Entscheidungsstichwort (Thema)

Eine wirksam erklärte Klagerücknahme kann nicht frei widerrufen werden; zur Gewährung von Prozeßkostenhilfe für eine persönlich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Klagerücknahme ist regelmäßig dann unwirksam, wenn der Steuerpflichtige bei Abgabe der betreffenden Erklärung prozeßunfähig war oder in unzulässiger Weise zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlaßt worden ist. Eine freie Widerrufsmöglichkeit der wirksam erklärten Rücknahme besteht nicht (Bestätigung früherer BFH-Rechtsprechung).

2. Beantragt ein nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretener Steuerpflichtiger Prozeßkostenhilfe für eine von ihm persönlich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde, so müssen in die Prüfung, ob Zulassungsgründe i. S. des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen, zusätzlich zu den Ausführungen des Steuerpflichtigen auch die vorhandenen Unterlagen und Akten einbezogen werden.

Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist auf amtlichem Vordruck innerhalb der Beschwerdefrist einzureichen.

 

Normenkette

FGO §§ 72, 115 Abs. 2, § 142 Abs. 1-2; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2, 4

 

Tatbestand

Der Antragsteller, Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrte mit seiner am 18. Juli 1986 erhobenen Klage u. a. den Abzug von 2 318 DM als außergewöhnliche Belastung. Die Aufwendungen seien ihm anläßlich von Besuchsfahrten zu seinen beiden Söhnen entstanden, die im Streitjahr (1984) bei seiner geschiedenen Ehefrau gelebt hätten. Die bisher gewährten sog. Besucherfreibeträge nach § 33a Abs. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigten die Aufwendungen nicht hinreichend.

Der für die Streitsache beim Finanzgericht (FG) zuständige Berichterstatter erörterte am 16. Februar 1990 mit dem Kläger und einem Vertreter des beklagten Finanzamts (FA) die Rechts- und Sachlage. Dabei stand das Rangverhältnis von § 33a Abs. 1a EStG und § 33 EStG im Mittelpunkt des Gesprächs. Der Berichterstatter vertrat unter Hinweis auf einschlägige Äußerungen in der Fachliteratur die Auffassung, § 33a Abs. 1a EStG enthalte eine abschließende Regelung mit der Folge, daß den Freibetrag übersteigende Aufwendungen nicht abziehbar seien. Der Vertreter des FA wies außerdem noch auf das Urteil des FG . . . hin, mit dem eine Klage des Klägers wegen des gleichen Streitpunktes in einem früheren Veranlagungszeitraum als unbegründet abgewiesen worden war. Zum Schluß der Erörterung erklärte der Kläger zu Protokoll, daß er die Klage zurücknehme. Das FG stellte daraufhin mit Beschluß vom 20. Februar 1990 das Verfahren ein.

Mit Schreiben vom 7. März 1990 erklärte der Kläger gegenüber dem FG, daß er seine Klagrücknahme vom 16. Februar 1990 (wieder) ,,zurücknehme". Er begründete dies im wesentlichen damit, daß er seinerzeit die Klage unter erheblichen Bedenken zurückgenommen habe. Einmal sei er durch Darlegungen zu § 32 Abs. 8 EStG beeinflußt gewesen; heute wisse er, daß der Kinderfreibetrag nur die üblichen Kosten für Kinder am selben Ort berücksichtige, nicht aber Mehraufwendungen durch Besuchsfahrten zu ihnen. Außerdem sei ihm inzwischen bekanntgeworden, daß beim Bundesfinanzhof - BFH - unter dem Az. III R 23/88 ein vergleichbares Verfahren anhängig sei; darauf sei er im Erörterungstermin nicht hingewiesen worden.

Das FG entschied mit Urteil vom 23. Mai 1990, daß die Klage zurückgenommen sei. Die Rücknahme sei im Erörterungstermin vom 16. Februar 1990 wirksam erklärt worden. Der Kläger sei an seine damalige Erklärung gebunden.

Die Revision ließ das FG in seinem Urteil nicht zu.

Dagegen wendet sich der Kläger persönlich mit der Nichtzulassungsbeschwerde (siehe Verfahren III B 394/90). Gleichzeitig bittet er um die Bestellung eines Rechtsbeistandes. Bedingt durch seine Scheidung sei er nicht imstande, einen Rechtsanwalt zu bezahlen. Weitere Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hat der Kläger nicht gemacht.

