75 Jahre DW Die Wohnungswirtschaft – Interview Jens Zillmann

Was sind die Chancen und Herausforderungen für die Wohnungswirtschaft in Sachsen-Anhalt? Das erklärt der Verbandsdirektor des VdW Sachsen-Anhalt, Jens Zillmann. Er richtet klare Worte an die Politik und freut sich über das Engagement seiner Mitglieder.

Der Verband der Wohnungswirtschaft Sachsen-Anhalt (VdW) und der Verband der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt (VdWg) sind Fach- und Interessenvertretung der rund 200 kommunalen Unternehmen und Genossenschaften im Land. Zusammen bewirtschaften sie zirka 330.000 Wohnungen.

Im Vergleich zu anderen wohnungswirtschaftlichen Verbänden in Deutschland: Welche Besonderheiten oder auch Unterschiede dazu gibt es in Sachsen-Anhalt? 

Jens Zillmann: Die größte Besonderheit ist das Bestehen von zwei parallelen Verbänden, genossenschaftlich und kommunal, die in einer Kooperation zusammenarbeiten, die Interessenvertretung jedoch separat organisieren. Wir geben in zirka 330.000 Wohnungen rund 630.000 Menschen ein Zuhause. Unser Bundesland ist, außerhalb von Magdeburg und Halle, ein ländlicher Raum mit überwiegend strukturschwachen Regionen. Dennoch möchte ich hervorheben, dass sich hier Universitäten und Hochschulen mit guten Forschungsbedingungen befinden. Außerdem gilt die Ansiedlungspolitik des Landes mit Intel als größte Investition in die ökonomische Struktur seit langer Zeit und wird positive strukturpolitische Effekte haben. Die Lage Sachsen-Anhalts in der Mitte Deutschlands ist ein weiterer Pluspunkt: Wir haben eine sehr gute Anbindung an Straßen, Schienen- und Flussnetz.

Gibt es im Verbandsgebiet mehr Leerstand oder mehr Wohnraummangel? Wo boomt es, wo nicht?

Sachsen-Anhalt wird bis 2035 rund 178.300 Einwohner verlieren und bereits heute stehen etwa 32.000 Wohnungen der organisierten Wohnungswirtschaft leer. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch eine gute Ansiedlungspolitik und eine gezielte Zuwanderung wird diesen Trend nicht aufhalten. In den strukturschwachen Regionen im ländlichen Raum wird es zu weiter steigenden Leerständen kommen, denen nur durch Rückbau und Aufwertung der verbleibenden Wohnungsbestände begegnet werden kann. Dieser Prozess muss durch ein neues Stadtumbauprogramm bis 2035 begleitet und mit Fördermitteln ausgestattet werden! Selbst stabile Städte wie Magdeburg und Halle und umgebende Regionen oder Mittel- und Oberzentren wie Stendal, Salzwedel, Lutherstadt, Wittenberg, Halberstadt, Aschersleben, Wernigerode sowie Köthen, Merseburg, Naumburg und Weißenfels haben mit diesen Problemen zu kämpfen.

Betonen will ich an dieser Stelle die Leistungsfähigkeit der kommunalen Wohnungswirtschaft, die viel für die lebenswerte Zukunft unseres Landes tut: Viele Unternehmen wurden mit der "Grünen Hausnummer" prämiert. Diese würdigt das vorbildhafte Engagement privater Eigentümer und Eigentümerinnen kleiner Wohngebäude und seit 2021 auch der wohnungswirtschaftlichen Unternehmen, die beim Bauen oder Modernisieren in punkto Energieeffizienz mehr tun, als der Gesetzgeber vorschreibt. Außerdem gab es von unseren Mitgliedsunternehmen tolle Projekte für den Stadtumbau Award 2023 unter dem Motto "Städte gestalten – Das zukunftsfähige Quartier", der in diesem Jahr zum sechsten Mal vom Kompetenzzentrum Stadtumbau in der SALEG gemeinsam mit dem Ministerium für Infrastruktur und Digitales des Landes Sachsen-Anhalt ausgeschrieben wurde. Das zeigt sowohl das große Engagement als auch die große Verantwortung unserer Mitglieder.

