute so groß wie nie. Das Problem ist allerdings, dass der Aufbau eines neuen Ministeriums und auch seiner Durchschlagskraft deutlich länger dauert, als auch wir uns das ausgemalt hätten. Ministerin Geywitz, zu der wir einen sehr konstanten und guten Kontakt pflegen, wird häufig zurecht als "Königin ohne Reich" bezeichnet. Denn nicht nur ist der Wohnungsbau grundsätzlich Ländersache, sondern viel Schlimmer noch: Ihr Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, verfügt mit etwa 1 Milliarde Euro über mickrige Haushaltsmittel. Den Riesenaufgaben von Wohnungsbau, altersgerechtem Umbau, Digitalisierung und Klimaschutz wird das in keiner Weise gerecht. In den vergangenen beiden Jahren hat Ministerin Geywitz zwar die Zügel beim Thema Wohnen mit Elan in die Hand genommen, aber es fehlt an zu vielen Ecken und Enden, als dass sie bisher wirklich erfolgversprechende Lösungen umsetzen konnte.

Welche Herausforderungen gilt es aus Ihrer Sicht kurzfristig oder zuerst anzugehen? 

Esser: Oberste Priorität hat für die sozial orientierte Wohnungswirtschaft der Weg zu einem klimaneutralen Gebäudebestand und gleichzeitig das langfristige Bereitstellen von bezahlbarem, attraktivem Wohnraum für die Mitte der Bevölkerung. Doch das ist derzeit akut in Gefahr. Zu lange wurde das Thema Wohnen sträflich vernachlässigt, Deutschland war Anfang bis Mitte der 2000er Jahre aus politischer Sicht angeblich "fertig gebaut" und dann kam doch alles ganz anders: Kriegs- und Krisenherde weltweit, starke Zuwanderung und der Klimawandel, der unsere Lebensgrundlagen immer stärker bedroht. Um diese Mega-Herausforderungen lösen zu können, gilt es, flexibel auf Probleme zu reagieren und vor allem proaktiv mit handfesten Lösungen zu agieren. Zuallererst muss die Regierung dem stark kriselnden Wohnungsbau wieder auf die Beine helfen. Und gleichzeitig darf der Bestand und dessen Transformation nicht vergessen werden.

Die Regulatorik der Bundesregierung beim Bauen und Wohnen kennt scheinbar keine Grenzen. Aktuell steht der SPD-Vorschlag zu Mietpreisbegrenzungen im Fokus: Ist das in Ihren Augen sinnvoll?

Lieberknecht: Es ist leider zu beobachten, dass Teile der Politik immer wieder scheinbar einfache Antworten auf die zentralen Probleme in unserer Gesellschaft geben. Das zeigt sich darin, dass häufig keine echten, funktionierenden Lösungen für Herausforderungen vorgelegt werden, sondern solche, die für die breite Bevölkerung kurzfristig Entlastungen versprechen. Die aktuellen Vorschläge für weitere Mietpreisbegrenzungen gehören dazu. Statt die Probleme des Wohnungsmangels an der Wurzel und nachhaltig anzugehen, soll mit einschneidenden Mietpreisbegrenzungen lediglich das Symptom bekämpft werden. Bezahlbares Wohnen lässt sich aber nur auf Dauer sichern, wenn Wohnungsbau von staatlicher Seite gefördert wird und moderate Mietanpassungen über einen längeren Zeitraum die notwendigen Investitionen in nachhaltigen Wohnraum ermöglichen. Werden diese Investitionen durch einseitige Begrenzungen abgeschnitten, geht es über Kurz oder Lang weiter abwärts mit dem bezahlbaren und guten Wohnen in Deutschland. 

Vor allem in ostdeutschen Gegenden herrscht vielerorts Leerstand. Wie ließe sich das Dilemma zwischen Wohnraummangel in den Ballungsgebieten und Leerstand in strukturschwachen Gebieten lösen und wie sollten Bund und Länder eingreifen? 

Gedaschko: Bund, Länder und Kommunen müssen viel stärker an einem Strang ziehen, um beim komplexen Thema Wohnungsmärkte gemeinsam etwas zu bewegen. Während die Bundespolitik bei der Länderkompetenz Bauen und Wohnen nur eine koordinierende Funktion wahrnehmen kann, sind in der Praxis vor allem die Länder sowie die Kommunen am Zug. Wenn ein Ausgleich zwischen "heiß gelaufenen" städtischen Wohnungsmärkten und aussterbenden ländlichen Regionen gelingen soll, dann geht das nur mit gemeinsamem und koordiniertem Handeln aller staatlichen Ebenen. Wenn es den staatlichen Ebenen gelingt, die Standortbedingungen der ländlichen Regionen durch besseren öffentlichen Nahverkehr, bessere Internetverbindungen und einen bürgernahen Ausbau der erneuerbaren Energieversorgung hochzuschrauben, werden dort künftig auch wieder mehr Menschen leben wollen. Das könnte vielen Städten den Druck nehmen. Dafür muss bei anhaltendem Zuzug nach Deutschland aber auch und vor allem in den Metropolen Massives beim Wohnungsneubau geleistet werden. 

Die Neubauzahlen sowie Investitionen in den Bestand stagnieren beziehungsweise sind rückläufig. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Sie selbst sprechen von Förderung, Finanzierung und Steueranreizen als Hebel, um den sozialen Wohnungsbau möglicherweise wieder anzukurbeln. Was schlagen Sie konkret vor?

