§ 246e BauGB

Der Bauturbo: Ende der "dunklen Triade"?


Der Bauturbo: Ende der "dunklen Triade"?

Der Bauturbo macht den Weg frei für befristete Sonderregelungen, die den Wohnungsbau bis Ende 2030 deutlich beschleunigen sollen. Die Einführung des neuen § 246e BauGB soll Bauherren unter die Arme greifen. Ein Experiment mit politischer Sprengkraft.

Mit dem Bauturbo wird erstmals erlaubt, ohne Bebauungsplan zu bauen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Gleichzeitig trifft das Gesetz auf eine Branche, in der das Gleichgewicht aus Kosten, Zinsen und Kapazitäten längst verloren gegangen ist.

Drei Kräfte, die den Wohnungsbau bremsen

Seit Jahren wirkt eine "dunkle Triade": Grundstückspreise, Baukosten, Zinsen. Alle drei sind gestiegen, während die Produktivität im Baugewerbe stagniert. Trotz sinkender Fertigstellungszahlen liegen die Preise für Bauland bundesweit rund 70 Prozent über dem Niveau von 2010. Die Fachkräftelücke hat sich um die Hälfte vergrößert. Selbst einfache Projekte scheitern an Finanzierung, Normen und Verfahren. Vor diesem Hintergrund ist der Bauturbo keine technokratische Reform, sondern der Versuch, Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.

§ 246e BauGB – Bauen ohne Plan(verfahren)

Kernstück des Gesetzes ist der neue § 246e BauGB, eine befristete Experimentierklausel bis 31.12.2030Er erlaubt Abweichungen von bauplanungsrechtlichen Vorschriften, wenn

  • das Vorhaben der Schaffung oder Reaktivierung von Wohnraum dient,
  • keine erheblichen zusätzlichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind,
  • die Gemeinde ausdrücklich zustimmt (§ 36a BauGB) und
  • das Bauvorhaben im räumlichen Zusammenhang mit bestehender Bebauung steht.

Neu gegenüber dem Regierungsentwurf:

  • Die frühere Einschränkung "im erforderlichen Umfang" wurde gestrichen – die Anwendung wird dadurch praxistauglicher.
  • Die Zustimmungsfiktion wurde auf drei Monate verlängert. Schweigt die Gemeinde länger, gilt die Zustimmung als erteilt.
  • Eine strategische Umweltprüfung ist nun auch bei erheblichen Umweltauswirkungen möglich; sie schließt die Anwendung des § 246e nicht mehr aus.

Damit können Kommunen künftig selbst entscheiden, wann und wie sie Tempo machen, etwa bei der Umnutzung leerstehender Gebäude, bei Aufstockungen oder bei der Wohnraumnachverdichtung im Innenbereich.

Mehr Wohnraum – auch jenseits starrer Grenzen

Parallel zum neuen § 246e wurden weitere Paragrafen geändert, um Engstellen zu lösen:

§ 31 Abs. 3 BauGB – Befreiung in "mehreren vergleichbaren Fällen"

Befreiungen zugunsten des Wohnungsbaus können künftig serienweise ausgesprochen werden, beispielsweise für ganze Straßenzüge mit Aufstockungen oder Hinterlandbebauung. Voraussetzung bleibt die Zustimmung der Gemeinde und die Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen.

§ 34 Abs. 3b BauGB – Neues Bauen im unbeplanten Innenbereich

Auch dort, wo ein Vorhaben sich nicht einfügt, darf die Kommune künftig zustimmen, etwa bei Aufstockungen von Supermärkten, Parkhäusern oder Umnutzungen von Nichtwohngebäuden zu Wohnzwecken. Das Einfügungsgebot wird damit flexibilisiert, nicht aufgehoben.

Öffnung des Außenbereichs

Um der Baulandknappheit zu begegnen, dürfen künftig auch im Außenbereich Wohngebäude errichtet werden, sofern sie im räumlichen Zusammenhang mit bestehenden Siedlungen stehen. Damit wird Flächensparen mit moderater Siedlungserweiterung kombiniert.

§ 9 Abs. 1 Nr. 23 a aa BauGB und § 216a BauGB – Mehr Flexibilität beim Lärmschutz

Kommunen dürfen künftig in begründeten Fällen von der TA Lärm abweichen, etwa, um Wohnen in der Nähe von Gewerbe zu ermöglichen. Wird ein solcher Bebauungsplan später für unwirksam erklärt, regelt § 216a BauGB ein koordiniertes Verfahren zur nachträglichen Lärmminderung zwischen Behörden, Vorhabenträgern und Betrieben.

Kommunale Selbstverwaltung gestärkt

Das neue Recht stellt klar: Die Entscheidungshoheit bleibt bei den Gemeinden. Der Bauturbo ist keine Zentralisierung, sondern ein Optionsrecht. Kommunen können – müssen aber nicht – von ihm Gebrauch machen. Sie behalten das letzte Wort, können Auflagen formulieren und städtebauliche Verträge schließen.

Damit knüpft das Gesetz an das verfassungsrechtlich geschützte Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung an. Die Experimentierklausel bleibt ein Werkzeug der kommunalen Verantwortung, kein Durchgriffsrecht des Bundes.

Ergänzende Regelungen

  • § 250 BauGB – Umwandlungsschutz: Verlängert bis 31.12.2030. Mietwohnungen dürfen weiterhin nur mit Ausnahmegenehmigung in Eigentum umgewandelt werden.
  • § 201a BauGB – Angespannter Wohnungsmarkt: Verlängerung bis 31.12.2031, Länder können weiterhin entsprechende Gebiete ausweisen.
  • Militärische Bauvorhaben: Genehmigungserleichterungen für Vorhaben, die der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr dienen.

Zwischen Beschleunigung und Verantwortung

Mit der Streichung überflüssiger Prüfpflichten und der Verlängerung der Zustimmungsfristen wurde der Bauturbo im parlamentarischen Verfahren spürbar praxistauglicher. Gleichzeitig haben Bundestag und Bundesrat deutlich gemacht, dass Umwelt- und Nachbarschaftsbelange nicht suspendiert werden. Das Gesetz bleibt also ein Gleichgewichtsexperiment: Mehr Tempo – aber nicht um jeden Preis. 

Die drei zentralen Lehren lassen sich daraus ziehen:

  1. Tempo braucht Struktur: Beschleunigung funktioniert nur, wenn Verfahren standardisiert werden.
  2. Recht bleibt Verantwortung: Jede Zustimmung ist eine Ermessensentscheidung – politisch und rechtlich.
  3. Bauen bleibt begrenzt durch Kapazität: Ohne Menschen auf der Baustelle bleibt auch das schnellste Gesetz ein Papiertiger.

Fazit: Bauturbo ist kein Freifahrtschein

Der Bauturbo ist kein Freifahrtschein, sondern ein Vertrauensvorschuss. Er gibt Kommunen die Möglichkeit, selbst Gestalter des Wandels zu sein. Ob daraus ein Fortschritt oder ein Feigenblatt wird, hängt nicht vom Gesetz ab, sondern davon, wie mutig und verantwortungsvoll es angewendet wird. Denn auch mit § 246e BauGB gilt: Planung ersetzt kein Handwerk. Aber sie kann es endlich wieder ermöglichen.


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Schlagworte zum Thema:  Klimaschutz , Wohnungsbau , Wohnungspolitik