75 Jahre DW Die Wohnungswirtschaft: Interview Alexander Rychter

Über die teils unterschiedlichen Herausforderungen von Wohnungsunternehmen in Ballungsräumen einerseits und ländlichen Regionen andererseits spricht Alexander Rychter, Verbandsdirektor des VdW Rheinland Westfalen.

Der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VdW) Rheinland Westfalen ist Interessenvertretung und Dienstleister für die rund 480 Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften in Nordrhein-Westfalen (NRW) und im nördlichen Rheinland-Pfalz. Er ist der größte wohnungswirtschaftliche Regionalverband.

Iris Jachertz: Das Verbandsgebiet des VdW Rheinland Westfalen erstreckt sich vielerorts auf Ballungsräume. Die Mitgliedsunternehmen bewirtschaften allein in NRW rund 1,1 Millionen Wohnungen. Ist das ein Alleinstellungsmerkmal?

Alexander Rychter: Nordrhein-Westfalen ist ein Stück weit die "Bundesrepublik im Klei­nen". Es hat nicht den einen Wohnungs­markt. Wachstumsregionen liegen eng beieinander, dane­ben gibt es Landesteile, in denen die Bevölkerungs- und Haushaltszahlen aktuell eher rückläufig sind. Genauso vielfältig ist im Übrigen auch die Mitgliederstruktur des VdW – von der kleinen Genossenschaft bis zur großen börsennotierten Aktiengesellschaft.

Auch das nördliche Rheinland-Pfalz zählt zum Verbandsgebiet. Welche Herausforderungen bringt dort die Wohnungspolitik mit sich?

In Rheinland-Pfalz mangelt es in Großstädten wie Mainz, Koblenz und Trier an bezahlbaren Wohnungen. Allerdings ist der Akzent etwas anders, da Rheinland-Pfalz im Umland der Großstädte ländlicher strukturiert ist. Hier gilt es, Stadt-Umland-Kooperationen anzustoßen, um der Mietpreisentwicklung in den Großstädten entgegenzuwirken. Ein Ansatz dazu sind neue kommunale Wohnungsunternehmen. Die rheinland-pfälzische Wohnungswirtschaft unterstützt hierbei, um neue Wohnungsmarktakteure aus der Taufe zu heben.

Gleichzeitig hat sich die rheinland-pfälzische Landesregierung im Streben nach Klimaneutralität sogar ein noch ehrgeizigeres Ziel gesetzt als NRW: Rheinland-Pfalz will zwischen 2035 und 2040 klimaneutral sein. Das Finanzministerium, das in Rheinland-Pfalz auch für das Bauen zuständig ist, denkt dabei klimaneutrales und bezahlbares Wohnen immer zusammen und gestaltet die Wohnraumförderbedingungen ähnlich gut wie Nordrhein-Westfalen. Nichtsdestoweniger ist das Ziel – gelinde gesagt – anspruchsvoll.

Wie unterscheidet sich die Situation bei der Wohnraumverfügbarkeit und den Mietpreisen zwischen ländlichen Räumen und Ballungsgebieten?

In den Metropolregionen und Schwarmstädten entlang der Rheinschiene sowie im südlichen Ruhrgebiet, aber auch in Universitätsstädten wie Aachen und Münster, wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper. In den von ehemaliger Industriekultur und Strukturwandel geprägten Landesteilen wie dem nördlichen Ruhrgebiet oder dem Bergischen Land sieht die Situation noch anders aus, aber auch hier nimmt die Zahl preiswerter Wohnungen spürbar ab. Die stärksten Wachstumsdynamiken verzeichnen wir in den Städten Bonn, Düsseldorf, Köln und Münster.

Gibt es Projekte, von denen vor allem ländliche Regionen profitieren?

Südwestfalen mit Hochsauer- und Siegerland sowie Ostwestfalen-Lippe sind zwar weniger von verdichteten Räumen geprägt, sie sind gleichzeitig aber aufgrund zahlreicher industrieller Weltmarktführer und Hidden Champions hochattraktiv. Die Landespolitik nimmt vor allem diese Landesteile mit dem strukturpolitischen Förderinstrument der sogenannten Regionale in den Fokus, zuletzt mit der Regionale 2022 "Urban Land Ostwestfalen-Lippe", ein fortführendes Projekt ist für 2025 geplant. Außerdem war für uns das GdW-Projekt "Regionalen Ausgleich stärken" wichtig. Wir konnten gerade in Richtung Politik verdeutlichen, welche Rolle die Wohnungswirtschaft bei der Schaffung attraktiver Wohn- und Lebensorte spielt und wo es sehr deutliche Defizite gibt.