Lieberknecht: Wohnungsbau in Deutschland ist in den vergangenen Jahren sehr komplex, bürokratisch und immer teurer geworden. Deshalb müssen wir von den Kosten runterkommen. In der aktuellen Krisensituation wäre es eine zentrale und sehr wirksame Maßnahme, die Mehrwertsteuer für den Wohnungsbau auf sieben Prozent zu senken – und zwar für ein neues, bezahlbares Mietwohnsegment mit Mieten von neun bis zwölf Euro pro Quadratmeter monatlich. Denn wir brauchen wieder Wohnungsbau für die Mitte der Gesellschaft. Auf Vorbehalte mit Blick auf fehlende Steuereinnahmen kann nur geantwortet werden: Wenn stattdessen gar nicht mehr gebaut wird, gibt es weder Einnahmen über die Mehrwertsteuer noch neue bezahlbare Wohnungen. Angesichts steil nach oben schießender Zinsen sollte von staatlicher Seite zudem eine Zinsvergünstigung auf ein Prozent ermöglicht werden. Außerdem sollten die von staatlicher Ebene festgelegten Baunebenkosten wie Grunderwerbsteuer, Notargebühren und Grundbuchkosten abgesenkt werden. Wenn es um neue Baunormen und Vorgaben geht, sollte immer eine Folgekostenabschätzung vorgenommen werden. Ansonsten werden immer mehr teurere Vorschriften den bereits durchregulierten Wohnungsbau für breite Bevölkerungsschichten unbezahlbar machen.

Seit drei Jahren gibt es das Kompetenzzentrum Digitalisierung, kurz DigiWoh. Die Mitgliederzahlen steigen stetig – was lässt sich in Bezug auf die Digitalisierung der Wohnungsunternehmen daraus ableiten? 

Esser: Die Digitalisierung ist das absolute Mega-, Dauer- und Querschnittsthema in unserer Branche, wie in vielen anderen Branchen auch. Den riesigen Herausforderungen unserer Zeit, allen voran dem Klimaschutz, werden wir nur dann sinnvoll begegnen können, wenn wir vernetzt vorgehen, Daten intelligent und sicher nutzen und dadurch zudem Zeit und Kosten sparen. Ob in den Prozessen der Unternehmen, der effizienten Steuerung der Gebäude oder in der Wohnung selbst: Die unterschiedlichen vielfältigen Themen rund um das Wohnen müssen künftig noch viel schneller und viel enger miteinander verknüpft werden. Daran arbeiten immer mehr Wohnungsunternehmen im Kompetenzzentrum DigiWoh mit viel Elan und vor allem auch Freude an der vernetzten Zukunft. Und sie arbeiten nicht alleine, sondern suchen gemeinsam mit vielen jungen Tech-Unternehmen nach den besten Lösungen für sich. Durch die Digitalisierung lässt sich beim Wohnen und auch beim Bauen künftig viel Zeit effizienter nutzen. Auch die Kosten lassen sich drücken. Der Wohnkomfort wird dadurch weiter steigen, Unternehmensprozesse werden letztlich einfacher und schlanker. Die Unternehmen müssen es aber richtig angehen und die Politik muss die richtigen Leitplanken setzen – dafür macht sich der GdW stark.

Wir feiern in diesem Jahr 75 Jahre DW Die Wohnungswirtschaft – der GdW kann im nächsten Jahr sogar auf 100 Jahre zurückblicken. Was kann die Wohnungswirtschaft aus den vergangenen historischen Ereignissen lernen, welche beschäftigen die Branche noch heute? Und: Wie wohnen wir in Zukunft? 

Gedaschko: Eines ist sicher: Nichts ist so beständig wie der Wandel. So, wie es die sozial orientierte Wohnungswirtschaft, der GdW, seine Regionalverbände und die vielen Partner seit jeher gelebt haben, wird auch in Zukunft ihre Flexibilität, ihre Anpassungsfähigkeit bei gleichzeitiger Verankerung in ihrer Region und Tradition, aber auch ihr langfristiges und nachhaltiges Geschäftsmodell das Mittel zum Erfolg sein. Dabei gilt es aber heute mehr denn je, anpassungsfähig zu sein und flexibel handeln können. Denn die Aufgaben in einer immer vernetzteren sowie von großen und schnellen Veränderungen betroffenen Welt, waren selten bis nie so groß. Doch unsere Gesellschaft und insbesondere unsere Demokratie und soziale Marktwirtschaft haben es immer wieder geschafft, auch die größten Veränderungsprozesse und Umschwünge zu meistern. Seien es die dunklen Kapitel der Geschichtsbücher, die beiden Weltkriege, die großen Lichtblicke Wendezeit und Wiedervereinigung Deutschlands oder aber in jüngster Vergangenheit die Corona-Pandemie. 

Was heute anders ist: das geballte Auftreten und das Sich-Überlagern mehrerer Krisen auf einmal. Aktuell sind es der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und der Nahostkonflikt, die uns allen Sorgenfalten ins Gesicht treibt. Ohne diese externen Krisen wäre der Weg der sozial orientierten Wohnungswirtschaft sicherlich konstant weiter nach oben, hin zu noch mehr bezahlbarem, sicheren Wohnen für breite Schichten der Bevölkerung gegangen. Doch es sind eben diese Krisen, die leider zum Leben und zu unserer Welt dazugehören. Wie wir damit umgehen, ist entscheidend. Gelingt es weiterhin, dass die Politik statt populistischer Schönmacherei die wirklich wichtigen Dinge angeht und die richtigen Weichen stellt, dann steht einem immer komfortableren, für alle Bevölkerungsgruppen passenden und dabei bezahlbaren Wohnen in Deutschland wenig im Wege. Aber daran gilt es, als gesamte Gesellschaft für den zentralen Lebensbereich des Wohnens dauerhaft zu arbeiten.

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Das vollständige Interview erschien in der DW Die Wohnungswirtschaft 10/2023.