75 Jahre DW: Interview mit Dr. Susanne Schmitt

Dr. Susanne Schmitt ist Verbandsdirektorin des vdw Niedersachsen Bremen. Sie erklärt, wo der Anteil an Wohneigentum überdurchschnittlich hoch ist, welche Ideen es für Nachwuchsförderung gibt und was ein "Smart-Living-Cluster" ist.

Die im vdw Verband der Wohnungswirtschaft in Niedersachsen und Bremen organisierten Wohnungsunternehmen bieten in Niedersachsen und Bremen knapp 260.000 Wohnungen und im Land Bremen etwa 80.000 Wohnungen an.

Der vdw hat in diesem Jahr erstmalig einen Zukunftspreis ausgelobt. Wen sprechen Sie damit an und was erwarten Sie sich davon?

Dr. Susanne Schmitt: Der Wohnzukunftspreis richtet sich bei seinem Debüt zunächst an Studierende der Fachrichtung Architektur, in den Folgejahren werden wir aber auch andere Disziplinen in den Blick nehmen. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt der Arbeit in der Auseinandersetzung mit typischen Bestandsgebäuden aus den 1950er und 1960er Jahren. Bei der Bearbeitung sollen die Aspekte der sozialen Wohnungswirtschaft vor dem Hintergrund des steigenden Bedarfs an Wohnfläche in den Metropolregionen Deutschlands und der Bestandssanierung zur Erreichung klimapolitischer Ziele eine zentrale Rolle spielen. Der Studentenwettbewerb richtet sich an Universitäten und Hochschulen in Niedersachsen und Bremen. Wir erhoffen uns innovative und kreative Vorschläge, wollen aber auch im akademischen Bereich die Wohnungswirtschaft als vielfältigen und interessanten Arbeitgeber bekannt machen.

Mieterstrommodelle werden auch in Niedersachsen und Bremen diskutiert. Wie stehen Sie dazu und was fordern Sie von der Landesregierung?

Eine grundlegende Abkehr von fossilen Brennstoffen ist auf allen Ebenen erforderlich. Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine beschleunigt sich dieser Transformationsprozess massiv hin zu einer Elektrifizierung der Energieversorgung. Dabei spielen aus Sicht des vdw die Dachflächen auf Wohngebäuden der Mitgliedsunternehmen eine wesentliche Rolle. Um die Potenziale beim Photovoltaikstrom zu heben und die Mieterinnen und Mieter daran teilhaben zu lassen, bedarf es aber deutlicher Erleichterungen in der Regulatorik. Hier erwartet die Wohnungswirtschaft einen  "Doppelwumms" von der Regierung, um neben steuerlichen Hürden auch die Einspeisevergütung für Wohnungsunternehmen attraktiv zu gestalten. Eine sinnvolle Förderung sollte diesen Prozess sowie die vielen weiteren Maßnahmen zum Erreichen der Klimaschutzziele flankieren, damit die Unternehmen mit den enormen Belastungen nicht allein gelassen werden.

In Hannover fand im Mai zum zweiten Mal die Real Estate Arena statt, an der Sie sich auch beteiligt haben – warum lohnt sich für die Wohnungsunternehmen der Besuch von Messen wie dieser oder der Expo Real in München?

Die beiden Messen sind von Grund auf verschieden, ein Vergleich wäre nicht sonderlich hilfreich. Sicher ist, dass die Real Estate Arena in Hannover bereits im zweiten Jahr eine enorme Resonanz bei unseren Mitgliedsunternehmen gefunden hat. Das liegt maßgeblich an zwei Faktoren: Anders als in München spielt die sozialorientierte Wohnungswirtschaft an den Messetagen keine Nebenrolle, sondern steht mit ihren Themen im Mittelpunkt des Geschehens. Und zum anderen können bestehende Netzwerke gepflegt und schnell neue Kontakte geknüpft werden. Es ist eine kollegiale, fast familiäre Atmosphäre. Für lokal und regional agierende Wohnungsunternehmen genau der richtige Rahmen. Wir werden als Verband an der Seite des GdW unser Engagement noch ausweiten.

Wie verhält sich der Wohnungsmarkt im Verbandsgebiet, das ja sehr weitläufig ist? Gibt es große Unterschiede zwischen den Regionen?