Das Thema "Nachhaltigkeit" ist in aller Munde – aber nicht eindeutig definiert. Was bedeutet die Begrifflichkeit für Ihre Mitgliedsunternehmen?

Wohnungswirtschaft handelt immer dann nachhaltig, wenn sie dauerhaft bezahlbares, klimagerechtes und generationengerechtes Wohnen ermöglicht. Und dauerhaft können nur wirtschaftlich tragfähige Projekte sein. Das Thema Nachhaltigkeit aber wird gegenwärtig sehr stark auf die aktu­ellen klimapolitischen Herausforderungen reduziert. Nachhaltigkeit hat aber eben auch eine soziale und eine ökonomische Dimension. Und gerade was diese Dimensionen betrifft, sind die Klimaziele der EU für die Wohnungsunternehmen und -genossenschaften, aber vor allem für die Menschen, die bei ihnen wohnen, eine immense Aufgabe.

Was uns große Sorgen bereitet, ist die Diskussion um die immer weitere Verschärfung energetischen Ordnungsrechts, beispielsweise durch die EU-Gebäuderichtlinie oder die GEG-Novelle. Die Wohnungswirtschaft wird ihre Kli­maziele sowie eine Dekarbonisie­rung des Wohnungsbestandes nur im Zusammenspiel aus wohnungs- und betriebswirtschaftlich machbaren baulichen Anforderungen und einer konsequenten Umstellung der Ener­gieerzeugung auf regenerative und im Idealfall quartiersnahe Energieversor­gungssysteme erreichen. Ich würde es begrüßen, wenn das Bundesministe­rium für Wirtschaft und Klimaschutz die mögliche Rolle der Wohnungs­wirtschaft als zunehmend wichtigen Teil bei der Energieversorgung unse­res Landes anerkennt. Wichtig sind auch der Ausbau seri­eller Sanierung, das Werben für den Baustoff Holz und andere alternative Baustoffe, vermehrte Dach- und Fas­sadenbegrünung, Klimaresilienz und Starkregenprävention, die Einbindung blauer Infrastruktur sowie Antworten auf die Ver­kehrswende.

Im Jahr 2027 findet die Internationale Gartenausstellung (IGA) Metropole Ruhr statt und Ihr Verband ist Kooperationspartner. Es geht um eine grüne Quartiersentwicklung – können Sie dazu schon mehr verraten und vielleicht ein besonderes Projekt nennen?

Die IGA ist für uns eine große Chance zu zeigen, welche Rolle gerade die Wohnungswirtschaft bei der Transformation dieser ehemals von Bergbau und Schwerindustrie geprägten Region spielen kann. Sie ist auch ein Meilenstein für das Ruhrgebiet an sich – auf dem weiteren Weg des Strukturwandels hin zu einer grünen und klimaneutralen Industrie, aber vor allem auch Bildungsregion im Herzen Europas. Mit unserem Projekt "100 Wohngärten" wollen wir ganz unterschiedliche Entwicklungen anstoßen – von ganz klein bis ganz groß.

Wenn Sie die Herausforderungen unserer Zeit vergleichen mit denen aus vergangenen Jahrzehnten – sind Unterschiede erkennbar, womit Ihre Verbandsmitglieder konfrontiert waren? Hat sich der Dialog mit der Politik verändert?

Die Wohnungswirtschaft befindet sich seit Jahren im Krisenmodus – ob Coronakrise, Energiekrise, Baukostenkrise oder der Zustrom von Geflüchteten. Der Dialog mit Bundes- und Landespolitik wurde in den zurückliegenden Jahren sektoral geprägt: Für die Energiepolitik ging es um erneuerbare Energien sowie klimagerechtes Bauen und Sanieren, für die Umweltpolitik um Klimaresilienz und Ressourcenschonung, für die Verkehrspolitik um Elektromobilität und Ladeinfrastruktur, und für die Wohnungspolitik um mehr bezahlbaren Wohnraum. Dieses sektorale Denken können wir uns einfach nicht mehr leisten. Das Wohn- und Stadtquartier bietet die Plattform, auf all diese Fragen zukunftsfähige Antworten zu geben.

In diesem Jahr wird die DW Die Wohnungswirtschaft 75 Jahre – was schätzen Sie an der DW?

Danke, dass Sie meine verbandliche Arbeit – sowohl beim BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, als auch seit 2010 beim VdW Rheinland Westfalen, mehr als 25 Jahre begleitet haben. Als Bochumer wünsche ich Ihnen für die Zukunft ein herzliches "Glück auf".

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Das Interview findet sich auch in der Print-Ausgabe der DW Die Wohnungswirtschaft 04/2023 .