Tz. 15

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 169 Abs. 1 Satz 3 AO regelt, welche Umstände für die Wahrung der Festsetzungsfrist maßgebend sind. Für die Wahrung der Festsetzungsfrist ist es unerheblich, ob im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Verwaltungsaktes die Festsetzungsfrist abgelaufen ist oder nicht, wenn der Steuerbescheid bzw. die elektronische Benachrichtigung gem. § 122a AO (s. § 122a AO Rz. 3 ff.) vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat oder bei öffentlicher Zustellung die Benachrichtigung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 VwZG bekannt gemacht oder veröffentlicht wird. Somit vermeidet diese Regelung Streitigkeiten über den rechtzeitigen Zugang und damit über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Verwaltungsaktes. Jedoch wird durch § 169 Abs. 1 Satz 3 AO nicht die Bekanntgabe des Steuerbescheides ersetzt. Somit muss der Steuerbescheid mit Wissen und Wollen der Finanzbehörde deren Bereich verlassen haben und dem Empfänger auch nach Fristablauf tatsächlich zugehen und ihm gegenüber aufgrund der Bekanntgabe nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO wirksam werden (BFH v. 25.11.2002, GrS 2/01, BStBl II 2003, 548; BFH v. 28.01.2014, VIII R 28/13, BStBl II 2014, 552). Dafür reicht es aus, dass die Behörde den Steuerbescheid per Telefax bekannt gibt (BFH v. 28.01.2014, VIII R 28/13, BFH/NV 2014, 1115). Das gilt auch, wenn der Steuerbescheid zu seiner wirksamen Bekanntgabe an den richtigen Zustelladressaten weitergeleitet werden muss (BFH v. 01.07.2003, VIII R 29/02, BFH/NV 2003, 1397; BFH v. 11.04.2017, IX R 50/15, BFH/NV 2017, 1300). Geht dem FA eine Steuererklärung erst einen Tag vor Eintritt der Festsetzungsverjährung zu, kann nicht erwartet werden, dass der Steuerbescheid noch – wie dies § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 verlangt – innerhalb der Festsetzungsfrist den Bereich des für die Festsetzung zuständigen FA verlässt (BFH v. 25.05.2011, IX R 36/10, BStBl II 2011, 807). Aufgrund des klaren Wortlauts des § 169 Abs. 1 Satz 3 AO gilt diese Norm nur für die Finanzbehörde, sodass die Festsetzungsfrist nicht durch Abgabe der Steuererklärung (kurz) vor Ablauf der Festsetzungsfrist gewahrt wird (BFH v. 12.08.2015, I R 63/14, BFH/NV 2016, 161; Paetsch in Gosch, § 169 AO Rz. 26). § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO findet auch über die Verweisung in § 155 Abs. 4 AO keine (sinngemäße) Anwendung auf Steuererstattungsanträge (BFH v. 08.10.2010, VI B 66/10, BFH/NV 2011, 403).

 

Tz. 16

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Festsetzungsfrist ist auch gewahrt, wenn ein Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist unmittelbar an den Stpfl. abgesandt wird, obwohl dieser einen Zustellungsbevollmächtigten benannt hat. Der Bekanntgabemangel wird durch die nach Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgte Weiterleitung an den Bevollmächtigten geheilt und sodann die Festsetzungsfrist gewahrt (FG Ha v. 02.02.2010, 3 K 225/09, EFG 2010, 927).

 

Tz. 17

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Sofern der Bescheid falsch adressiert ist, wird die Festsetzungsfrist aber auch dann nicht gewahrt, wenn der Bescheid dem Stpfl. nach Ablauf der Festsetzungsfrist auf einem ursprünglich nicht vorgesehenen Weg zugeht (BFH v. 30.10.1996, II R 70/94, BStBl II 1997, 11).

 

Tz. 18

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Hinsichtlich Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ist zu beachten, dass die Festsetzungsfrist gegenüber allen Feststellungsbeteiligten schon durch die wirksame Bekanntgabe gegenüber einem Beteiligten gewahrt wird. Die Bekanntgabe gegenüber den anderen Beteiligten kann nachgeholt werden (BFH v. 27.04.1993, VIII R 27/92, BStBl II 1994, 3).

 

Tz. 19

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Zuständige Finanzbehörde ist die sachliche, verbandsmäßige und örtliche Behörde. Nicht abschließend ist geklärt, ob die Heilung von Verfahrens- und Formfehlern nach § 127 AO auch dann eingreift, wenn eine örtlich unzuständige Finanzbehörde einen Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist zur Post gegeben hat, dieser aber erst nach deren Ablauf dem Stpfl. zugeht. Wegen der unterschiedlichen Zielrichtung beider Vorschriften kann aus dem Gesetzeszweck des § 127 AO nicht abgeleitet werden, dass ein solcher Steuerbescheid die Festsetzungsfrist wahrt. Für dieses Ergebnis spricht auch der unterschiedliche Wortlaut und der Ausnahmecharakter des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO (letztlich offengelassen BFH v. 13.12.2001, III R 13/00, BStBl II 2002, 406; gl. A. wie hier Drüen in Tipke/Kruse, § 169 AO Rz. 27; von Wedelstädt in Gosch, § 127 AO Rz. 12; Banniza in HHSp, § 169 AO Rz. 76). Wegen der unterschiedlichen Schutzwirkung dieser Vorschrift genügt u. E. die Absendung der unzuständigen Behörde nicht zur Wahrung der Festsetzungsfrist.

 

Tz. 20

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Zu beachten ist, dass die Festsetzungsfrist dann nicht gewahrt ist, wenn der Steuerbescheid gem. § 125 AO nichtig ist oder mangels Bekanntgabe keine Wirksamkeit erlangt hat. Ebenso wenig fristwahrend ist, wenn nach einem vor Ablauf der Festsetzungsf...

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