Die Wohnungsmärkte in unserem Verbandsgebiet sind traditionell sehr heterogen ausgeprägt. Es gibt strukturell eher schwächere Regionen, und es gibt starke Ober- und Mittelzentren. Außerdem muss man bedenken, dass in Niedersachsen der Anteil an Wohneigentum überdurchschnittlich hoch ist. Seit vielen Jahren sind wir in Kooperation mit dem Land Niedersachsen und unserer Förderbank, der NBank, an der Erstellung des Wohnungsmarktberichts beteiligt. Der nächste Bericht wird im Herbst veröffentlicht. Diese Studie ist für unsere Unternehmen ein wichtiges Instrument, um die baulichen und sozialen Aktivitäten richtig zu justieren. Im Land Bremen gibt es große Unterschiede zwischen den beiden Städten Bremen und Bremerhaven, die sich im Wohnungsmarkt widerspiegeln.

Und wie werden Sie allen Interessen der Wohnungsunternehmen gerecht?

Der vdw bündelt seit vielen Jahren die Interessen sehr großer, aber auch sehr kleiner Mitgliedsunternehmen. Wir haben unser Ohr dicht an allen Unternehmen und versuchen, unsere Arbeit im Dialog zu gestalten. Unser Beratungsangebot in den Bereichen Recht, Technik, Steuern und Betriebswirtschaft wird deswegen den Bedürfnissen aller Mitglieder gerecht. Das gilt natürlich auch für die Aus- und Weiterbildung. Die Zustimmung bei unseren Mitgliedern für diese Art der Verbandsarbeit ist sehr positiv. Was mich bestärkt, diesen Kurs des Dialogs im Verband fortzusetzen.

Bremen hat am 14. Mai gewählt – was erwarten oder fordern Sie auf wohnungspolitischer Ebene von der rot-grün-roten Bürgerschaft? Ist der neue alte Bürgermeister Andreas Bovenschulte bereit für einen Wandel?

Ich habe 2019 als Verbandsdirektorin beim vdw angefangen und von Beginn an Wert darauf gelegt, dass der vdw im politischen Bremen aktiver ist als zuvor. Das ist sehr gut gelungen. Wir arbeiten konstruktiv, vertrauensvoll und im Zweifel auch kritisch miteinander. Dr. Bovenschulte und sein Senat haben wichtige Weichenstellungen für den sozialen Wohnungsbau vorgenommen und das Thema auch im Wahlkampf betont. Bremen ist auf einem guten Weg, aber es gibt noch einiges zu tun: Wir erwarten eine zusammenhängende Novellierung der Bremischen Landesbauordnung, eine
Grundvoraussetzung für die Schaffung und Sanierung bezahlbaren Wohnraums. Die Wohnraumförderung sollte entsprechend neuer Regelungen in der LBauO auch für neue Themen geöffnet werden: für Sanierung und Umbau, Nutzungsänderung, Nachverdichtung und Gebäudeaufstockung. Einer der Hauptschlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung der Klima- und Energiewende liegt in der integrierten energetischen Quartiersentwicklung. Wir fordern, dass ganzheitliche, perspektivisch verlässliche Lösungen in Zusammenarbeit mit der Energiewirtschaft gefördert werden.

Was hat es mit dem "Smart-Living-Cluster" auf sich, das die Digitalisierung in Ihrem Verbandsgebiet fördert?

Das Smart-Living-Cluster ist eine Gemeinschaftsinitiative des Niedersächsischen Wirtschaftsministeriums und des vdw. Wir wollen zeigen, dass unsere Branche ein maßgeblicher Treiber von Digitalisierung ist. Im Smart-Living-Cluster werden Kompetenzen gebündelt und innovative Konzepte etwa zum Klimaschutz oder zum Zusammenleben in Quartieren erarbeitet. Erstes sehr konkretes Ergebnis ist der "AAL-Standard für den Geschosswohnungsbau" – ganz praktische Hilfestellungen für den Einsatz technikgestützter Assistenzsysteme in Wohnungen.

Das Fachmagazin DW Die Wohnungswirtschaft wird in diesem Jahr 75 — haben Sie Wünsche an uns?

Ich bin ein großer Fan der DW. Die fachkundigen Beiträge und der breite Themenmix haben mir persönlich zu meinem Start in der Wohnungswirtschaft einen guten, fundierten Überblick verschafft. Ich wünsche Ihnen, dass Sie weiterhin Themen und Ideen so zielgerichtet identifizieren und mit der gewohnt hohen Qualität aufarbeiten können. Die DW ist die Fachzeitschrift der Branche schlechthin – und das soll auch mindestens bis zum nächsten großen Jubiläum in 25 Jahren so bleiben.

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Das Interview findet sich auch in der Print-Ausgabe der DW Die Wohnungswirtschaft 08/2023 .