Gemeinsam mit anderen Vertretern mitteldeutscher Wohnungsverbände kritisieren Sie die Politik der Bundesregierung bezüglich des angestrebten Neubaus von 400.000 Wohnungen in Ballungsräumen mit angespannten Wohnungsmärkten – der ja noch dazu aktuell deutlich verfehlt wird. Wo muss die Bundespolitik vielleicht umdenken?

Ganz klar: Der Fokus muss auf der Förderung von Investitionen im Bestand liegen – konkret der energetischen Sanierung, der Barrierefreiheit, dem Teilrückbau und der Schaffung moderner und zukunftsfähiger Quartiere! Eine Neubauförderung ist auch in Sachsen-Anhalt wichtig, aber ohne marktferne Konditionen mit Mietpreis- und Belegungsbindung. Eine Erhöhung der Zuschüsse ist aus unserer Sicht dringlich geboten. Die BMK-Forderung 2022 zur Erhöhung der Städtebauförderung auf 1,5 Milliarden Euro muss endlich umgesetzt werden, der Stadtumbau stagniert.

Die Wahrnehmung und Unterstützung unserer ostdeutschen Belange auf Bundesebene sowie die Ausstattung der Fördermittelkulisse ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel und unzureichend! Die Kommunikation auf Landesebene mit Landesregierung, Ministerien und Abgeordneten ist dagegen gut, jedoch in der Finanzausstattung für die aufgelegten politischen Vorhaben und Programme leider zu niedrig, um den derzeitigen vielfältigen Herausforderungen zu genügen.

Die AGW Aschersleben wurde 2023 für ihr Leuchtturmprojekt "Energieautarke Platte" mit dem DW-Zukunftspreis der Immobilienwirtschaft ausgezeichnet. Wie groß schätzen Sie dessen Strahlkraft ein?

Natürlich sind wir stolz auf das Projekt der AGW in der Kopernikusstraße, zur Nachahmung regen wir aktiv an und unterstützen diese durch Multiplikatoren. Serienproduktion bedarf aber einer nachhaltigen Förderung und eines massiven Ausbaus des Finanzierungsbudgets hierfür, sonst bleibt es ein Leuchtturm. Es freut mich, dass Folgeprojekte in Aschersleben und anderswo in Planung sind. 

Mitte Juli wandten Sie sich in einem offenen Brief an Bund und Land und forderten, dass der Verkauf kommunaler Wohnungen gestoppt wird. Was befürchten Sie für Ihre Mitgliedsunternehmen und das bezahlbare Wohnen? 

Nicht nur der Verkauf, sondern eine Liquidation und eine Insolvenz waren der Auslöser für diesen Schritt. Entscheidend ist doch: Die kommunale, sozial ausgewogene Wohnraumversorgung als Instrument der Daseinsvorsorge muss erhalten und finanziell unterstützt werden. Wir sichern den sozialen Zusammenhalt in den Quartieren, versorgen sozial schwächere Menschen mit Wohnraum, sichern Integration und sind Motor der Stadtentwicklung und des Stadtumbaus – das kann und darf die Politik nicht aufs Spiel setzen.

Bezahlbarkeit des Wohnens bedeutet: Wer fordert, muss auch fördern. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist ein Verfassungsgrundsatz und die Entwicklung des ländlichen Raums Bestandteil des Koalitionsvertrages in Sachsen-Anhalt. Ich kann mich nur wiederholen: Es muss endlich auch eine entsprechende Programmatik und Finanzausstattung her. Die Wohnungswirtschaft will Partner, Gestalter und Unterstützer sein.

Wir feiern dieses Jahr 75 Jahre DW Die Wohnungswirtschaft – welche Rolle spielt die DW für Sie? 

Die DW ist Pflichtlektüre im VdW Sachsen-Anhalt und auch Sprachrohr unserer Mitglieder für gute Projekte im Verbandsgebiet. Ich schätze die DW sehr als Ideen- und Impulsgeber, insbesondere die Veranstaltung WERKSTATT. Für die Verbandsarbeit unterstützen uns die Fach- und Sachbeiträge. Machen Sie weiter so: auf gute Zusammenarbeit! 


Das Interview findet sich auch in der Print-Ausgabe der DW Die Wohnungswirtschaft 09/2023.

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