Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßkostenhilfe für Nichtzulassungsbeschwerde in Schätzungsfall

 

Leitsatz (NV)

1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH für eine Nichtzulassungsbeschwerde kann durch den Steuerpflichtigen selbst auch vor dem Urkundsbeamten des FG gestellt werden.

Der Antrag ist zulässig, wenn er -- mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse -- innerhalb der Beschwerdefrist gestellt wird.

2. Der PKH-Antrag ist jedoch mangels hinreichender Erfolgsaussicht unbegründet, wenn sich weder aus dem Vorbringen des Steuerpflichtigen noch aus dem FG-Urteil und dem Sitzungsprotokoll der Vorinstanz Zulassungsgründe entnehmen lassen.

3. Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen hat regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung. Das FG weicht bei summarischer Prüfung auch nicht von der ständigen BFH-Rechtsprechung ab, wenn es die Schätzungsbefugnis daraus ableitet, daß der Steuerpflichtige die Mitwirkungspflicht im Besteuerungs- und finanzgerichtlichen Verfahren anhaltend verletzt und sich im wesentlichen darauf beschränkt hat, die vom FA herangezogenen Schätzungsgrundlagen zu bestreiten.

 

Normenkette

ZPO §§ 114, 117 Abs. 2; FGO §§ 56, 115 Abs. 2-3, § 142 Abs. 1-2; AO 1977 § 162 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Die nichtselbständig tätige Klägerin und Antragstellerin (Klägerin) ist verheiratet, wird aber getrennt von ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt. Im Jahre 1986 hatte sie Grund und Boden erworben, diesen mit zwei Einfamilienhäusern bebaut und sodann 1987 verkauft. Der Beklagte (das Finanzamt -- FA --) ermittelte hieraus einen von der Klägerin bestrittenen Überschuß von 130 000 DM, den er zur Grundlage von im Wege der Schätzung angesetzten Einkünften aus Kapitalvermögen von 4 100 DM machte. Die Klage hiergegen wurde vom Finanzgericht (FG) rechtskräftig abgewiesen.

Auch für die vorliegenden Streitjahre 1988 bis 1990 schätzte das FA Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 4 600 DM, 5 300 DM und 6 300 DM. Im nach erfolglosem Einspruch angestrengten Klageverfahren machte die Klägerin geltend, bei der Grundstücksveräußerung habe es sich um einen Notverkauf gehandelt, der Erlös sei in die Baufirma ihres Ehemannes geflossen. Sie habe ihr Wohnhaus abreißen und 1992 mit erheblichem Kredit neu bauen müssen. Inzwischen drohe die Zwangsversteigerung; sie selber habe im Oktober 1993 die eidesstattliche Versicherung abgelegt. Belege seien jedoch nicht verfügbar. Eine Aufklärungsanordnung unter Ausschlußfrist seitens des FG ließ die Klägerin unbeantwortet.

Das FG wies die Klage nach mündlicher Verhandlung unter Teilnahme der Klägerin und ihres Ehemannes als unbegründet ab. Denn die Schätzung sei dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt. Die Klägerin habe ihre Angaben nicht, wie geboten, erläutert und ihre Mitwirkungspflichten verletzt. Für ihren zudem widersprüchlichen Vortrag -- auch zur Bestreitung des Lebensunterhaltes der Familie -- habe sie keinerlei Nachweis erbracht. Ein wesentlicher Teil ihres Vorbringens betreffe ferner Vorgänge nach den Streitjahren. Im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung müsse sie sich die Belastung bis zur oberen Grenze des Schätzungsrahmens gefallen lassen.

Nach Zustellung des FG-Urteils, gegen das die Revision vom FG nicht zugelassen wurde, hat die Klägerin bei der Urkundsbeamtin des FG für das von ihr beabsichtigte Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde Antrag auf Prozeßkostenhilfe (PKH) gestellt und auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgereicht. Sodann hat sie selbst beim FG schriftlich "Einspruch" gegen das FG- Urteil eingelegt; das FG sah hierin eine Nichtzulassungsbeschwerde, der es nicht abgeholfen hat.

Das FA tritt dem Antrag auf PKH entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf PKH ist zulässig, jedoch unbegründet.

1. Die Antragstellung durch die Klägerin selbst war gemäß § 78 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wirksam, ohne daß eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer geboten gewesen wäre (ständige Rechtsprechung, z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 23. Januar 1991 II S 15/90, BFHE 163, 123, BStBl II 1991, 366).

Der Antrag konnte auch vor der Urkundsbeamtin des FG gestellt werden, obwohl Prozeßgericht für das Rechtsmittelverfahren i. S. des § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO der BFH ist (BFH-Beschluß vom 10. Juli 1981 VII S 8/81, BFHE 133, 350, BStBl II 1981, 677). Denn was für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gilt (§ 115 Abs. 3 Satz 2 FGO), muß auch für das sich darauf beziehende Prozeßhilfegesuch rechtens sein (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 52. Aufl., § 117 Anm. 11 zur Verwaltungsgerichtsordnung -- VwGO --); der BFH ist denn auch im Beschluß vom 20. April 1988 X S 13/87 (BFH/NV 1988, 728) ohne weiteres von der wirksamen Weiterleitung eines beim FG gestellten PKH-Antrags an den BFH ausgegangen (vgl. auch BFH-Beschluß vom 23. Januar 1991 II S 17/90, BFH/NV 1991, 338).

