75 Jahre DW Die Wohnungswirtschaft: Interview mit Frank Emrich

Frank Emrich, Verbandsdirektor des vtw, spricht über die Besonderheiten seines Verbandsgebiets, die Herausforderungen und Chancen von ländlichen Räumen, die Wärmewende sowie die politische Einflussnahme durch den Verband.

Der Verband Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vtw) wurde 1991 gegründet. 221 Mitglieder, mehrheitlich kommunale Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaften, gehören dem Verband an. Die Unternehmen bewirtschaften derzeit einen Bestand von rund 264.000 Wohnungen.

Sechs Thesen hat der vtw entwickelt zum Thema "Entwicklung des ländlichen Raums". Das war 2018. Haben diese Thesen heute noch Gültigkeit?

Frank Emrich: Die Corona-Pandemie hat vorhandene Entwicklungen verstärkt und beschleunigt. Als Veranstaltungen nur noch online angeboten werden konnten, wurden sie angenommen. Und es wurde festgestellt: Für einige Formate ist die digitale Form doch recht praktisch. Danke, Corona. Danke auch dafür, dass der (stadtnahe) ländliche Raum plötzlich wieder attraktiv geworden ist. Die Enge der Metropolen, Mietpreisentwicklungen und das mobile Arbeiten haben vor allem viele Familien dazu veranlasst, sich nach einer Wohnung im Grünen umzuschauen. Hoffentlich wirkt dieser Trend noch eine lange Zeit nach.

Auch die Folgen des Krieges in der Ukraine bringen erhöhten Wohnraumbedarf in Thüringen mit sich. Nach vielen Gesprächen hat unsere Landesregierung Ende März die Thüringer Wohnraumherrichtungsförderrichtlinie veröffentlicht. Es werden 12,5 Millionen Euro zur Herrichtung von Wohnraum für Geflüchtete bereitgestellt, 5.000 Euro pro Wohnung im ländlichen Raum. Sollten die Geflüchteten dann bleiben, wäre das für den ländlichen Raum hilfreich.

Unsere Thesen werden fünf Jahre alt und haben nicht an Bedeutung verloren. Zwar ist das Thema deutlich präsenter in der Landespolitik und wird in erkennbaren Ansätzen ganzheitlicher gedacht – aber bei Weitem noch nicht ausreichend und durchgängig.

Mit einem Bestand von zirka 264.000 Wohnungen ist die thüringische Wohnungswirtschaft im Bundesvergleich eher klein – ist sie dadurch auch familiärer?

Ja, die alljährlichen Tage der Thüringer Wohnungswirtschaft im Mai sind wie ein Familientreffen. Der vtw hat ein vielfältiges Veranstaltungsangebot, welches den Austausch fördert. Wir organisieren seit 30 Jahren zweimal im Jahr die Baufachtagung und ein ganz neues Format ist unsere Fachtagung Kommunikation gewesen, die schnell ausgebucht war, und deren Wiederholung bereits für 2024 fest eingeplant ist.

Im Thüringer Klimagesetz ist die Kommunale Wärmeplanung, die auf Bundesebene gerade beschlossen wird, bereits seit 2017 verankert. Wie läuft die Thüringer Wärmewende? Außerdem haben Sie Anfang Februar einen neuen Energieminister bekommen. Welchen Eindruck macht er in der Thüringer Wohnungswirtschaft?

Im Rahmen unserer Energietagung im März hatten wir eine Podiumsdiskussion mit Prof. Lamia Messari-Becker und unserem neuen Minister Bernhardt Stengele. Dort pflichtete er der Technologieoffenheit bei und beteuerte, er wolle die Energiewende nicht durch Einschränkungen behindern, sondern flexibel bleiben.

Ein wichtiges Thema war auch die kommunale Wärmeplanung, die eine kommunale Netzplanung für sämtliche leitungsgebundene Infrastruktur werden muss. Das kann nur gemeinschaftlich erfolgreich sein. Die Vorarbeit, die Thüringen mit den vorliegenden Dekarbonisierungsstrategien der Fernwärmeerzeuger bereits zum Ende des letzten Jahres geleistet hat, ist sehr gut. Jetzt muss dieser wichtige Baustein bei der lokalen Wärmewende genutzt werden. Und das Ganze muss schnell passieren. Die Wärmewende kann nur mit Partnern gelingen – im Quartier, in der Kommune, mit Handwerk, Ingenieuren und Industrie.