 

Entscheidungsgründe

In der Bitte, einen Rechtsbeistand zu stellen, ist ein Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren III B 394/90 zu sehen.

Dieser Antrag kann jedoch keinen Erfolg haben.

1. Die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe umfaßt in Fällen, in denen - wie für das vorliegende Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gemäß Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) - Vertretungszwang besteht, auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 121 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; § 142 Abs. 2 FGO).

2. Nach § 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag jedoch nur dann Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem Antrag sind eine Erklärung des Prozeßbeteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf amtlichem Vordruck sowie entsprechende Belege beizufügen (§ 117 ZPO).

Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

a) Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bietet nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Senat ist zwar gehalten, zusätzlich zu den Ausführungen des nicht durch einen sachkundigen Bevollmächtigten vertretenen Klägers, der im wesentlichen eine Revisionsbegründung gegeben hat, die vorhandenen Unterlagen und Akten heranzuziehen (siehe dazu z. B. den BFH-Beschluß vom 12. November 1987 V S 17/87, BFH/NV 1988, 264, mit weiteren Hinweisen). Doch ergibt sich auch so keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Zulassungsgrundes i. S. des § 115 Abs. 2 FGO.

aa) Bei Prüfung der Frage, ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung haben könnte (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), ist ausschließlich auf die Wirksamkeit der Klagerücknahme und die Bindung des Klägers an diese Prozeßerklärung abzustellen. Denn eine Stellungnahme des FG und später möglicherweise auch des BFH zum materiellen Recht (Abgeltungsumfang des § 33a Abs. 1a EStG) kommt nur in Betracht, wenn das Klageverfahren noch nicht erledigt ist.

Bei seiner Entscheidung, die Klagerücknahme sei wirksam erfolgt und könne im Streitfall nicht widerrufen werden, ist das FG von den dazu in der Rechtsprechung des BFH entwickelten Grundsätzen ausgegangen. Danach ist eine Klagerücknahme regelmäßig dann unwirksam, wenn der Steuerpflichtige bei Abgabe der betreffenden Erklärung prozeßunfähig war (BFH-Urteil vom 15. Februar 1977 VII R 42/74, BFHE 121, 385, BStBl II 1977, 434) oder in unzulässiger Weise zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlaßt worden ist (BFH-Beschluß vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352, mit weiteren Hinweisen). Eine freie Widerrufsmöglichkeit der wirksam erklärten Rücknahme besteht nicht (siehe hierzu z. B. das BFH-Urteil vom 8. Juli 1969 II R 108/66, BFHE 96, 552, BStBl II 1969, 733).

Es ist nicht ersichtlich, daß über diese Grundsätze Meinungsverschiedenheiten bestünden; sie werden im Gegenteil in der Fachliteratur zustimmend kommentiert (siehe z. B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 72 FGO Tz. 8). Es fehlt mithin an der für eine Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO erforderlichen Klärungsbedürftigkeit.

Ungeachtet dessen ist auch nicht ersichtlich, inwieweit hier eine Revisionsentscheidung im Interesse der Allgemeinheit liegen könnte; es geht um die Anwendung feststehender Rechtsgrundsätze auf einen konkreten Einzelfall (vgl. hierzu den BFH-Beschluß vom 19. September 1989 IV R 136/88, BFH/NV 1990, 379, letzter Absatz).

bb) Eine Abweichung von einer Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß das Urteil des FG auf einem Verfahrensmangel beruhen könnte (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Soweit der Kläger überhaupt zum Verfahren des FG Stellung genommen hat, beziehen sich seine Ausführungen ausschließlich auf das Verhalten des Berichterstatters im Erörterungstermin (siehe insbesondere S. 3 der Rechtsmittelschrift). Zum hier maßgebenden Urteilsverfahren über die Feststellung, ob die Klage zurückgenommen sei, hat er sich überhaupt nicht geäußert.

b) Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe scheitert auch daran, daß der Kläger keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf amtlichem Vordruck abgegeben hat (§ 142 FGO i. V. m. § 117 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO). Die Angaben hätten innerhalb der Beschwerdefrist gemacht werden müssen (siehe hierzu aus jüngerer Zeit den BFH-Beschluß vom 27. November 1987 VI S 3/87, BFH/NV 1988, 265, m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 424469

BFH/NV 1991, 337

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