Entgegen der Ansicht des FA ist der Antrag nicht schon deshalb abzulehnen, weil die Nichtzulassungsbeschwerde als das Rechtsmittel, auf das er sich bezieht, nicht mehr fristgerecht unter Wahrung des vorgeschriebenen Vertretungszwangs gemäß Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) eingelegt werden kann. Da die Klägerin PKH innerhalb der Beschwerdefrist beantragt und die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 117 Abs. 2 ZPO) vorgelegt hat, müßte ihr im Falle des Erfolgs des PKH-Antrags Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zur wirksamen Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt werden (BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 1989 V S 3/89, BFH/NV 1990, 450, und vom 5. Mai 1992 VII S 13/92, BFH/NV 1993, 262).

2. Der Antrag auf PKH ist jedoch unbegründet.

Die Gewährung von PKH setzt materiell- rechtlich voraus, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO i. V. m. § 142 Abs. 1 und 2 FGO).

Der Senat läßt unerörtert, ob die Rechtsverfolgung durch die Klägerin als mutwillig angesehen werden könnte, wie dies der X. Senat in einem Schätzungsfall -- mit nachgereichter Steuererklärung -- bejaht hat (Beschluß vom 5. November 1992 X B 167/92, BFH/NV 1993, 324; differenzierend BFH-Beschluß vom 10. Januar 1994 XI B 65/93, nicht veröffentlicht -- NV -- unter Hinweis auf Beschluß vom 13. Juni 1988 IV B 114/86, BFH/NV 1988, 804; dem folgend auch Senatsbeschluß vom 2. Juli 1992 VIII B 9/90, NV).

Denn jedenfalls bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung durch die Nichtzulassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinreichende Erfolgsaussichten setzen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des Antragstellers voraus. Das ist hier nicht der Fall.

Zu den Anforderungen an die Darlegung im PKH-Antrag durch eine nicht rechtskundig vertretene Partei hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zulassung der Revision bestehen zwar Meinungsunterschiede innerhalb der Senate des BFH, ob Zulassungsgründe mindestens laienhaft dargelegt sein müssen (so die BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1990, 450; vom 8. August 1990 X S 18/90, BFH/NV 1991, 185 sowie vom 20. August 1993 X S 6/93, NV) oder ob die Erfolgsaussichten auch summarisch anhand der vorhandenen Unterlagen, insbesondere der Vorentscheidung und des FG- Sitzungsprotokolls, zu überprüfen sind (so BFH-Beschlüsse vom 12. November 1987 V S 17/87, BFH/NV 1988, 264; vom 7. November 1990 III S 7/90, BFH/NV 1991, 337; vom 23. Januar 1991 II S 17/90, BFH/NV 1991, 338, und vom 5. April 1994 IV S 7/93, NV sowie Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 142 Tz. 14 m. w. N.). Die Frage bedarf aber keiner Entscheidung, weil sich hinreichende Gründe für die Zulassung der Revision weder aus dem Vorbringen der Klägerin noch aus dem Akteninhalt ergeben.

Die Klägerin hat keine Zulassungsgründe vorgebracht, obwohl sie auf deren Erfordernis in der berichtigten Rechtsmittelbelehrung zu dem FG-Urteil hingewiesen war. Auch aus der Vorentscheidung und dem Sitzungsprotokoll des FG lassen sich keine Zulassungsgründe entnehmen. Gegen die Annahme von grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache spricht schon, daß die Beurteilung einer Schätzung weitgehend von der tatrichterlichen Würdigung des Einzelfalles abhängt, so daß regelmäßig keine Klärung einer Rechtsfrage für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. Februar 1989 X B 90/87, BFH/NV 1989, 709, und vom 25. Januar 1990 IV B 140/88, BFH/NV 1990, 484). Selbst wenn die Schätzung im vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft sein sollte, wäre die Sache deshalb noch nicht von grundsätzlicher Bedeutung, zumal offen erscheint, ob die Rechtsfrage geklärt werden könnte.

Bei summarischer Prüfung ist auch keine Abweichung des FG von der umfangreichen BFH-Rechtsprechung (vgl. zunächst Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 14. Aufl., § 162 AO 1977 Anm. 6 m. w. N.) zur Schätzungsbefugnis gegeben, wenn der Steuerpflichtige -- wie hier die Klägerin -- die Mitwirkungspflicht im Besteuerungs- wie finanzgerichtlichen Verfahren anhaltend verletzt und sich im wesentlichen darauf beschränkt hat, die vom FA herangezogenen Schätzungsgrundlagen zu bestreiten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. April 1989 VI B 70/88, BFH/NV 1989, 662; vom 7. August 1990 X B 48, 49/90, BFH/NV 1991, 184, und vom 5. Februar 1993 VIII B 103/92, BFH/NV 1993, 352). Im vorliegenden Fall wäre es Sache der Klägerin gewesen, mit Beweismitteln glaubhaft oder doch wenigstens wahrscheinlich zu machen (vgl. BFH- Beschluß vom 6. Februar 1991 X B 184/90, BFH/NV 1991, 405), daß sie den Erlös aus dem Grundstücksverkauf nicht zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern zu anderen Zwecken verwandt habe.

Auch Verfahrensfehler des FG sind nicht ersichtlich. Die Vorinstanz hat die Klägerin fruchtlos zur Vervollständigung ihres Vorbringens aufgefordert und ihr auch in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Darstellung und Glaubhaftmachung ihres Rechtsstandpunkts gegeben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 92

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