Dabei wird die Dekarbonisierung der Fernwärme zwangsläufig zu weiteren empfindlichen Preissteigerungen führen. Drohende Nebenkosten auf Kaltmietniveau sind für Thüringer allerdings schlichtweg nicht leistbar. Die Lösung allein bei Wohnungsunternehmen zu suchen, führt zum bekannten Vermieter-Mieter-Dilemma.

Ihr Verband ist noch jung – welche Entwicklungen würden Sie dennoch als "Meilensteine" der Verbandsgeschichte bezeichnen?

Nach 40 Jahren Planwirtschaft waren die Bestände der Thüringer Wohnungsgenossenschaften und kommunalen Wohnungsgesellschaften vielfach in einem desolaten Zustand, als der Verband sich gründete. Parteipolitisch-ideologisch festgesetzte Niedrigmieten sorgten für eine trügerische soziale Sicherheit, weil sie zu keinem Zeitpunkt kostendeckend waren. Die organisatorische und strategische Aufbauleistung der Wohnungsunternehmen seit 1990 hat für die Entwicklung des Freistaates Thüringen einen immensen Wert. Die Erfahrungen aus dieser Epoche kommen den Wohnungsunternehmen momentan zugute. Die Thüringer wissen, wo sie herkommen, und können sicher bestimmen, wo sie hinwollen und auch, wo sie nicht (wieder) hinwollen.

Was steht in der nächsten Dekade über die klassischen Themen hinaus auf der Verbands-Agenda?

Investitionen in den Bestand haben Priorität. Dabei müssen wir aber in Lebenszyklen denken, planen und kalkulieren. 2018 und 2020 haben wir Studien zu Typengebäuden durchführen lassen, die dabei helfen, das Ganze in einem klugen Mix aus klassischen Instrumenten, Szenarioplanungen und unter der sachgerechten Integration von BIM anzugehen. Außerdem werden wir weiter an der Mieterzufriedenheit arbeiten. Das haben wir durch unsere Fachtagung Kommunikation, wo es um Markenführung ging und den regelmäßigen Kundenmonitor (Mystery Shopping als Analysetool) bereits angestoßen. Vertrieb ist ein stetiger Prozess, wir bleiben dran.

Ein anderes wichtiges Thema ist die Datenhoheit. Daten aus der Wohnungsbewirtschaftung sollen den Wohnungsunternehmen erhalten bleiben. Zum Nutzen der Mieter und zur Kostenoptimierung.

Das Sozialmanagement ist eine stetig wachsende Notwendigkeit im Quartier und kann Differenzierungsmerkmal zum Wettbewerb sein. Es ist aber auch eine zusätzliche Aufgabe für Wohnungsunternehmen, ohne eigenständige Refinanzierungsmöglichkeit.

Wir müssen uns auf den Weg machen, dem aktuellen Umfeld – das in Komplexität und Anspruchsniveau hoch ist und weiter steigen wird – durch noch mehr Managementkompetenz in Verbänden, Akademien, Dienstleistern und Wohnungsunternehmen zu begegnen. Und ich befürchte, die maximale Investitions- und Finanzierungskraft der Wohnungsunternehmen wird dem Investitionsbedarf zur Erreichung politischer und gesellschaftlicher Ziele in Zukunft nicht gerecht werden. Für die Bezahlbarkeit des Wohnens und die Entwicklungsmöglichkeiten der Wohnungsunternehmen ist das ein Dilemma.

Zu guter Letzt werden wir daran arbeiten müssen, die Wahrnehmbarkeit der Wohnungswirtschaft in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Die Berücksichtigung unserer Interessen in der Politik muss noch deutlicher werden.

Das Interview findet sich auch in der Print-Ausgabe der DW Die Wohnungswirtschaft 05/2023 .